Editorial

Sind Informatiker anders?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/18

     

Kürzlich ist mir beim Mittagessen eine Zeitschrift in die Hände gekommen, die gerne Schweizer IT-Manager porträtiert, die ihre Sache besonders gut machen. Auf der Titelseite ein lachender Herr gesetzteren Alters im Anzug und gestreiftem Hemd. Und in der Mitte eine knallig-rote Krawatte mit gelbem Tweetie, ebenso lächelnd wie der Herr selber. «So möchte ich auch mal abgebildet werden», habe ich mir gedacht. Leider habe ich keine passende Krawatte.
Schon seit Jahren fällt mir immer wieder auf, dass Informatiker offenbar keine Hemmungen haben, in grauenerregenden Outfits an öffentlichen Anlässen zu erscheinen natürlich kenne ich niemanden persönlich. Früher, als ich selber Messebesucher war, haben wir das jeweils «Gruselkabinett» genannt. Der absolute Spitzenreiter bleibt bis heute ein Herr mit schwarzem Bürstenschnitt, der in dunklem Blazer und roten Espadrilles am Windows-2003­-Launch gesichtet wurde. Man stelle sich jetzt vor, wie dieser Herr im heimischen Serverraum gekleidet ist.




Das bringt mich zu einem Vergleich mit der Politik der späten Achtziger, als sich die Politiker, wie die Manager von heute, ordentlich in Schale warfen. Bis auf die Grünen, die damals noch der festen Überzeugung waren, dass sich ihre abweichende Meinung auch in der Kleidung äussern müsse. Heute weiss jedes Kind, dass Jesus-Sandalen und Hanfjäckchen nicht sonderlich hilfreich sind, wenn man sich im konservativen Lager Gehör verschaffen will, und so hat man sich sowohl in Kleidung wie auch in der Meinung angepasst (ob da ein Zusammenhang besteht?).
In der Informatik ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen. Vor noch nicht all zu langer Zeit war der typische Informatiker der, mit dem man über nichts anderes sprechen konnte als über Rechenleistung, Prozessortaktfrequenz oder Betriebssystemphilosophien. Kurz: Man hat nicht mit ihm, sondern höchstens über ihn gesprochen. Das hat dann wiederum dazu geführt, dass sich eine Kluft zwischen Informatik und Business gebildet hat. Überhaupt war ja die Informatik nur eine Kostenstelle, die ähnlich einem schwarzen Loch alle verfügbaren Mittel frass und mehr oder weniger losgelöst von den tatsächlichen Bedürfnissen an irgendwelchen Systemen herumbastelte.





Das immer Technik-mündiger werdende Management hat dann eines Tages herausgefunden, dass man in der Informatik namhafte Beträge aus dem Budget streichen kann, ohne dass das Geschäft darunter leidet. Umso mehr gelitten haben dafür die Systemverantwortlichen, die ihre Systeme und damit auch ihre Verantwortung dahinschwinden sahen.
Eine neue Taktik musste her. Wenn man die von der Teppichetage nicht mehr mit technischen Fakten einschüchtern konnte, musste man sich halt selber in die Business-Materie einarbeiten. So konnte man mit valablen Argumenten auftrumpfen und hatte erst noch die passende Lösung für dies und das bereit, was letztlich auch das Informatikerherz höher schlagen lässt. Das erhofften sich zumindest die Informatiker.
Doch es wollte nicht so recht gelingen. Noch immer schienen die anderen nicht über ihre Vorurteile hinwegzublicken, noch immer galt der Informatiker als schräger Vogel in der Landschaft respektive im Sitzungszimmer. Bis, ja, bis auch die Kleidung sich einem Wandel unterzog und die Vertreter der technischen Seite als normale Geschäftspartner wahrgenommen wurden. Ich bin sicher, dass bis in ein paar Jahren Informatiker zu den bestgekleideten Menschen gehören werden.




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