Vernetzung als Basis für eHealth

Die IKT ist gleichzeitig Auslöser von Veränderungen im Schweizer Gesundheitswesen und Mittel für deren Um- bzw. Durchsetzung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/16

     

Öffentliche und private Spitäler, Arztpraxen, Apotheken, Pharmahersteller und -distributoren, Versicherungen, Lieferanten unterstützender Produkte und Dienstleistungen sowie Logistikanbieter bilden die Leistungsnetzwerke des Schweizer Gesundheitswesens. Sie werden von politischen und administrativen Restriktionen beeinflusst. Die sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Individualisierung, Anspruchshaltung, Mobilität, Alterung, Ethik etc.), neue medizinische Behandlungsansätze (etwa durch die Telemedizin) und Neuerungen insbesondere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) ziehen erhebliche strukturelle Veränderungen nach sich und führen häufig zu Leistungserweiterungen.
Diese fortschreitende Erweiterung der Leistungen wird nicht durch Wettbewerbsintensität geregelt, sondern zu Druck auf der Kostenseite führen. Andere Branchen, etwa die Maschinenindustrie oder Finanzdienstleister, haben dies durch eine hohe Arbeitsteilung unter den Akteuren und durch deren Vernetzung schon heute erreicht. Eine zentrale Rolle für die Arbeitsteilung und Vernetzung spielt der Einsatz von IKT-Mitteln, für den sich im Gesundheitswesen der Begriff «eHealth» herausgebildet hat.


Die Transformation beherrschen

Erste Anzeichen für einen solchen Spezialisierungs- und Konzentrationsprozess sind auch im Schweizer Gesundheitswesen erkennbar: Öffentliche Spitäler und Kliniken werden, teilweise mit privatrechtlicher Rechtsform, neu gruppiert und deren Führung neu geordnet. Gleichzeitig ist bei den Versicherern eine Konsolidierung in Gang gekommen. Diese Transformation bringt schwierige und in ihren Auswirkungen weitreichende Aufgaben wie beispielsweise die Fusion von Unternehmen, die Neugestaltung von Prozessen, die Anpassung von Führungs- und damit Machtverhältnissen sowie die Weiterbildung und -entwicklung von Mitarbeitenden mit sich. Die IKT ist dabei gleichzeitig Auslöser von Veränderungen und Mittel für deren Um- beziehungsweise Durchsetzung.




Der ganzheitlichen und systematischen Transformation von Unternehmen und der Leistungsnetzwerke, denen sie angehören, dient das St. Galler Business Engineering. Es beinhaltet Instrumente für Transformationsprozesse in ihrer ganzen Vielfalt: Von der Veränderung von Unternehmensstrukturen, Beziehungen zwischen Unternehmen, Unternehmenskulturen und Machtstrukturen über die Neugestaltung organisatorischer Prozesse bis hin zur Erkennung von IKT-Innovationen und der Entwicklung, Veränderung, Integration und Einführung von Applikationen.
Die Transformation erfolgt durch die systematische Bearbeitung der Ebenen Strategie («Was?»), Organisation («Wie?») und System («Womit?»), für die jeweils eine geeignete Auswahl an Modellen und Methoden bereitsteht. Die menschlichen Faktoren (Führung, Verhalten, Macht etc.) werden auf allen Ebenen konsequent berücksichtigt. Für die Anwendung im Gesundheitswesen wurde das Framework unter anderem um den Aspekt der regulatorischen Rahmenbedingungen ergänzt:




++ Auf Strategieebene: Gesetzgebung auf der Stufe des Bundes, die Aspekte der kantonalen Hoheit, Vorgaben zur interkantonalen Zusammenarbeit etc.



++ Auf Organisationsebene: TARMED, Swiss DRG usw.



++ Auf Systemebene: Format- und Klassifikationsstandards wie HL7, CDA/EHCR, DICOM, ICD.



Die Gestaltungsobjekte der Vernetzungsfähigkeit


Das CC HNE schafft Vernetzungsfähigkeit

Im Business Engineering wurde zur Bewertung und systematischen Weiterentwicklung der Arbeitsteilung unter den Akteuren des Gesundheitswesens das Konzept der Vernetzungsfähigkeit entwickelt. Dieses betrachtet auf allen erwähnten Ebenen die Vernetzungen zwischen den Akteuren. Es geht dabei auf der Ebene der Strategie um die Suche und Umsetzung von Kooperationen, auf der Ebene der Organisation um die Definition und Führung kollaborativer Prozesse, auf der System-ebene um die Kopplung von Applikationen und die Spezifikation von Schnittstellen sowie auf allen Ebenen um die Schaffung und Aufrechterhaltung einer Kooperationskultur.
Die Einflussfaktoren der Vernetzungsfähigkeit werden als Gestaltungsobjekte bezeichnet. So stellen etwa auf der Organisationsebene die Prozesse (bzw. deren Eigenschaften) einen Einflussfaktor für die Vernetzung dar: Sind die Prozesse definiert, beschrieben, geführt, messbar, transparent und einem Optimierungsprozess unterworfen, kann der Anschluss an Prozesse von potenziellen Partnern dadurch vereinfacht und wesentlich beschleunigt werden.
Das Kompetenzzentrum Health Network Engineering (CC HNE) am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen (IWI-HSG) arbeitet unter anderem daran, diese Gestaltungsobjekte für die Akteure des Gesundheitswesens in Referenzarchitekturen zu spezifizieren.


Weitere Aktivitäten, die zusammen mit Partnerunternehmen in Angriff genommen werden, sind:




++ Die Ausarbeitung einer Assessmentmethode zur Beurteilung der Vernetzungsfähigkeit einzelner Akteure des Gesundheitswesens (Reifegrade).


++ Die Definition von Entwicklungspfaden (Steigerung des Reifegrads).


++ Die Schaffung eines Zertifikats «Ready for eHealth».


Die Chance zur frühzeitigen Positionierung

Ein entscheidender Erfolgsfaktor für die einzelnen Akteure des Schweizer Gesundheitswesens ist die frühzeitige Positionierung, die durch eine ganzheitliche und umfassende Vorbereitung auf alle anstehenden Veränderungsprozesse sowie die zielorientierte Ausrichtung innerhalb des Leis-
tungsnetzwerks ermöglicht wird. Das CC HNE arbeitet mit seinen Partnerunternehmen aktuell an


++ Strategischen Optionen zur Steigerung der Vernetzungsfähigkeit (Suche nach Kooperationsszenarien, Partnern und Vereinbarungen).



++ Der Modellierung kooperativer Prozesse für Leistungserbringer (Austritt/Eintritt, Konsilien, gemeinsame Beschaffung und Logistik, gemeinsame Ressourcenplanung, Shared Services im Backoffice).


++ IKT-Architekturen für die optimale Unterstützung kooperativer Prozesse.


++ Der Spezifikation einer eHealth-Plattform (für alle Ebenen des Business-Engineering-Frameworks).


Die Autoren

Peter Rohner ist Projektleiter Kompetenzzentrum Health Network Engineering (CC HNE) am Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) der Universität St. Gallen (HSG). Robert Winter ist Direktor des IWI.




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