Die wachsende Bedeutung des IT Service Management

IT Service Management gehört zu den bestimmenden Themen der nächsten Jahre. Noch werden aber viele Fehler gemacht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/07

     

Das IT Service Management definiert den Prozess der Messung von Service-Qualität, das Reporting von Fehlern und Engpässen und die Massnahmen, die zur Erfüllung der gesetzten
Ziele nötig sind. In diesem Markt steckt eines der grössten Zuwachspotentiale der nächsten Zeit. InfoWeek unterhielt sich mit den beiden Experten Thomas Mendel, Principal Analyst der Giga Information Group, und Detlev Riecke, Sales Director EMEA von Compuware, über die Defizite der Schweizer Unternehmen und über die Chancen, die dieser Markt bietet.




InfoWeek: Wie gross ist der Anteil der Unternehmen in der Schweiz, die ganzheitliches Service Management implementiert haben und auch den ganzen Nutzen daraus ziehen?



Thomas Mendel: Ungefähr fünf bis sechs Prozent, wenn wir nur die Grossunternehmen und den grösseren Mittelstand betrachten. Wir gehen davon aus, dass bis im Jahr 2006 die Penetration bei diesen Unternehmen bei 30 bis 40 Prozent liegen wird.



InfoWeek: Wie unterscheiden sich diesbezüglich die Segmente Gross- und Mittelunternehmen sowie Non-Profit-Betriebe wie die Kantone und Gemeinden?

Mendel: Zuerst sind die Grossunternehmen dran, weil da der Bedarf am stärksten ist. Der Druck von den Geschäftskunden, also von den Endusern, ein sogenanntes
Ende-zu-Ende-Management aufzubauen, ist bei ihnen am grössten, weil hier auch die Probleme der heutigen EDV-Organisation am stärksten in Erscheinung treten. Die Schwierigkeiten zwischen
Client und Netzserver treten vor allem bei Unternehmen zu Tage, bei denen zentralisiert wurde, Applikationen konsolidiert wurden und bei denen die User jetzt, im Gegensatz zu früher, überall in der Welt sitzen.



InfoWeek: Sie sprechen von den Problemen. Wo orten Sie denn konkret den grössten Nachholbedarf?

Detlev Riecke: Bei der Architektur und der Qualität der Software-Anwendungen. Früher mussten sich die Unternehmen nicht mit diesen Themen befassen, weil die Anwendungen lokal betrieben wurden. Das Wachstum dieser Applikationen und die Verteilung über verschiedene Standorte hinweg führten aber dazu, dass heute fast 50 Prozent der Probleme in den Anwendungen an sich stecken.




InfoWeek: Wo sind denn zur Zeit noch die grössten Hemmnisse innerhalb der Unternehmen? Was haltet ein Unternehmen noch davon ab, mehr in Service Management zu investieren?

Mendel: Die meisten Unternehmen sind immer noch in einzelnen Silos organisiert. Es gibt Leute, die für Netzwerk-Management, andere für Server-Management und wieder andere für Applikationsmanagement zuständig sind. Bei diesen Leuten fehlt das Verständnis noch weitgehend, dass sich die Betrachtung jetzt auf den Gesamtprozess verlagert. Es bedarf dann immer der Entscheidung einer Person, die in der Organisation höher steht und den Gesamtüberblick über die verschiedenen Silos hat, um ein Service-Management-Projekt in Gang zu bringen. Der Druck entsteht entweder in Form einer neuen Applikation, die jetzt plötzlich vor der Tür steht, oder es ist beispielsweise der IT-Leiter, der von seinen Kunden unter Druck gesetzt wird und die neu entstandenen Probleme in den Griff bekommen muss. Dass solche Initiativen aus den
Silos selber heraus gestartet werden, kommt äusserst selten vor.
Riecke: Gerade im deutschsprachigen Markt ist ganz klar zu sehen, dass es oft kulturelle Barrieren gibt, überhaupt über Probleme zu sprechen. Oft wird einfach versucht, das Pingpong-Spiel durchzuspielen und die Verantwortung hin und her zu schieben. Die Bereitschaft, auch wirklich zu sagen, dass etwas getan werden muss und kann, kommt politisch so oft nicht zum Tragen.


InfoWeek: Wie kann denn ein Unternehmen die Effektivität seines Service Management überprüfen?

