Editorial

E-Mail zwischen Lust und Last


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/16

     

Die NZZ bringt in ihrer Stellenbeilage jedes Wochenende ein Interview mit einer Frau oder einem Mann in Kaderposition. Dabei lautet eine Standardfrage: «Wieviele E-Mails beantworten Sie pro Woche?» Die Antworten lauten meist auf Werte zwischen 60 und 100, selten bis 200 und noch seltener auf «keine». E-Mail ist somit Norm geworden.
1986 war E-Mail technisch bereits reif und im Hochschulbereich die damals wichtigste Internet-Anwendung, aber in der Öffentlichkeit noch unbekannt. Gleichzeitig begann der Fax damals gerade seinen Siegeszug. 1996 hatte das Web soeben das Internet für jedermann attraktiv gemacht und damit auch E-Mail als allgemeines Kommunikationsmedium. Und 2006 (siehe oben) hat E-Mail im Arbeitsalltag der Schweizer Führungskräfte einen festen Platz und beansprucht manche Stunden teurer Manager-Arbeitszeit. Wie war das möglich?


Manager sind haushälterisch mit ihrer Zeit. Daher haben sie rasch die Vorteile von E-Mail erkannt und schätzen gelernt. Im Gegensatz zum Telefon kennt E-Mail weder Besetztzeichen noch nervenzerrendes Läuten beim nichtanwesenden Gegenüber E-Mail geht immer durch. Die Zeitverschiebung bei globalen Kontakten USA, ferner Osten spielt bei E-Mail keine Rolle mehr. Und ein Weiteres: Manager brauchen Übersicht über Aktuelles und Vergangenes. E-Mails lassen sich geordnet ablegen und mit Suchprogrammen rasch wieder finden, beides mühsame Prozesse bei Telefonaten und Zettelnotizen. Dass E-Mail auch noch portofrei verschickt werden kann, ist für Manager zwar weniger wichtig, aber trotzdem attraktiv. Viele Vorteile also. Der Siegeszug von E-Mail ist begründet.


Aber auch die erfolgreichsten Neuerungen haben ihre Schattenseiten. So schaffen E-Mails einen neuen Zeitdruck. Wer per E-Mail eine Auskunft anfordert, erhofft sich die Antwort innert Stunden, während mit der Briefpost ganz selbstverständlich Tage gewartet werden konnte. Wer Mails erst nach Tagen beantwortet, gilt leicht als Langweiler und das dürfen Manager nicht sein. Eine weitere und oft beklagte Last beim E-Mail-Verkehr ist die Flut der eingehenden Mails. Spam gehört dazu, aber auch die vielen unnötigen Kopien («ein cc kostet ja nichts!»), die oft so locker verschickt werden und viele Empfänger unnötig belasten. Und immer häufiger vergällen neue Probleme die Freude am Umgang mit dem bequemen Kommunikationsmedium E-Mail: Zuerst meldeten sich die Sicherheitsleute (Viren & Co.) und neuerdings sogar die Juristen, die angesichts zunehmender Haftpflichtfragen auch für Mails in Unternehmen die Archivpflicht anmahnen.
E-Mail ist somit ein Paradebeispiel für moderne Informatikentwicklungen und Fortschritte im Büro:


++ E-Mail kam nicht plötzlich, es dauerte Jahrzehnte bis zur vollen Akzeptanz.




++ E-Mail hat überzeugende Vorteile und kann sehr nützlich sein.


++ E-Mail hat kritische Nachteile, die beachtet werden müssen.


Wer moderne Informatikanwendungen nutzen will oder gar für deren Funktionsfähigkeit in einem Unternehmen verantwortlich ist, sollte sich diese drei Tatsachen immer vor Augen halten. Informatikanwendungen sind Infrastruktur, ihre Einführung braucht Zeit und Übersicht, damit der Nutzen gross wird und allfälliger Schaden vermieden werden kann.




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