Novell - Quo vadis?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/05
Die Entwicklung in Richtung Lösungsanbieter wird von Novell schon seit langem vorbereitet. Eric Schmitt, der von Sun gekommene ehemalige CEO, hat die Technologie geöffnet. Nach der Akquisition von Cambridge Technology Partners geht es nun darum, das Unternehmen konsequent auf Lösungen auszurichten. Wer sich in diesen Tagen den Bereich Products & Solutions auf Novells Homepage betrachtet, findet dort zunächst eine beachtliche Liste von Lösungen. Erst dann kommen die neuen Produkte und erst dann die Liste all der Produkte, die das Unternehmen im Portfolio hat. Novell versucht hier, seine neue Fokussierung deutlich zu machen.
Novells Geschichte ist über lange Zeit von zwei Faktoren geprägt gewesen. Der eine wesentliche Faktor ist der technische Hintergrund. Novell hat den Markt der Netzwerkbetriebssysteme mitgeschaffen und über lange Zeit geprägt - mit einer beherrschenden Marktstellung und mit für die damalige Zeit durchaus sehr guten Technologien. Novell hat in den 80er und 90er Jahren Standards gesetzt, die sich aber mit sinkendem Marktanteil von Novell und zunehmender Öffnung und Standardisierung von IT-Technologien als proprietär erwiesen haben.
Der zweite prägende Faktor in der Geschichte von Novell ist sicherlich auch die lokale Herkunft. Mit dem Sitz in Provo, Utah, rund eine Autostunde von Salt Lake City entfernt, hat das Unternehmen über lange Zeit nicht die Anbindung beispielsweise an ein Silicon Valley mit all seinen Einflüssen gehabt. Das hat sich erst mit Eric Schmitt und der Verlagerung wichtiger Unternehmensteile an die Westküste der USA geändert.
Novell hat sich daher lange schwer damit getan, sich als einer unter vielen zu begreifen und schnell und aktiv auf die Herausforderungen des Wettbewerbs zu reagieren. Es ist noch nicht allzu lange her, dass die Website von Novell weniger durch das Hervorheben der zu jedem Zeitpunkt vorhandenen eigenen Stärken als vielmehr durch ein aggressives und manchmal fast schon diffamierendes Bewerten der Wettbewerber geprägt war.
Nachdem Novell mit Abenteuern wie dem Kauf von WordPerfect, Digital Research oder dem UNIXware-Versuch viel Geld verpulvert hatte, sah es schon vor einigen Jahren eher kritisch für das Unternehmen aus. Und das trotz zweier schon damals vorhandener herausragender Assets: NetWare als dem schnellsten File-Server-Betriebssystem und NDS (Novell Directory Services) als dem über lange Zeit völlig unangefochtenen Marktführer für Verzeichnisdienste in Netzwerken.
Andere Trends wie der Boom des Internet oder die wachsende Standardisierung auf Basis von TCP/IP wurden dagegen über lange Zeit verschlafen. Die Welt von Novell drehte sich um IPX, die NDS und NetWare. Eric Schmitt hat das mit der konsequenten Öffnung für Standards wie TCP/IP oder Java und die Portierung vieler Funktionen auf andere Betriebssysteme geändert. NetWare 5 war die erste offene Plattform von Novell, NetWare 6 hat diesen Weg in konsequenter Weise fortgesetzt.
Diese technische Öffnung für die Anforderungen des Marktes ist eine wichtige Grundlage der Neuausrichtung des Unternehmens. NetWare 6 setzt auf TCP/IP auf, kann in den meisten Bereichen über den Browser verwaltet werden und ist auch ohne den proprietären Novell 32-Bit-Client eine sinnvolle Serverlösung. Die Druckserverdienste können über iPrint und das IPP-Protokoll genutzt werden, die File-Serverdienste sowohl über iFolder von einem Browser oder mit einem einfachen 32-Bit-Windows-Client als auch über andere Standards wie CIFS (Common Internet File System) oder NFS (Networked File System). Damit ist NetWare zunächst einmal ein Backend-Server für Druck- und Dateidienste in offenen, heterogenen Umgebungen. IPX, das NetWare Core Protocol (NCP) für die Client-/Server-Kommunikation oder ein proprietärer Client sind nicht mehr erforderlich.
Damit setzt Novell die Idee seiner Net Services in die Tat um. Net Services sind Infrastrukturdienste, die im Netzwerk über offene Standards von Clients genutzt werden können. Was NetWare 6 für Datei- und Druckdienste ist, ist das NDS eDirectory für Verzeichnisdienste als LDAP v3-Server. Hinzu kommen aber auch andere Infrastrukturdienste wie eine Public Key Infrastructure (PKI), die mit den Certificate Services realisiert werden kann, und eine Reihe von ergänzenden Produkten wie der Novell eGuide 2.0 für einen einfachen, Browser-basierenden Zugriff auf die Daten im eDirectory oder Novell's DirXML als Meta-Directory-System.
