Beschaffung nach dem E-Hype

Die Zeit der virtuellen Marktplätze scheint langsam dem Ende entgegenzugehen. Die Abwicklung von Ein- und Verkauf über elektronische Netze liegt aber dennoch im Trend.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/04

     

Grosse Hoffnungen sind in Marktplätze gesetzt worden, die allesamt sang- und klanglos untergegangen sind", sagt Walter Detling, Professor und Forscher im Feld des E-Commerce an der Fachhochschule beider Basel (FHBB) in Muttenz. Ein Blick auf die Landkarte der elektronischen Marktplätze zeigt ein ernüchterndes Bild: Grosse wie Kleine sind verschwunden oder wurden wegintegriert, wie hierzulande Conextrade, die zu einer Unterabteilung der Swisscom IT Services mutierte. Ebenfalls längst vergessen sind die Abenteurer von Plennax oder die hochfliegenden Marktplatzpläne der Post (Yellowworld). Laut Christian Tanner, E-Commerce-Consultant bei der FHBB, gibt es in der Schweiz keinen Marktplatz, der diesen Namen auch verdient hätte.



Conextrade, die einstige Schweizer Hoffnung, hat abgewirtschaftet und sieht sich primär als Transaktionsplattform. Am Leben geblieben sind sogenannte Konsortialsmarktplätze; das sind Zusammenschlüsse von in der gleichen Branche tätigen Firmen, die über eine gemeinsame E-Plattform ihre Einkäufe oder Verkäufe koordinieren. Der Vorteil von Konsortialsmarktplätzen liegt in tieferen Transaktionskosten. Müsste jeder Partner eine eigenen Plattform unterhalten, käme ihn das teurer, erklärt Marktplatzspezialist Tanner.




Aber branchenneutrale Marktplätze, wo sich Anbieter und Nachfrager in einem virtuellen Raum frei treffen können, gibt es hierzulande für Unternehmen nicht. Da muss man schon über die Landesgrenzen hinausschauen, nach Deutschland, wo CC Chemplorer mit Sitz in Bonn einen der europaweit grössten und wichtigsten Marktplätze unterhält.
CC Chemplorer wurde ursprünglich gemeinsam von Chemiegiganten wie Bayer aus der Taufe gehoben, um den Einkauf kostengünstiger abzuwickeln. Auch Schweizer Firmen haben sich in dieses Netzwerk eingeklinkt, wie zum Beispiel der Chemiekonzern Clariant oder der EDV-Bedarfshändler ARP Datacon. Pro Woche wickeln die 33 einkaufenden Firmen 15'000 Transaktionen mit 1360 Lieferanten ab. Total hängen 35'000 Benutzer am Chemplorer-Netz und haben Zugriff auf rund 10 Millionen Produkte.



Trotz dieser eindrücklichen Zahlen ist das Überleben von CC Chemplorer keineswegs gesichert. In den letzten 12 Monaten haben sich 27 oder fast die Hälfte der einkaufenden Unternehmen aus dem Netz verabschiedet. Eine fatale Entwicklung für den Anbieter eines Marktplatzes, der sich primär über Transaktionsgebühren finanziert.


Ein systembedingter Flop

Die Ursachen des Marktplatz-Flops sind systembedingt. Die Idee des Spontankaufs von Kommoditäten bei einem x-beliebigen Lieferanten ist zwar verlockend, doch leider auch ineffizient. Die günstigsten Konditionen erhält man typischerweise nur dann, wenn langfristig grosse Volumina abgewickelt werden können - was aber nur in einer ebenso langfristigen Lieferantenbeziehung möglich ist. Das war schon vor der New Economy so und hat auch heute noch Gültigkeit. Kommt hinzu, dass Marktplätze sich über Transaktionsgebühren finanzieren müssen, was für Grosskonzerne mit entsprechend grossem Einkaufsbedarf nicht sonderlich attraktiv ist.




