Editorial

Warum sich auch bei IT-Verträgen ein Blick ins Gesetz lohnen kann


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/04

     

Wenn Unternehmen Informatikprodukte oder -leistungen beschaffen, lassen sich schriftliche Verträge nicht vermeiden. Sind amerikanische oder englische Anwälte im Spiel, sind es meist dickere Werke; kontinentaleuropäische Juristen kommen mit etwas weniger Papier aus. Kaum einer wird aber den Rat geben, wichtige Punkte nicht ausdrücklich zu regeln, um Streitfälle zu vermeiden.





Dies klingt einleuchtend – auch wenn böse Zungen nicht immer zu Unrecht behaupten, Anwälte wollen umfangreichere Verträge, weil sie daran verdienen. Doch bei näherer Betrachtung gibt es auch Fragezeichen. Zunächst einmal ist der Glaube, ein Vertrag vermeide spätere Streitfälle, oft Wunschdenken. In vielen IT-Projekten liegt der wahre Grund von Streitigkeiten darin, dass eine Partei mit Leistungen unzufrieden ist, sich die Verhältnisse geändert haben und eine Regelung deshalb nicht mehr opportun erscheint oder aber unterschiedliche Ansichten darüber bestehen, wie etwas zu verstehen oder gemeint ist. Nur letzteres lässt sich mit Vertragsverhandlungen teilweise vermeiden. Im Streitfall ist es dann die Aufgabe des Juristen, anhand des Vertragswerks und weiteren Unterlagen Argumente für die Position seines Klienten zu finden, so sie nicht aussichtslos ist. In komplexeren Verhältnissen gibt es aber allen Verträgen zum Trotz selten klare Fälle. Zum Prozess kommt es vor allem deshalb nicht, weil Gerichte in IT-Belangen für viele Parteien zu unberechenbar sind oder, entscheidender, sich der realistische Prozessgewinn angesichts des oft hohen Aufwands nicht lohnt.






Das ist allerdings nur eine Betrachtungsweise. Die andere ist der Umstand, dass es rechtlich nicht selten von Vorteil sein kann, keine Regelung im Vertragswerk getroffen zu haben. Denn in diesen Fällen gilt nicht einfach nichts, sondern es kommen zunächst die gesetzlichen Regelungen zur Anwendung. Und hilft auch dies nicht weiter, wird ein Richter den Vertrag so ergänzen, wie es vernünftige Parteien getan hätten. Bereits ersteres kann gravierende Konsequenzen haben: Fehlt zum Beispiel eine Abmachung bezüglich Haftung oder Gewährleistung, muss ein Lieferant für von ihm verschuldete und verursachte Schäden nicht nur unbegrenzt haften, sondern unter Umständen selbst für Funktionen und Eigenschaften seines Produkts einstehen, die in den Spezifikationen mit keinem Wort erwähnt
sind – und zwar ein Jahr lang. So lange dauert die Gewährleistung in Kauf- und Werkverträgen mangels anderer Abrede.




Ein Lieferant wird all dies nicht wollen: Er will seine Haftung beschränkt, den Umfang der Gewährleistung genau definiert und die Gewährleistungsfrist gekürzt haben wollen. Unter diesen Umständen kann es für einen Kunden somit durchaus von Vorteil sein, das Thema Haftung oder Gewährleistung gar nicht erst anzuschneiden, wenn es der Lieferant nicht tut. Umgekehrt gibt es auch Themen, die ein Lieferant nicht unbedingt aufbringen wollen wird: Die Regelung des geistigen Eigentums an den Arbeitsergebnissen etwa (bleibt im Zweifel oft beim Lieferanten) oder die Spezifikation der zu erbringenden Leistung. Ist letztere nur rudimentär definiert, bleibt dem Anbieter viel Spielraum, den er zu seinen Gunsten Nutzen kann. Freilich lauern auch hier Fallen: Hat er zunächst den Auftrag, die Spezifikationen im Sinne des Kunden auszuarbeiten, kippt ein grosser Teil der Verantwortlichkeit wieder auf seine Seite. Denn in Aufträgen haftet der Auftragnehmer gemäss Gesetz nicht nur für die sorgfältige, sondern auch getreue Ausführung. Sprich: Er muss die Interessen seines Kunden wahren. Fazit: Manchmal kann es aus rechtlichen Gründen durchaus vorteilhaft sein, etwas nicht explizit zu regeln.




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