Riecke: Indem es misst und auf Grund der fünf Qualitätsprozesse «Find, Merger, Analyse, Improve and Control» Ziele definiert, die es dann kontinuierlich zu überwachen und monitoren gilt.
Mendel: Das geht nur, indem man auch das, was beim Endkunden ankommt, in die Analyse mit einbezieht, also durch ein Enduser-Response-Time-Monitoring. Ein solches kommt in den Management-Silos nicht vor. Die Response-Time beim Enduser ist keine Aufgabe, die sich irgendeines dieser
Silos zuschreiben würde. Sogar die, die für das Applikationsmanagement zuständig sind, überprüfen nur, dass die Applikation auf dem Server läuft, aber nicht, ob sie tatsächlich für jeden einzelnen Anwender performant ist.
Riecke: Das ist auch eine Frage der Organisationsstrukturen. Es gibt eigentlich keinen Bereich in den Silos, der die Verantwortung übernimmt. Denn das Silo «Endanwender» gibt es gar nicht. Manchmal ist dieser Bereich dem Helpdesk angelagert. Aber dieser hat auch nicht die Sicht der Geschäftsprozesse, sondern sieht immer nur die Infrastruktur. Aber den Endkunden interessiert nicht die Infrastruktur, sondern die performante Verfügbarkeit des Dienstes, den er bezahlt.





InfoWeek: Die Rolle des CIO hat sich vom Techniker zum Manager gewandelt. Wie verteilen sich in bezug auf das Service Management die Rollen? Ist es das Management, das hier entscheidend mitredet, oder sind die vorgegebenen Applikationen ausschlaggebend?

Mendel: Die Mehrzahl der Anwender und IT-Abteilungen definieren Dienste wie E-Mail oder SAP als Services, die sie monitoren wollen. Im Augenblick ist das Service Management also noch sehr Infrastruktur- beziehungsweise Applikations-getrieben. Im Laufe der Zeit wird sich das aber mehr in Richtung der Geschäftsprozesse verschieben.
Riecke: Während wir noch vor ein oder zwei Jahren ausschliesslich Anfragen aus dem Bereich der klassischen IT hatten, kommt heute ein grosser Anteil der Projektanfragen direkt aus dem Business-Bereich.
Mendel: Aus dem Sichtwinkel der Implementierung ist das in vielen Fällen relativ problematisch, weil die IT häufig extrem überfordert ist. Man versucht, vier Schritte auf einmal zu machen, während die IT selbst noch gar nicht in der Lage ist, überhaupt Schritt eins zu realisieren. Auf den Anbieter kommt dann noch die Herausforderung zu, dass man die IT-Abteilung darauf sensibilisieren muss, was überhaupt realisierbar ist.




InfoWeek: Was kostet ein effektives IT Service Management im Verhältnis zu den gesamten IT-Kosten im Durchschnitt?

Mendel: Das ist eine gute Frage, die ich aber nicht so einfach beantworten kann. Hier gilt es, sich über verschiedene Indikatoren ranzutasten. Aber bei einer typischen Projektgrösse liegen die Kosten für die erste Modellierung von Services zwischen 100’000 und 150’000 Euro.
Riecke: Wir steigen oft mit Projekten ein, wo der Kunde sagt, er habe eine Anwendung und eine bestimmte Anzahl von Geschäftsprozessen innerhalb dieser Anwendung. Hier beginnen die Kosten im Bereich von 30’000 bis 40’000 Euro. Abhängig von den Ausbaustufen, die bei einem Kunden notwendig sind, steigert sich das bis in die Bereiche von 150’000 bis 200’000 Euro. Wobei da zusätzlich interne Kosten einkalkuliert werden müssen. Egal was für eine Technologie eingesetzt wird, es fällt immer ein gewisser Anteil an Betriebskosten für die Wartung dieser Systeme an. Ausserdem braucht es immer auch Mitarbeiter, die die Geschäftsprozesse anpassen und zwischen dem Kunden und den IT-Projekten koordinieren.
Mendel: Oft will das Netzwerkmanagement die Investition beispielsweise in OpenView oder Micromuse reduzieren und dafür Enduser-Response-Monitoring einführen. Man verschiebt dann einfach die Investitionen vom Infrastrukturmanagement, wo früher die Probleme waren, in den Bereich wo jetzt die Probleme sind, eben dem Ende-zu-Ende-Applikationsmanagement.
Die andere Möglichkeit, die wir sehr häufig sehen, ist die, dass man WAN-Kosten reduzieren möchte und darum über den Weg der Analyse und der Messbarkeit der WAN-Kosten und des Verkehrs solche Service-Level-Management-Tools einführt. Die Einführungskosten verrechnet man dann über die Ersparnisse bei den WAN-Kosten.


InfoWeek: Welche Einsparungen sind für ein Unternehmen möglich?