Nicht zuletzt liegen womöglich auch technische Gründe vor, warum sich Marktplätze bis jetzt nicht durchgesetzt haben. Die Feststellung liegt nahe, dass die elektronischen Märkte ihrer Zeit viel zu weit voraus waren. In den Jahren 1998 bis 2000 steckten die Internet-Standards für den Austausch und die Interpretation von Dokumenten noch in den Kinderschuhen, XML war lediglich in Grundzügen erkennbar. Es gab zwar mit Edifact eine von der UNO kontrollierte Norm, die genau definierte, wie Bestellungen, Rechnungen etc. zwischen handeltreibenden Firmen elektronisch dargestellt werden müssen. Doch diese Norm konnte nur sehr ungelenk an die Internet-Technologien angepasst werden.
Die meisten Firmen waren mit dem Anschliessen ihrer internen Prozesse an das Internet mehr als ausgelastet. Und sie wollten genau kontrollieren, mit welchen Techniken der Zusammenschluss der internen IT-Landschaft mit der externen Internet-Aussenwelt vollzogen werden soll. Dieses Kontrolldenken ist noch heute spürbar, wenn Firmen an Lösungen und Services herumdenken, wie sie ihr elektronisches Beschaffungswesen (E-Procurement) so "designen" sollen, damit die internen Abläufe optimiert werden.


Viel los im E-Procurement

Um was geht es überhaupt bei E-Procurement? Wichtig ist, dass weniger die Nutzung des Internet als Vertriebskanal im Zentrum steht, sondern vielmehr eine strategische Einbindung des Web in den gesamten Beschaffungsprozess des Unternehmens. Auch aus Sicht der potentiellen Verkäufer und Lieferanten bedeutet der Aufbau und der Betrieb einer E-Procurement-Lösung durch eine Käuferorganisation eine gewisse Sicherheit, weil Gewähr besteht, dass ein Unternehmen auf diesem Weg tatsächlich Geld ausgeben möchte, was bei einer Marktplatzpräsenz nicht zwingend der Fall sein muss.



Damit eine E-Procurement-Lösung von den Lieferanten und Verkäufern akzeptiert wird, muss ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Hierzu gehört die erforderliche Infrastruktur. Der Akzeptanz zuträglich ist freilich, wenn die Käuferorganisationen den Verkäufer mit der entsprechenden Technik ausstatten. Denn nur wenn eine kritische Masse an Verkäuferorganisationen eine E-Procurement-Lösung nutzt, kann die Beschaffung auch billiger werden.




Gleichzeitig müssen sich die an der Transaktion beteiligten Parteien vertrauen. Dazu kann man sich auf Verkäufer konzentrieren, zu denen bereits eine "ausserelektronische" Geschäftsbeziehung besteht, oder sich auf Partner beschränken, die von einer unabhängigen Instanz zertifiziert worden sind. Schliesslich sollten auch die Konditionen für die Abwicklung der Geschäftstransaktionen klar definiert sein.


Grosses Wachstum

Über E-Procurement-Lösungen abgewickelte Geschäftstransaktionen weisen im Vergleich zu den anderen Segmenten des B-to-B-Internet-Handels das höchste Wachstum auf. Das Transaktionsvolumen betrug 2001 weltweit zirka 3,1 Milliarden Euro und dürfte bis 2006 auf über 194 Milliarden Euro steigen. Dies entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 128 Prozent.



Dieser Marktentwicklung liegen laut IDC mehrere Trends zugrunde: In den Anfängen wurde E-Commerce durch innovative Verkäuferorganisationen vorangetrieben, um das Internet als alternativen Vertriebskanal zu nutzen. Zukünftig werden aber vermehrt die Einkäufer die Entwicklung des E-Commerce bestimmen. So hat Novartis schon immer auf die Karte E-Procurement gesetzt und bindet ihre Lieferanten über die Softwarelösung Ariba an das Unternehmen. Den gleichen Weg eingeschlagen haben auch Roche, ABB, Credit Suisse und Holcim. Die UBS wiederum setzt auf die Transaktionsplattform Conextrade der Swisscom IT Services.




