StarOffice 6: Gestraffte Office-Alternative

Mit einer öffentlichen Beta präsentiert Sun erstmals StarOffice 6, das auf reine Office-Funktionen reduziert wurde und auf Groupware-Features verzichtet.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/36

     

Vor gut einem Jahr hat Sun den Quellcode des aufgekauften Office-Paketes StarOffice 5.2 freigegeben. Auf dieser Grundlage basieren sowohl das Open-Source-Paket OpenOffice als auch das um proprietäre Erweiterungen ergänzte StarOffice 6 von Sun. Dieses hat die Firma soeben in einer ersten Betaversion für Windows, Linux und Solaris vorgestellt, und zwar sowohl in deutsch als auch in englisch. Als Zusatz im Vergleich zur freien Variante enthält die nicht im Sourcecode verfügbare Sun-Version die Datenbank Adabas D sowie eine Rechtschreibprüfung.


Eine einzige Anwendung für alle Aufgaben

Genau wie OpenOffice wurde StarOffice 6 gegenüber dem Vorgänger deutlich gestrafft. Dessen nur mässig begeisternder Desktop, der über eine bereits vorhandene grafische Oberfläche gestülpt wurde, fehlt ebenso wie der Mail-Client und der Kontaktmanager mitsamt dazugehörigem Schedule-Server. Das Weglassen einer E-Mail-Software wird damit begründet, dass auf allen Plattformen andere Produkte zur Verfügung stehen - anders gesagt, gegen die Microsoft-Varianten konnte sich StarOffice Mail unter Windows sowieso nie richtig durchsetzen. Damit reduziert sich der Funktionsumfang auf denjenigen eines klassischen Office-Paketes, was der Anwendung durchaus zum Vorteil gereicht.



StarOffice 6 umfasst die Textverarbeitung Writer inklusive dazugehörigem Formeleditor, die Tabellenkalkulation Calc, das Präsentationsprogramm Impress und das Zeichenprogramm Draw. Ergänzt wird dieses Paket durch die relationale SQL-Datenbank Adabas D, die als separates Paket vorliegt, aber auf Wunsch mitinstalliert wird. Hierbei handelt es sich um die Personal Edition in der Version 11, die auch vom Hersteller, der Software AG, kostenlos bezogen werden kann. Die Version ist auf drei gleichzeitige Benutzer und eine Datenbankgrösse von maximal 100 MB beschränkt.




Im Unterschied etwa zu Microsoft Office oder Corels WordPerfect-Suite verfolgt StarOffice seit je einen monolithischen Ansatz, was bedeutet, dass die gesamte Funktionalität in einer einzigen Applikation verpackt ist. Welche Office-Anwendung gewählt wird, hängt vom Dokumententyp ab. Dieses Vorgehen erlaubt zwar den schnellen Wechsel zwischen Textverarbeitung und Tabellen-Arbeitsblatt, fordert aber seinen Tribut in Form von Arbeitsspeicher. Abhängig von der Zahl und der Komplexität der geöffneten Dokumente genehmigt sich StarOffice gerne mindestens 30 MB RAM und somit deutlich mehr als eine einzelne Office-Anwendung von Microsoft.



Allerdings fällt dies bei den heutigen Speicherpreisen und der üppigen Grundausstattung eines aktuellen Rechners nicht mehr so stark ins Gewicht. Einen Teil der Anwendung lädt StarOffice allerdings unter Windows schon beim Systemstart, und zwar in Form des so genannten Schnellstarters, der über die Taskleiste den raschen Zugriff auf neue oder vorhandene Dokumente erlaubt. Dies frisst weitere 15 MB an RAM, der Schnellstarter lässt sich auf Wunsch aber auch deaktivieren.



Die Betaversion erweist sich als stabil genug, gemessen am Entwicklungsstand. Abstürze sind allenfalls bei komplexeren Aufgaben wie der Verknüpfung externer Datenquellen zu beobachten, bei der Linux-Version häufiger als beim Windows-Pendant. Für erste Gehversuche oder als Alltagswerkzeug für Anwender, die gerne die allerneuste Software einsetzen, eignet sich die vorliegende öffentliche Beta allemal.




Umfassende Funktionalität

Bedienung wie auch Funktionsumfang von StarOffice lehnen sich eng an Microsofts Office an, den De-facto-Standard unter Windows. Auch optisch passt sich die Windows-Version dem Erscheinungsbild des Betriebssystems - und der Microsoft-Office-Suite - an. Ein Detail am Rande: Im Gegensatz zu früheren Versionen sind Dialogfelder auch ausserhalb des Programmfensters sichtbar, was der von anderen Anwendungen her gewohnten Bedienung entspricht.