Mendel: In beiden Fällen sind Einsparungen von ungefähr 20 Prozent möglich. Beim ersten Fall, wo man die Zahl der Tools reduziert oder shiftet, geht es meistens nur auf null auf. Das, was man einspart, gibt man auch in irgendeiner Form wieder aus; allein schon weil sonst das Gesamtbudget meist reduziert wird, wenn man spart. Das ist vielleicht ein etwas unlogischer Grund, aber so läuft das in der Realität ab.
Im zweiten Fall, bei den WAN-Kosten, ist es häufig so, dass die Investitionen in die Tools wesentlich geringer sind als das, was man einspart. Das hat den einfachen Grund, weil die WAN-Kosten im Budget
eine viel grössere Rolle spielen.
Riecke: Wir haben da auch eine ganze Reihe von Erfahrungen mit Projekten mit Schweizer Kunden, die im Bereich der WAN-Konsolidierung 20 bis 25 Prozent ihrer Betriebskosten eingespart haben.





InfoWeek: Welche ersten Schritte raten Sie einem Unternehmen, das IT Service Management implementieren will?

Mendel: Zuerst muss ein Service definiert werden. Dabei stehen drei zur Auswahl, von denen zwei zu empfehlen sind. Der erste ist E-Mail als ein echter Ende-zu-Ende-Service. Der zweite ist SAP oder etwas Vergleichbares, der dritte ist das Intranet als solches. Dieser Service ist jedoch relativ komplex und Infrastruktur-nah und deswegen nicht ganz so gut zum starten geeignet. Es ist aber ein Service, der letztendlich Potential im weiteren Verlauf hat.
Ich rate, mit SAP oder E-Mail anzufangen und dies aus Enduser-Sicht zu machen. Zunächst sollte aktives Monitoring benutzt werden und dann, wenn nötig, passives, das zum Troubleshooting gehört. Sobald diese zwei Services dann vernünftig laufen, sollte das Intranet als dritter Service dazukommen. Schliesslich kann man dann alle weiteren Applikationen oder alle weiteren Prozesse ausbauen. Auf jeden Fall rate ich, mit einem einzigen Service zu beginnen.




InfoWeek: Wie wird sich das IT Service Management in den nächsten Jahren entwickeln?

Mendel: Wir stehen jetzt vor einer Phase, in der sehr viele Anbieter in das Thema Business Service Management drängen. Das ist der nächsthöhere Level des Service Management mit starkem Fokus auf Geschäftsprozesse. Im Markt bewegen sich momentan sicher 200 Anbieter. In den nächsten zwölf Monaten wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Sehr viele Anbieter werden verschwinden.




InfoWeek: Und in technologischer Hinsicht?

Mendel: Technologisch gesehen wird das Versprechen des automatischen Erkennens der Anwendungen noch sehr lange auf sich warten lassen. Es sei denn, irgendein Anbieter erfindet ein Wunderding, das ich mir nicht so genau vorstellen kann. Bis dahin wird immer noch sehr viel manueller Aufwand benötigt, um Geschäftsprozesse zu modellieren und zu beschreiben. Das wird sich erst dann ändern, wenn das Monitoring schon in den Applikationen mitgeliefert wird. Das dürfte voraussichtlich noch zwei oder drei Jahre dauern.
Bei den IT-Abteilungen ist ein Umdenken notwendig, denn neben den internen werden immer mehr externe Service-Komponenten und Provider in Service-Level-Management-Plattformen integriert werden müssen.
Eine ganz deutliche Beschleunigung wird sich abzeichnen, wenn immer mehr interne User zu externen Usern werden. Der Anwender erwartet neben denselben Applikationen auch Servicegarantien, egal ob er nun im Büro oder von unterwegs arbeitet.
Und die Entscheidungen über Projekte werden schliesslich vermehrt in höheren Hierarchiestufen gefällt werden.
Riecke: Die sehr hohen Zuwachsraten werden aufgrund zunehmender Auslagerung von Teilprozessen noch weiter beschleunigt. Immer mehr Kunden gehen dazu über,
Teile ihrer IT an unterschiedliche externe und interne Partner auszulagern, um dann wieder als Dienstleister im Markt aufzutreten. Das erfordert Nachweisbarkeit und Messbarkeit der Leistung, die diese Dienstleister erbringen. Und dafür benötigen sie entsprechende Messwerkzeuge.
Ein weiterer treibender Faktor sind massive Troubleshooting-Themen beim Kunden. Früher wurden die Probleme durch massive Nachinvestitionen gelöst. Der Druck auf die Unternehmen, ihre Mittel intelligenter einzusetzen, ist erheblich gestiegen. Letzten Endes darf deshalb das Thema Troubleshooting nicht unterschätzt werden, weil das für die Kunden oftmals auch existentiell ist.




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