IT-Zukunft: Ohne Politik geht es nicht
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/05
Ohne Politik geht es in der IT-Branche nicht mehr. Das ist an sich keine neue Erkenntnis. Schon seit vielen Jahren kommt es in jedem grösseren Unternehmen zu Grabenkriegen und Beschaffungskämpfen rund um den Einsatz der Informatik. Dabei spielt die sachliche Diskussion oft nur eine Nebenrolle. Es geht vielmehr um Politik - und damit um viele versteckte und offene Partikularinteressen und um Emotionen.
Doch in den letzten Jahren wird die Computerbranche immer stärker von der "professionellen" Politik erobert. Es geht nicht mehr nur um innerbetriebliche Angelegenheiten, sondern um grundsätzliche Fragen einer ganzen Branche. Diese scheint inzwischen erkannt zu haben, dass die Politik eines Staates - und mit ihr die Parlamentarier und ausführenden Behörden - auch für die IT-Industrie von erheblicher Bedeutung sind. Es lohnt sich darum, sich frühzeitig auch in diesen Kreisen entsprechendes Gehör zu verschaffen, bevor die Tatsachen geschaffen sind.
Anzeichen dafür gibt es schon seit einigen Jahren. Es begann mit stark steigenden Wahlkampfspenden an die beiden grossen US-Parteien. Alleine Microsoft spendete in den vergangenen Jahren mehrere Millionen Dollar, um die Aufmerksamkeit von Washington zu erheischen. Es habe Microsoft kalt erwischt, als man feststellen musste, dass es für das Funktionieren der Firma nicht mehr nur auf die Technik ankomme, die man produziere, konstatierte der heutige Microsoft-Chef Steve Ballmer im September 2000. Nun aber sei man wach, meinte er.
Damals ging es um den Antitrust-Prozess der Firma. Und Microsoft ist nicht die einzige Firma, die Lobbyisten für sich einsetzt: Letzte Woche erst verriet eine Mitarbeiterin des US-Justizministeriums, dass ein Lobbyist mehrerer Microsoft-Konkurrenten der Behörde im Herbst gedroht habe, sie würde von den Firmen im Silicon Valley keinerlei Hilfe mehr erhalten, sollte sie in den Vergleichsverhandlungen mit Microsoft nicht den Wünschen der Gegner des Softwaregiganten folgen.
Heute, erzählte die Dame frustriert, würden Konkurrenten weit mehr tun, als der Behörde bloss Dokumente zur Verfügung zu stellen und Auskünfte zu geben. Sie würden PR-Firmen und Lobbyisten beschäftigen, um Amtshandlungen zu beeinflussen, sei es durch die Medien, über den Kongress oder direkt. Die Firmen, konstatierte sie, sollten weniger Zeit mit Lobbying verbringen und sich mehr mit der Entwicklung besserer Produkte auseinandersetzen.
Das ist freilich eine Illusion. Ohne aktive Mitwirkung an der Politik eines Gemeinwesens geht es für ein grösseres Unternehmen heute nicht mehr. Denn sind die politischen Entscheidungen erst einmal gefallen und Gesetze gemacht, sind Änderungen oft nur noch schwer möglich. Dabei geht es nicht nur um Rechtsverfahren gegen einzelne Firmen, sondern auch um grundsätzliche Debatten wie etwa um Open Source. Ohne an dieser Stelle in der Sache Stellung beziehen zu wollen, fällt doch auf, dass viele jener Politiker und Verbandsvertreter, die über diese Dinge diskutieren, über die Sachverhalte selbst herzlich wenig wissen. Es geht - wie eingangs erwähnt - vielmehr um Emotionen, Prinzipien und vor allem um Profilierung. Für nüchterne, sachliche Diskussionen ist die Politik viel zu oberflächlich, und sie hat zuwenig Zeit.
Vor diesem Hintergrund ist es auch verständlich, dass sich Firmen wie eben Microsoft in die Diskussion einmischen. In Deutschland wird das gegenwärtig beinahe erheiternd vorexerziert: Nachdem eine partei- und verbandsübergreifende Petition den Umstieg des Deutschen Bundestages aus ordnungs-, wettbewerbs- und standortpolitischen sowie "demokratischen Gründen" auf Linux verlangte, reagierte der deutsche Microsoft-Chef Kurt Sibold mit einem geharnischten Brief. Er wehrte sich vor allem dagegen, die Wahl von Microsoft-Produkten als im Umkehrschluss undemokratisch zu bezeichnen. Daraufhin fühlte sich wiederum der "virtuelle Ortsverein" der SPD zu einer Presseerklärung berufen: Er fände es daneben, dass gerade Microsoft sich auf die Vielfalt der Demokratie berufe und bezeichnete deren offenen Brief allen Ernstes als "bösartige Propaganda".
Ich kann jeden IT-Spezialisten und jeden Anbieter der Branche verstehen, der ob solchen Diskussionen nur den Kopf schüttelt. Sie sind aber wohl der Preis dafür, dass die Politik das tut, was viele sich so lange erhofft und gefordert haben: Dass sie die Informationstechnik ernst nimmt und sich damit auseinandersetzt, wenn auch auf ihre Weise.
Wir können diesbezüglich aber froh sein, dass wir in der Schweiz leben: Hier werden solche Diskussionen etwas sachlicher geführt. Als Bill Gates vergangene Woche in der Schweiz weilte, traf er sich natürlich ebenfalls mit Politikern und Behördenvertretern, um über das Open-Source-Thema zu diskutieren. Doch die Diskussion war von sehr viel pragmatischeren Aussagen geprägt. Jürg Römer, Delegierter der Informatikstrategie des Bundes, brachte dabei die Schweizer Konsenspolitik bestens auf den Punkt: Nicht nur die Abhängigkeit von kommerzieller Software solle tief gehalten werden, sondern auch jene von offener Software.