Recht im Internet: Die Content-Haftung der Schweizer Provider
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/34
Verbrecherische Handlungen gibt's im Internet mehr denn je. Es werden rassendiskriminierende Hasstiraden in Umlauf gesetzt, kinderpornographische Bilder und Videos getauscht und nicht zuletzt - wie die Untersuchungen der Attentate in den USA nach und nach zeigen - auch im grossen Stil Verbrechen geplant und koordiniert. Viele dieser Taten haben direkte Auswirkungen auf die Schweiz, obwohl sie meist im Ausland vorbereitet und durchgeführt werden. Die Strafverfolgung in der Schweiz ist aber alles andere als einfach - was den Strafverfolgungsbehörden logischerweise ein Dorn im Auge ist. Seit längerem nehmen diese deshalb die hiesigen Internet Provider ins Visier, die überhaupt erst den Zugang zu solchen strafbaren Inhalten bereitstellen. Sie sollen fremde illegale Inhalte sperren, filtern und vom Netz nehmen. Tun sie es nicht, sollen sie als Gehilfen zur Verantwortung gezogen werden.
Ob Internetprovider als Gehilfen bestraft werden sollen, wenn fremde illegale Inhalte ihren Weg zum Internetnutzer finden, und unter welchen Voraussetzungen dies geschehen soll, wird in der Schweiz seit etwa drei Jahren sehr kontrovers diskutiert. Verlässliche Aussagen zu machen, die den Rahmen der Verantwortung zuverlässig abstecken, erweist sich als schwierig. Strittig ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage, ob Internet Provider als Medienunternehmen gelten sollen, deren Handlungen vom Strafrecht in gewissem Masse privilegiert werden. Wird eine Straftat nämlich durch Veröffentlichung in einem Medium begangen, so ist primär der Autor selber strafbar. Erst wenn dieser nicht bekannt ist oder in der Schweiz nicht dingfest gemacht werden kann, wird der verantwortliche Redaktor oder die für die Veröffentlichung verantwortliche Person strafbar. Ist der Verfasser bekannt und kann er in der Schweiz vor Gericht gestellt werden, so ist er alleine strafbar. Als Medienunternehmen werden aber von vornherein nur der Host- und Content-Provider gelten können, der Speicherplatz zur Verfügung stellt oder Inhalte Dritter veröffentlicht. Der Access-Provider, der lediglich den Zugang zum Internet bereitstellt, kann vernünftigerweise nicht als Medienunternehmen bezeichnet werden.
Die Bundespolizei geht davon aus, dass sämtliche Provider, also auch Access-Provider, für widerrechtliche Inhalte verantwortlich gemacht werden können und auch aus eigenem Antrieb etwas gegen die Flut von widerrechtlichen Inhalten tun sollten - beispielsweise mittels Stichproben. Webhoster sollten auf Hinweis der Behörden oder Privater illegale Inhalte unverzüglich vom Netz nehmen, wollen sie sich nicht der Gehilfenschaft schuldig machen. Die Telekommunikationsbranche lehnt diese Forderungen der Bundesbehörden als rechtsstaatlich bedenklich und nicht vom geltenden Strafrecht gedeckt ab. Auch die Gerichte haben bis heute nichts zur Klärung dieser kontroversen Situation beitragen können. Nicht wenige Internetprovider fühlen sich deshalb im Augenblick als Sündenböcke.
Ein möglicher Lösungsansatz liesse sich wie so oft in der EU-Gesetzgebung finden. Die EU beschäftigt sich seit längerem mit dieser Problematik und hat in der sogenannten E-Commerce-Richtlinie bereits eine differenzierte Regelung der Verantwortlichkeiten ausgearbeitet. Diese Richtlinie muss bis am 17. Januar 2002 von den einzelnen EU-Ländern in nationales Recht umgesetzt werden. Danach sind reine Zugangsvermittler (Access-Provider) grundsätzlich nicht für die übermittelten Inhalte verantwortlich. Ebenfalls keine strafrechtliche Verantwortung soll die Provider für das "Caching" (die kurzzeitige Speicherung von Inhalten zur nachfolgenden effizienten Weiterleitung) treffen. Host-Provider sind nicht verantwortlich für illegale Inhalte, sofern sie keine Kenntnis davon hatten und die Widerrechtlichkeit nicht offensichtlich ist. Zusätzlich müssen sie den besagten Inhalt sperren oder entfernen, sobald sie genügend Kenntnis davon haben. Die Lösung der EU stuft also die Verantwortlichkeit der Provider über ihre Nähe zum veröffentlichten Inhalt ab. Eine Pflicht zur Überwachung der Inhalte oder der aktiven Suche nach Übeltätern ist explizit ausgeschlossen. Interessanterweise hat der Nationalrat erst kürzlich eine Motion angenommen, die eine Änderung des Strafgesetzes analog zur EU-Regelung vorschlägt.
Eine effiziente Verfolgung der Internetkriminalität kann aber letztlich nur funktionieren, wenn die Strafverfolgung länderübergreifend koordiniert wird, so wie dies der Europarat zu erreichen versucht. Anfang November 2001 wird voraussichtlich die sogenannte Cybercrime-Convention verabschiedet, bei deren Ausarbeitung nebst den Europarats-Mitgliedstaaten (u.a. die Schweiz) auch Länder wie die USA oder Japan aktiv beteiligt waren. Thema der Cybercrime-Convention ist unter anderem auch die Rolle der Internet-Provider in der Strafverfolgung.