Stefan E. Fischer: Arroganzfaktor Null am Arbeitsplatz
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/41
Würde Ihnen ein Gehalt von plus/minus 300'000 Franken, mindestens 6 Wochen Ferien, durchschnittlich 20 Stunden echte Arbeitszeit, Gratisflüge für Sie und Ihre Familie und Pensionierungsalter 55 zum vollen Gehalt als Anstellungsbedingungen passen? Mir auch.
Das Narrenluftschiff ist zwar jetzt abgestürzt. Aber die IT-Branche hat nicht besonders viel Anlass, über dermassen überrissene Anstellungsbedingungen (hier von Piloten) und mutwillig ruinierte Unternehmen in Häme oder Schadenfreude auszubrechen. Auch bei uns gab es über längere Zeit reichlich ungesunde Verhältnisse - gerade am Arbeitsmarkt. Wer sich als Analytiker, Organisator oder spezialisierter Programmierer mit klotzigem Selbstwertgefühl verkaufte, konnte die Bedingungen ins Irreale hochschrauben. Dass von den Unternehmen, welche solches zuliessen, nicht wenige schon bald darauf floppten, macht die Sache kaum besser. Vielmehr wirft das die Frage auf: Warum war so etwas möglich? (Und könnte es sich wiederholen?) Niemand stochert gerne in alten Wunden herum, aber Wehleidigkeit wäre fehl am Platz. Im Prinzip ist die Erklärung einfach: Die Wirtschaft war ein Casino. Die Details hingegen sind etwas komplizierter.
Was an den Finanzmärkten als "Lebensphilosophie" vorexerziert wurde, musste ja fast zwangsläufig auf den Arbeitsmarkt überschwappen! Nicht Leistung zählte in erster Linie, sondern Auftreten, Blenden, Spekulieren. Warum sollte sich nicht auch der gefragte Arbeitnehmer bei der Geldmaschine anstellen und kräftig hinlangen? Die hohen Gehälter waren ja in vielen Fällen eben gerade darum möglich, weil die Börse das Geld hergab, und auch sonst viel "auf Verdacht" investiert wurde - selbst wenn viel mehr teure Projekte da waren als absehbare Erträge. Motto: "Je irrwitziger das E-Projekt, umso cooler der Job". Oder noch verwegener: "Die Welt wird unsere Geniestreiche ganz einfach haben müssen." Aber sie musste gar nichts...
Das Resultat ist erstaunlich: Man findet wieder gute Leute. Zu vernünftigen Preisen. Aber wie sorgen wir dafür, dass es so bleibt? Die IT-Branche ist alles andere als einheitlich strukturiert. Aber klar ist, dass man in Zukunft nur noch so weit gehen kann, wie bezahlbare Manpower-Qualität zur Verfügung steht. Und für die Beurteilung von Arbeitsqualität gibt es Kriterien. Nicht neue, aber weiterhin brauchbare!
Ausbildung und Weiterbildung auf hohem Niveau bilden die Basis. Hochschulabgänger mit arrogantem Gehabe sollen allerdings erst mal zeigen, ob sie mehr können als Lehrbuchseiten in Konzepte einkleben.
On-the-Job-Erfahrung in möglichst vielen Kundenbranchen schafft die Kompetenz, die wiederum das Vertrauen der Kunden gewinnt und die Anlaufkosten reduziert. Ja, sicher, man muss die jüngeren Leute dann auch an die interessanten Jobs ranlassen - aber die sollen sich dafür richtig reinknien und den existierenden Markt, bzw. den Kunden, ernst nehmen.
"Menschliche" Qualitäten sind wieder gefragt: Wir brauchen nicht Egozentriker und Narzissen, sondern teamfähige und projektorientierte Mitdenker, die sich höchstpersönlich für alle Dimensionen eines Projekts interessieren - beispielsweise für solche Banalitäten wie Kostenkontrolle und Effizienz in der Abwicklung.
Dass hier in den Goldrush-Zeiten der IT-Geschichte nicht immer alles zum besten bestellt war, muss man zu einem guten Teil auch den Unternehmen selber anlasten. Ihre Verantwortung besteht folglich darin, wieder für echte Wertschöpfungsqualität zu sorgen, wenn der Arbeitsmarkt funktionieren soll. Die Unternehmensstrategie muss (wieder) auf eine vernünftige, verkraftbare Entwicklung ausgerichtet sein. In dauernder Hektik entsteht letztlich kein positives Arbeitsklima. Und hochspekulative Projekte schaffen in Zukunft kaum mehr Vertrauen in die Kompetenz der Führung. Vielleicht könnte man das, was jetzt nötig ist, auch mit dem guten alten Begriff "Common Sense" umschreiben.
Dieser gesunde Menschenverstand müsste uns zum Beispiel gerade jetzt nahe legen, dass die Zeit günstig ist, falsch besetzte Positionen zu bereinigen. Das hat mit Zynismus wenig zu tun, sondern mehr mit einem vernünftigen strategischen Entscheid. Es geht darum, das Unternehmen gesund durch die aktuellen und noch zu erwartenden Wirrnisse zu steuern.
Mitarbeiter und Kooperationspartner, die man bei der Stange gehalten hat, obwohl sie vielleicht kaum die Hälfte der erwarteten - und nötigen - Leistung erbringen, sind nicht mehr verkraftbar. Die naheliegendeste Problemlösung wird dadurch behindert, dass sich offensichtlich übersetzte Gehälter im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses kaum auf das richtige Niveau reduzieren lassen - ein Fehler im System! Also bleibt nur die Trennung. Da hör' ich zwar Wehgeschrei, aber: Wäre es auf der anderen Seite sozialer, wenn wir diejenigen, welche richtig eingestuft sind und ihren Job gut ausfüllen, den "Tieffliegern" die Löcher stopfen lassen?
Die Zeit des Sich-etwas-Vormachens ist in unserer Branche wohl vorbei. Oder, frei nach Schopenhauer: "Sage mir, wer Deine Mitarbeiter sind, und ich sage Dir, wer Du bist…"