Stefan E. Fischer: Feiner geknüpfte Netze entscheiden über die Zukunft
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/37
Auf das anschaulichste Beispiel eines wirtschaftlichen Erfolgsfaktors stiess ich kürzlich durch meine Kinder. Wir hatten eben meinen Wagen zum Service gebracht, als vor dem
Garagebetrieb Autos von einem Transporter abgeladen wurden. Naturgemäss führte dies zu einer Reihe neugieriger Fragen. Als sich der Garagist Zeit nahm und den Kindern am Computerbildschirm vorführte, wie stark bei ihm die Bestellung von Neuwagen und von Ersatzteilen automatisiert ist, sah auch ich mit grossem Interesse zu: Hier wurde entlang einer Wertschöpfungskette neues Effizienzpotenzial erschlossen.
In einer wirtschaftlichen Gesamtsituation, in der aus den verschiedensten Branchen dieselben Klagen zu hören sind - schleppender Lagerumschlag, ungenügende Kundenbindung und wachsender Margendruck gehören zu den häufigsten Sorgen - ist die Fähigkeit zur Prozessvernetzung in der Tat zu einem Faktor geworden, der über das Wohl und Wehe selbst renommierter Anbieter entscheiden kann.
Das Grundproblem lässt sich in wenige Worte fassen. In der ganzen Wirtschaft sind die Unternehmen Teil einer komplexen Kette von Zulieferern und in der Regel auch von nachgelagerten Betrieben. Einer Kette, deren Glieder bisher nie so richtig ineinander greifen wollten: Es war unmöglich, alle Einzelprozesse genau aneinander und an die jeweils aktuellen Rahmenbedingungen anzupassen. An den Schnittstellen entstanden Verluste durch nutzlosen Überschuss oder - schlimmer noch - durch einen Mangel an Nachschub und somit durch Produktionsstockungen. Vergeudet wurden Ressourcen auch durch die Doppelspurigkeit von Prozessen wie etwa in der Artikeldatenverwaltung. Häufig war es überdies nicht möglich, durch eine Bündelung der Bestellungen Vorteile beim Beschaffungsmanagement zu realisieren.
Erst die Entwicklung der IT hat für einen erfolgversprechenden Lösungsansatz gesorgt: Das Supply Chain Management (SCM) ermöglicht es, die Prozesse enger zu vernetzen. Nun wird genau soviel produziert und geliefert, wie auch weiterverarbeitet werden kann. Finanzkräftige Grossunternehmen, die sich proprietäre Lösungen leisten können, gingen in dem Gebiet voran - zum Beispiel die Autoindustrie. Die Effizienzgewinne, die mit SCM erreicht werden können, lassen in der Tat aufhorchen. Eine Reduktion der Prozesskosten von 10 bis 20 Prozent ist keine Seltenheit, in spektakulären Fällen sind sogar 50 Prozent möglich. Mehr und mehr hält SCM auch im KMU-Bereich Einzug, oft in Form von Branchenlösungen.
Die Verbesserung der Wettbewerbsposition im einzelnen? Mit SCM stehen in Fabrikations- oder Handelsbetrieben gut gepflegte und vollständige Artikeldaten zur Verfügung. Die Publikation des Angebots im Internet ist leicht. Im B2B-Sektor (Business to Business) profitieren Geschäftskunden davon ebenso wie Privatabnehmer im B2C-Bereich (Business to Consumer). Gerade E-Shop-Lösungen können nun auf eine effiziente Basis zurückgreifen. Auch die klassische Verkaufsförderung wird einfacher. Nun können dem Händler sämtliche Daten standardisiert zur Verfügung gestellt werden.
Und damit erhalten eingesessene Branchen, die durch Billigimporte bedroht sind, neue Schlagkraft. Die Wettbewerbsfähigkeit verbessert sich unter anderem durch geringere Transaktionskosten und durch einen transparenteren Markt. In der Produktion minimieren sich die Durchlaufzeiten, und die Lagerbestände können abgebaut werden.
Möbelhersteller haben als typisch mittelständische Unternehmen ihre Chancen früh erkannt. In Norwegen etwa setzt ein Grossteil des Möbelsektors auf SCM - eine Entwicklung, die vom Branchenverband aktiv vorangetrieben wird. Und in Deutschland wickeln die zehn umsatzstärksten Unternehmen der Möbelbranche bereits 40 Prozent ihrer Wertschöpfung über SCM-Plattformen ab.
Auch Schweizer Erfahrungen zeigen bei SCM-Lösungen ein durchwegs positives Bild. Erstaunt es, dass jene Betriebe, die erste SCM-Schritte unternehmen, nach kurzer Zeit bereits neue Ausbauetappen anvisieren und damit ihre Transaktionskosten weiter senken? Wohl kaum! Denn die Preise lassen sich beim heutigen Angebotsüberhang nun einmal nicht mehr erhöhen. Eins ist sicher: Die SCM-Lösungen werden zunehmen, auf breiter Front. Liegt damit ein Argument gegen die Behauptung vor, das E-Business sei tot? Ganz bestimmt!