"Die Branche befindet sich in einer Phase der Selbstreflektion"

Der oberste IBM-Consultant Ruedi Vontobel über den aktuellen Gemütszustand der einst so stolzen Branche.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/20

     

InfoWeek: IT-Consultants haben ein Imageproblem. In der Vergangenheit versprachen sie viel, halten indessen konnten sie wenig. Heute stellen sich viele Unternehmen die Frage: Braucht es IT-Consultants überhaupt?

Ruedi Vontobel: Wir verstehen uns nicht als IT-Berater, sondern als Unternehmensberater. Das war der revolutionäre Schritt, den wir vor knapp einem Jahr mit der Integration von PWCC vollzogen haben. Wir machen keinen Unterschied zwischen Business-Beratern und IT-Beratern. Deshalb muss die Fragen lauten: Braucht es generell Berater? Wir sind der Meinung: Ja, es braucht uns. Die Kunden stehen unter einem enormen Druck und viele haben Handlungsbedarf. Sie brauchen eine Sicht von aussen und Best-Practices. Sie brauchen auch Kreativität, Innovation und Branchen-Know-how.




Innovation und Kreativität stehen derzeit aber in der IT nicht mehr hoch im Kurs. Es ist die grosse Kommodifizierung im Gange. Ist das auch der Grund, warum IBM Business Consulting Services (IBM BCS) vermehrt aufs Business setzt?

Jein. Einerseits ist es sicher so, dass die IT reifer wird und sich offene Standards etablieren, was zu einer gewissen Kommodifizierung führt. IT ist tatsächlich allgegenwärtig und per se kein kostbares Gut mehr. Sie ist allerdings dann kostbar, wenn sich Unternehmen durch sie im Markt differenzieren können. Das Umsetzen der Businessprozesse in IT und umgekehrt - das ist nach wie vor noch keine Kommodität. Hierzu braucht es Fertigkeiten, Kreativität und Methoden. Ansonsten besteht die Gefahr, das Ziel aus den Augen zu verlieren.



Wie zu Zeiten des E-Business-Hypes?

Genau. Während des E-Business-Booms wurden viele Sünden begangen. Man versuchte beispielsweise, alles gleichzeitig zu machen: Business-to-Consumer und Business-to-Business. Das war ein Fehler. Genauso wie die Einführung von Applikationen ohne Rücksicht auf die Businessprozesse.



Entsprechend misstrauisch und zurückhaltend sind die Kunden jetzt. Das hat zur Folge, dass Sie den Kunden stärker umwerben müssen. Wie machen Sie das überhaupt?

Indem wir versuchen, die richtigen Themen anzusprechen, Themen, von denen wir glauben, sie wecken Interesse. Beispielsweise gehört der Balanced-Scorecard-Approach dazu. Diese Themen, rund ein Dutzend an der Zahl, hieven wir dann auf eine Tagungsplattform oder wir fertigen Studien dazu an, die wir unseren Kunden abgeben.



Die Kunden sind heute eindeutig am längeren Hebel. Wie reagieren Sie auf deren Forderung: "Geld gibt es nur bei erfolgreichem Projektabschluss?"

Wir sehen das als durchaus mögliche Entwicklung an. Man muss allerdings den Business Case ganz genau anschauen. Man muss sich fragen: Wie hoch ist das Investment, und wann kommt der Return on Investment? Wenn aber der Kunde erst zahlt, wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen ist, lädt er einen enormen Druck auf seine Schultern. Denn als Consultant muss man in einer solchen Situation zwingend massiv Einfluss nehmen können. Das beginnt bei den wesentlichen Parametern des Projekts und endet letztlich in einem tiefen Einblick in die Unternehmensstrategie. Will der Kunde das? Zu Ihrer Frage: Wir glauben, dass die Idee des "geteilten Leids" ein gutes Rezept für eine erfolgreiche Zusammenarbeit darstellt.



Ein weiterer Trend, der den Consultants derzeit das Leben schwer macht, ist die schleichende Entwicklung in Richtung gratis erbrachter Leistungen. Was halten Sie davon?

Nicht sehr viel, denn auf lange Sicht geht die Rechnung nicht auf. Aber es ist klar: Konzept-Entwicklungen, die einem Unternehmen einen klaren Nutzen aufzeigen, werden heute gratis angefertigt. Das kann schon ein relevanter Betrag sein, in der Höhe eines Mannjahres oder mehr. Das macht man aber nur dort, wo sich auch ein Geschäft ergibt. Eine klare Grenzziehung zwischen verrechenbarer und kostenloser Leistungen ist heute kaum mehr möglich. Der Gratistrend hat viel mit Vertrauensbildung in der Vorphase eines Projekts zu tun.



Lohnt sich das Geschäft überhaupt noch? Die Stundenansätze befinden sich im Sinkflug.

Das hat damit zu tun, dass im Markt klare Überkapazitäten vorhanden sind. Davon ist auch IBM nicht ausgenommen. Unsere Tagesansätze bewegen sich in einer Bandbreite von weniger als 2000 Franken bis mehr als das Doppelte. Wichtig ist, dass man den Projekterfolg nicht mit dem Tagesansatz vermengt. Der Tagesansatz taugt als Massstab nichts. Viel aussagekräftiger ist etwa ein Vergleich zwischen Investition und ROI. Wenn beispielsweise ein Kunde eine halbe Million investiert und drei Millionen spart, dann ist das ist das eine Super-Geschichte.



Alle IT-Consultants sind daran, ihre Effizienz zu steigern. Wie macht man das?

Indem wir klare Beratungsschwerpunkte setzen, nach denen sich der Consultant in seinen Projekten orientiert. Aber auch indem wir unsere Leute möglichst international einsetzen. Dabei kommen nicht nur ausländische Spezialisten in die Schweiz, sondern es gehen auch zunehmend Schweizer ins Ausland. Ebenso wichtig sind ein Knowledge Management, Kostensenkungsprogramme und die ständige Überprüfung der Infrastruktur.




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