Mit diesen Massnahmen soll insbesondere Umsteigern die Arbeit erleichtert werden. Dazu zählt auch die Möglichkeit, Dokumente aus den Microsoft'schen Office-Formaten verzeichnisweise automatisch in StarOffice-Dateien umzuwandeln. Für die Datenspeicherung verwendet StarOffice 6 das Dateiformat XML, wobei die zusammengehörenden Informationen und Bilder als gezippte Datei abgelegt werden. Da die zugrundeliegende Dokumentenbeschreibung (DTD) mitgeliefert wird, liegt das StarOffice-Datenformat offen. Das erleichtert es Entwicklern anderer Software, Filter für StarOffice-Dateien zu schreiben. Obwohl dies sicherlich auch der Verbreitung dieses Officepaketes förderlich ist, verbucht Sun hier gegenüber Microsoft Pluspunkte, da die Dateiformate des Marktführers für Konkurrenten nur schwer erhältlich sind.




Einen etwas anderen Weg als Microsoft schlägt StarOffice auch mit dem sogenannten AutoPilot-Assistenten für den Zugriff auf externe Daten ein, beispielsweise für die Verwendung in Serienbriefen. Die Datenquelle wird nicht dokumentweise eingerichtet, sondern steht allen Dateien zur Verfügung. Es lassen sich mehrere Quellen aus einer breiten Palette von Formaten einrichten. StarOffice kann zum einen auf die Adressbücher von Windows, Outlook und Netscape/Mozilla zugreifen, zum anderen aber auch auf LDAP-Verzeichnisse, Datenbanken, Tabellen und Textdokumente. Vermisst werden allenfalls Outlook Express und nicht von Microsoft stammende Mail-Clients. Unter den Datenbanken werden das mitgelieferte Adabas und interessanterweise dBase direkt unterstützt, mittels ODBC oder JDBC lässt sich zum andern aber auch auf Access-Tabellen oder unternehmensweite Datenbanken wie Oracle zugreifen.



Diese Funktionen sind sicherlich auch dann nützlich, wenn man mit Hilfe der integrierten Scriptsprachen StarOffice automatisieren will. In der endgültigen Version werden sowohl StarOffice Basic als auch StarOffice Script zur Wahl stehen. Letzteres ist von JavaScript abgeleitet und erlaubt über Java-Funktionen den Zugriff auf Daten übers Internet oder Intranet. Ein zusätzliches Entwicklerkit (SDK) ist geplant, die integrierte Hilfe, die der Office-Hilfe von Microsoft übrigens wie ein Ei dem anderen gleicht, schweigt sich darüber aber noch weitgehend aus. Die Scripting-Fähigkeiten in der Betaversion sind also noch mit Vorsicht zu geniessen und darüber hinaus unvollständig, da StarOffice Script fehlt. Hier dürfte noch ein grösseres Stück Arbeit bis zur finalen Version anstehen.



Insgesamt bieten die einzelnen Module von StarOffice alle Funktionen, die von einem Officepaket erwartet werden. Kleinere Unzulänglichkeiten sind dennoch zu beobachten. So scheint den Entwicklern der Rechtschreibprüfung von Lernout & Hauspie nicht bekannt zu sein, dass in der Schweiz das sogenannte "scharfe S" ("ß") keine Verwendung findet, was zur Folge hat, dass jedes Wort mit Doppel-S als Fehler markiert wird. Und weshalb in einem Textdokument, das ja in erster Linie ausgedruckt wird, eine Internet-Adresse zwingend als Link und damit unterstrichen erscheint, ist ärgerlich und bedingt eine manuelle Nachformatierung. Der der Textverarbeitung angegliederte HTML-Editor erfüllt nur gerade die einfachsten Ansprüche. Mangels Unterstützung heute gefragter und sinnvoller Technologien wie etwa Style Sheets eignet sich dieser Teil von StarOffice höchstens für erste Gehversuche.