Laut IDC wird die Zahl der Zulieferer, die sich an E-Procurement-Systeme anbinden, in den nächsten Jahren deutlich zunehmen. Da der Käufer die Lösung aufbaut und betreibt, ist das für kleinere Zulieferer oft billiger als eine eigene E-Distributionslösung.


IT-Firmen brauchen Geduld

In wirtschaftlich angespannten Zeiten legen Unternehmen grossen Wert auf genau messbare Projektergebnisse. Dies ist bei E-Commerce-Vorhaben nicht anders. Für IT-Unternehmen verlängern sich dadurch die Vertriebszyklen, da die Anwenderunternehmen sich mehr Zeit für die Bewertung und Auswahl nehmen. Kommt hinzu, dass Projekte häufig in kleinere Teilvorhaben zerlegt werden, damit der Return on Investment besser kontrolliert und genauer analysiert werden kann.



Somit dürfte die Konsolidierung bei den Anbietern von Softwarelösungen für E-Procurement und Marktplätze vorläufig weitergehen. Erst kürzlich übernahm das Softwareunternehmen Compuware die Assets von Covisint, die einen Marktplatz für die Automobilindustrie betrieben hatte, aber Pleite ging. Zuvor verleibte sich Ariba für 493 Millionen Dollar das Unternehmen Freemarkets ein, das eine auktionsbasierte Supply-Chain-Management-Lösung betreibt.




Nichtsdestotrotz: Mit zunehmender Erfahrung werden Unternehmen mehr Produkte und von den einzelnen Produkten mehr Stück über E-Procurement kaufen. Deshalb werden IT-Anbieter an entsprechenden Lösungen und Dienstleistungen gut Geld verdienen können. Den potentiellen Abnehmern werden sie allerdings Branchenkenntnis nachweisen und rasche Einarbeitung in die relevanten Geschäftsprozesse glaubwürdig versprechen müssen. Anwender sollten bei der Anbieterauswahl auf einschlägige Erfahrungen achten - und vorher selbst ihre Hausaufgaben machen: Schon zu Beginn des Projekts müssen sie wissen, welche ihrer Geschäftsprozesse betroffen sein werden.


E-Procurement, Marktplätze etc.

Generell ist das E-Procurement ein Teilbereich des B-to-B-Internet-Commerce, also der Abwicklung von Geschäftstransaktionen zwischen Unternehmen über das Internet. Die Marktforscher von IDC unterscheiden dabei je nach dem Einfluss der an der Transaktion beteiligten Parteien drei Segmente:




• "E-Distribution" ist die Variante des E-Commerce zwischen Unternehmen, in der der Verkäufer beziehungsweise eine Gruppe von Verkäufern den grössten Einfluss auf die Form der Transaktionsabwicklung hat. Der Verkäufer (als Betreiber einer Verkaufslösung) gibt die Rahmenbedingungen einer Transaktion vor. Hierzu gehören beispielsweise die allgemeinen Geschäftsbedingungen, Zahlungsmöglichkeiten, Rabatte, Mindestabnahmemengen und nicht zuletzt die Definition der berechtigten Nutzergruppen.





• "Elektronische Marktplätze" führen Käufer und Verkäufer gleichberechtigt auf einem virtuellen Marktplatz zusammen. Diese unterscheiden
sich von sogenannten "Private Exchanges" - also Marktplätzen, die
in der Regel von einer Käuferorganisation betrieben werden. Sie berücksichtigen die Interessen von Käufer und Verkäufer nicht gleichberechtigt und zählen insofern nicht zu den "E-Marketplaces".




• "E-Procurement" meint Transaktionen, die von einer oder mehreren Käuferorganisationen ausgehen. Hierzu zählen auch die "Private Exchanges".




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