Alle diese Ansätze waren bisher aber stark technologisch getrieben. Und mit Technologie alleine kann sich ein Unternehmen heute nicht mehr als zentraler Dienstleister positionieren. So wie eine SAP für R/3 schon lange spezifische Anwendungsmodule und seit einigen Jahren mit mySAP.com eine umfassende Prozessunterstützung und damit Lösungen anbietet, musste auch Novell erkennen, dass die Kunden heute eben nicht mehr nur einen File-Server und auch nicht mehr nur eine Reihe von Net Services suchen, sondern konkrete Lösungen für ihre ebenso konkreten Probleme.
Diese Anforderungen konnte Novell aber bisher nicht erfüllen. Mit dem Novell Consulting gab es zwar schon lange eine Beratermannschaft, aber diese war bisher eben auf die technische Beratung ausgerichtet. Die Integration eines Verzeichnisdienstes mit Human-Resource-Systemen oder die Schaffung von sicheren eBusiness-Infrastrukturen war nicht das Aufgabenfeld dieser Mannschaft.
Um diese Lücke zu schliessen, hat Novell das Beratungsunternehmen Cambridge Technology Partners übernommen, das weltweit fast so viele Mitarbeiter hat wie Novell selbst. Schon die Besetzung der Führungspositionen hat dann auch deutlich gemacht, dass Novell hier keine Übernahme im eigentlichen Sinne durchgeführt hat, sondern dass es sich eher um eine Fusion gehandelt hat. Heute werden alle zentralen Führungspositionen des Unternehmens ausserhalb der Technologie von Mitarbeitern besetzt, die aus dem Umfeld der Cambridge Technology Partners kommen. Jack Messman, der Leiter dieses Unternehmens, hat mittlerweile von Eric Schmitt alle Posten übernommen.
Novell hat damit aber nun den klaren Fokus auf Lösungen gelegt. Und wenn man sich die eingangs erwähnte Seite auf Novells Website betrachtet, dann wird deutlich, dass Novell diesen Schritt offensichtlich auch mit viel Schwung geht. Das eProvisioning oder Employee Provisioning als erste Lösung hat mittlerweile eine Reihe von Begleitern gefunden - Lösungen, die von Novell und den nun sehr vielen Beratern beim Kunden auch mit den zugehörigen Prozessoptimierungen implementiert werden können.
Employee Provisioning bezeichnet dabei Lösungen, die Endanwendern die Verwaltung von Teilinformationen der für sie gespeicherten HR-Daten erlauben. Andere Lösungsansätze gehen in Richtung Technologieoptimierung oder umfassendes Netzwerkmanagement in heterogenen Umgebungen. Dennoch macht Novell hier noch seine ersten Gehversuche. Releases wie der DirXML-Treiber für SAP HR machen aber deutlich, dass es dem Unternehmen damit ernst ist.
Die spannende Frage, die sich stellt, ist aber, ob Novell mit diesem Vorgehen wirklich eine zentrale Rolle in der IT-Welt spielen kann. Technologisch spricht einiges dafür, nachdem die Produkte geöffnet wurden und - nach einem Intermezzo der Fehlorientierung und Stagnation - heute auch wieder eine führende Rolle spielen. Novell hat mit NetWare 6 einen ebenso guten Job gemacht wie mit den aktuellen Releases des NDS eDirectory, das seit der Version 8.5 auch wieder zurecht eine Spitzenposition in diesem Markt für sich beanspruchen kann. Und auch bei den vielen Produkten aussen herum wie DirXML, iChain oder ZENworks hat sich Novell gut aufgestellt.
Heute wird aber eben nicht mehr die Technologie, sondern vor allem die Lösung gekauft. Und hier muss Novell noch beweisen, dass der Integrationsprozess mit Cambridge Technology Partners die gewünschten Ergebnisse zeitigt. Dafür gibt es Indizien, aber noch keine Beweise. Und hier muss man abwarten, wie schnell Novell die Fokussierung gelingt. Was dem Unternehmen hingegen zu gelingen scheint, ist ein stärkerer Lösungsfokus ohne Abstriche bei den zentralen Produkten. Das ist unbedingt zwingend, weil Novell führende Lösungen nur schaffen kann, wenn es auch die richtige Basis dafür hat.
Die vielleicht grösste Herausforderung ist aber, dass Novell nun mit anderen Kunden in den Unternehmen sprechen muss. Novell als ein Unternehmen, das Lösungen verkauft, muss auch mit den Entscheidern für Lösungen und nicht mehr nur mit den reinen Technologen sprechen. Und dieser Schritt muss auch erst geschafft werden - denn dazu bedarf es einer Bekanntheit und Glaubwürdigkeit bei anderen Personen.
Novell ist also noch ein gutes Stück von dem Ziel entfernt, der Anbieter für Net-Service-Lösungen zu werden. Auf der anderen Seite verfügt Novell über eine derart exzellente Basistechnologie und eine hohe Bekanntheit im Gesamtmarkt, dass dieser Schritt zu schaffen sein müsste. In jedem Fall ist Novell heute viel näher an einer erfolgreichen Zukunft als noch vor ein, zwei oder drei Jahren.