Brauchbare Filter für Microsoft-Formate

Aufgrund der dominanten Position von Microsofts Office, das schätzungsweise 90% Marktanteil besitzt, wird heute jeder Computeranwender mit Word- oder Excel-Dokumenten konfrontiert. Demzufolge muss sich ein alternatives Officepaket an der Qualität seiner entsprechenden Filter messen lassen. StarOffice geniesst diesbezüglich einen recht guten Ruf, und die neue Version 6 wird diesen kaum verschlechtern. Nebst anderem unterstützt sie sowohl beim Öffnen als auch beim Speichern die Word-, Excel- und PowerPoint-Formate in der aktuellen, auch für Office XP verwendeten Version 2000. In unseren Tests liessen sich selbst umfangreiche Dokumente ohne gravierende Probleme öffnen. Mehrseitige Worddokumente, Excel-Tabellen mit 3D-Diagrammen und PowerPoint-Präsentationen mit eingebetteten Grafiken bewältigte StarOffice anstandslos, mit durchwegs zufriedenstellenden Resultaten.



Allerdings sind in einigen Fällen gewisse Nachbearbeitungen nötig. So ging beispielsweise eine Kapitel-Numerierung beim Sichern als Worddokument teilweise verloren, und beim Import eines Word-Serienbriefes mit einer Excel-Tabelle als Datenquelle löste sich die Verknüpfung. Dies hatte zur Folge, dass die Tabelle - im Excel-Format - als neue Datenquelle eingerichtet werden musste und die Felder des Serienbriefes neu zu verknüpfen waren.




Doch während solche Anpassungen noch zu bewältigen sind, stellten VBA-Macros StarOffice vor ernsthafte Probleme. Zwar erkennt die Office-Suite diese eingebetteten Scriptprogramme und kann sie auch unbeschädigt wieder speichern. Aber anwenden lassen sie sich nicht, dazu müssten sie erst in StarOffice-eigene Macros konvertiert werden. Entgegen den Ausführungen in der Online-Hilfe können VBA-Macros aber nicht bearbeitet werden - es ist zu hoffen, dass es sich hierbei um einen Fehler in der Betaversion handelt.



Schwierigkeiten bekundete StarOffice auch mit Microsoft-Office-Dateien, in die andere Office-Dokumente eingebunden waren. Zwar liess sich eine entsprechende Word-Datei mit Excel-Tabelle anstandslos öffnen, das Speichern, wiederum im Word-Format, führte aber zu einem Programmabsturz mit Datenverlust.



Bei normalen Office-Dokumenten - und damit wohl in der Mehrheit der Fälle - erweisen sich die Filter für die Microsoft-Dateiformate aber als brauchbar. Je komplexer die importierten Dokumente ausfallen, desto eher ist mit Schwierigkeiten zu rechnen. Probleme der grundsätzlichen Art scheint StarOffice die OLE-Technologie von Microsoft zu verursachen, mit der sich Dokumente dynamisch in andere einbinden lassen. Wie weit dies auf die Betaversion zurückzuführen ist, wird erst die finale Version zeigen. Derzeit empfiehlt es sich jedenfalls, im Zweifelsfall mit Kopien von Dokumenten in Microsofts Office-Formaten zu arbeiten.


Mit gemischten Chancen

Gegenüber dem Vorgänger stellt StarOffice 6 sicher eine Verbesserung dar. Die Beschränkung auf - mehr als ausreichende - Office-Funktionen und das folgerichtige Weglassen der Desktop- und Mailkomponenten sind als Fortschritt zu bezeichnen und erhöhen die Attraktivität dieses Officepaketes. Dazu tragen auch die Importfilter bei, die in den allermeisten Fällen, also bei einfacheren Dokumenten, ihre Arbeit klaglos verrichten. Hinzu kommt der konkurrenzlose Preis, denn auch StarOffice 6 dürfte bei seinem definitiven Erscheinen im Frühjahr 2002 wiederum als kostenloser Download oder günstige verpackte CD-Version erhältlich sein.




Die ernsthaften Probleme, mit denen sich Suns Büropaket konfrontiert sieht, liegen weniger auf der technischen Ebene als viel mehr in der herrschenden Situation. Denn die Dominanz von Microsoft Office lässt sich mit einer vergleichbaren Software alleine nicht brechen. Folglich ist also nicht anzunehmen, dass Sun seinen Marktanteil im Officebereich von einer geschätzten tiefen einstelligen Prozentzahl nur mit StarOffice 6 markant erhöhen kann. Die besten Chancen wird das Paket, entweder in der Sun-Version oder als OpenOffice, auf Sun-Workstations und Linux-Rechnern haben. Dort stellt es das derzeit ausgereifteste Officepaket dar. Unter Windows ist StarOffice 6 aber sicher einen Versuch wert, insbesondere für diejenigen, die auf der Suche nach einem günstigen Officepaket sind.



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