Editorial

Die ewige Klage der Usability-Experten


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/01

     

Ich kann sie nicht mehr hören, die Vorträge über Usability und Benutzerakzeptanz, die immer das gleiche Resultat zeigen. Es ist alles so schlecht, wie erwartet. Auch in konkreten Entwicklungsprojekten habe ich ambivalente Erfahrungen mit Usability-Verantwortlichen gemacht: Manchmal war es skurril, wie etwa der Vorschlag, auf einem städtischen Web-Portal für kürzlich Geschiedene einen benutzerspezifischen Link auf Singleclubs anzubieten. Meistens war es aber Kritik ohne Ende gespickt mit vielen detailverliebten Vorschlägen, wie breit oder dünn und farbig irgendwelche Balken sein sollten. Nicht-triviale, praktikable Vorschläge für Designprozesse oder gar eigene konstruktive Beiträge zum Design gab es selten. Fachbeiträge in Usability-Magazinen zeigen, dass ich mit diesen Erfahrungen nicht alleine bin.
Es scheint eine ewige Wahrheit zu sein, dass Usability-Experten nur negative Kritik üben können oder im besten Fall Ideen für eine nette Verpackung liefern.





Seit langem gilt in der Theorie des Software-Engineering die Regel, Usability-Experten möglichst früh einzubinden in den eigentlichen Design-Prozess, damit erst gar nicht die Oberlehrer-Situation am Ende eines Projekts zustande kommt, wo man zwar kritisieren, aber nur noch sehr aufwendig etwas fundamental ändern kann. Doch auch die frühzeitige Integration ins Team scheitert oft: Es fehlt meist am Grundwissen in Bezug auf das Business und die IT und es fehlt an gestalterischem Denken.





Worauf es nämlich wirklich ankommt, ist zunächst die Identifikation einer Nutzer-Schlüsselgruppe, auf die man sich beim Design fokussieren kann. Die Nutzungs- und Nutzenperspektive dieser Schlüsselgruppe muss antizipiert werden, durch Befragung und eventuell durch Beobachtung sowie vor allem durch Nachdenken über mögliche Szenarien. Dabei gilt das Prinzip: «Alle Nutzer ernstnehmen, aber ihnen nicht notwendigerweise alles, was sie sagen, eins-zu-eins glauben!»




Mit dem so identifizierten, wahrscheinlichen zukünftigen Nutzungskontext kann dann eine Applikation so entworfen werden, dass ihre Chancen auf Benutzerakzeptanz möglichst hoch sind und sie eine hohe Usability besitzt. Wobei zwei grosse Schwierigkeiten den Applikationsdesignern das Leben schwer machen: Erstens wissen Benutzer oft selber nicht, wie sie einen unbekannten Dienst oder eine unbekannte Technik nutzen werden. Zweitens muss die Komplexität der Applikation niedrig gehalten werden, um die Engineering- und Betriebskosten kontrollieren zu können und um die Flexibilität zu wahren, später – nach ersten praktischen Erfahrungen mit Echtweltnutzern – eine Anpassung des Designs vornehmen zu können. Deshalb ist der Entwurf einer neuartigen Anwendung immer eine Gratwanderung zwischen Erfüllen von Benutzerwünschen und Beschränkung der Komplexität.




Gute Usability-Experten wären sehr wertvoll im Entwurfsprozess. Aber sie müssten über ein breites Wissen verfügen, das alle Designaspekte umfasst. Sie müssten sich für die tatsächliche Perspektive von Nutzern wirklich interessieren und ohne vorgefasste Spezialmeinungen über gutes oder schlechtes Design an die Arbeit gehen. Und sie müssten sich als Mit-Entwickler verstehen, nicht als Beurteiler. Wenn es dafür auch noch eine multidisziplinäre Hochschulausbildung (mit viel Praxisübungen) gäbe, würde dies auch nicht schaden.




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