Wer ist böser? Microsoft oder Open Source?
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/22
Ja, ja, die böse Microsoft versucht immer wieder, ihre Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. In letzter Zeit vor allem, indem sie kostenpflichtige Funktionalität aus Produkten anderer Anbieter in die Windows-Plattform integriert und gratis mitliefert. Der EU passt das nicht: Sie versucht Microsoft per Gerichtsbeschluss zu zwingen, die besagten Funktionen wieder zu entfernen. Dies mit der Begründung, Microsoft wolle seine Dominanz ausnützen. Das wäre natürlich sehr böse.
Doch, wie war das noch einmal mit dem «Gratis-Anbieten»? IBM zum Beispiel bietet doch neuerdings ein ganzes Betriebssystem – nämlich Linux – kostenlos an. Und das, obwohl andere Hersteller Geld für ihre Betriebssysteme verlangen. Ist das denn nicht auch böse? Wenn man bedenkt, dass von den rund 300’000 IBM-Angestellten fast zwei Drittel bei IBM Global Services arbeiten und ihre Stunden, die sie zum Entwickeln und Implementieren solcher «Gratis»-Lösungen verbrutzeln, zu horrenden Ansätzen verkaufen können, ist das sogar sehr böse. Denn mit einem Business-Modell, das darauf basiert, möglichst viele Stunden verkaufen zu können, kann man die Software locker gratis abgeben. Das erst recht, wenn man sie ursprünglich nicht selber schreiben musste, sondern auf die Arbeitsergebnisse einer Horde Frondienst-leistender Studenten zurückgreifen kann. Da könnte man, wenn es denn sein müsste, sogar ganze PCs und Server verschenken, schliesslich wird auch dadurch Geld in die eigenen Kassen in Form von teuer verkauften Global-Services-Stunden gespült.
Genau so wird’s auch gemacht. Und weil einige dieser Mitbewerber nicht wie Microsoft auf ein Partner-Netz bauen, sondern gleich alles selber anbieten, wird in den grossen, attraktiven Projekten der EU, die auf Open Source und «offenen» Standards basieren, auch gleich noch der lokale Markt ausgeschaltet. Bravo! Gut gemacht! Den einen Bösen durch einen anderen ersetzt, die Abhängigkeit erhöht und den Geldhahn in Richtung Bush-Land noch weiter aufgedreht – vom Regen in die Traufe sozusagen. Da muss man sich fast schon fragen, was denn der persönliche Vorteil der EU-Vertreter ist, die das eingefädelt haben.