IT-Branche in einer Vertrauenskrise


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/05

     

Während Sie, geschätzte Leser, diese Zeilen überfliegen, geht irgendwo in der Schweiz ein IT-Projekt schief. Die IT-Branche geniesst keinen guten Ruf. Bubbles, Abzocker und ein unerschöpfliches Reservoir von Halbwissen richten noch immer ein
gigantisches Chaos in unserer Volkswirtschaft und unseren guten Stuben an. Die IT-Branche steckt in einer Vertrauenskrise.



Nehmen wir zum Beispiel das simple Computerspiel, das der genervte Vater am Abend für seine Kindern nicht installieren kann, weil die Grafikkarte nicht über den neuesten Treiber verfügt. Oder stellen wir uns einen Rechtsstreit vor, wo der Richter eine Klage über ein gescheitertes IT-Projekt zu beurteilen hat. (Was das an Nerven kostet für alle Beteiligten!) Aber es geht noch weiter, zum Beispiel im unverfrorenen Börsengang einer kompletten Niete oder in einem mirakulösen Konzeptfehler. Das setzt sich fort in der Bankrotterklärung von fantastischen und erdachten IT-Firmenkonstrukten, die nie zählbare Inhalte hervorbrachten.




In der hiesigen IT-Branche herrschen so zunehmend amerikanische Verhältnisse. Diese sind gekennzeichnet durch eine immer kurzfristigere, härtere und rücksichtlosere Gangart. Der kurzfristige Profit zählt mehr als die Zufriedenheit des Kunden. Allein der Niedergang der wundersamen Langenthaler Softwareschmiede kostete die betroffenen KMU einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag, den ganzen Ärger nicht eingerechnet. Keine der durch den Börsengang reicher gewordenen IPO-Banken hat sich letztlich um deren Anliegen gekümmert. Die tragende Vielfalt der kleineren und mittleren Unternehmen in der Schweiz mit ihren gewachsenen Strukturen zahlt die Zeche für das überbordende Casinospiel der Grossfinanz.



Diese Entwicklung ramponiert das Image der ganzen Softwarebranche in der Schweiz zum Wohle einiger weniger Profiteure. Das Vertrauen schwindet, und die Kreditfähigkeit der Branche wird nachhaltig beschädigt. Das Staunen ob all der technischen Errungenschaften ist der Ernüchterung und Verunsicherung gewichen. Ein ganzer Haufen von zum Teil selbst ernannten "IT-Spezialisten" und "IT-Beratern" ist immer noch damit beschäftigt, jährlich Hunderte Millionen von Franken in den Sand zu setzen. Das Chaos ist allgegenwärtig: Laut einer Studie der Standish Group aus dem Jahr 2003, dem so genannten "Chaos Report", scheitern 25 Prozent aller IT-Projekte, 50 Prozent sind dabei zu scheitern und nur 25 Prozent werden im geplanten Finanz- und Zeitrahmen erfolgreich abgeschlossen. Dabei gilt die Regel: Je grösser und komplexer das Projekt, desto absturzgefährderter.
Bei geschätzten 30'000 kleineren und grösseren IT-Projekten jährlich in der Schweiz würden demnach etwa 22'500 nicht im geforderten Zeit- und Budgetrahmen abgewickelt - das sind täglich mehr als 60 Projekte oder fast alle 8 Minuten während der Normalarbeitszeit eines.
Was sind die Hauptursachen des Scheiterns von IT-Projekten? Laut Andy Schürr von der Technischen Universität Darmstadt sind es unklare Anforderungen und Abhängigkeiten, Probleme beim Änderungsmanagement sowie dramatisch wachsende Software-Komplexität und Teamgrössen. Etwas einfacher gesagt: Einmal mehr sind die KM-Unternehmer gefragt. Wer seine Prozesse genau kennt und diese kommunikativ und kooperativ in die Projektgestaltung einbringt, fordert die Spezialisten heraus, die sich sonst gerne hinter der Komplexität der IT verstecken. Das Scheitern von IT-Projekten ist immer auch das Scheitern der Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten.




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