Stefan E. Fischer: Gratisvorleistungen - bis zum Projektabschluss?

Immer häufiger bemerke ich, dass im Informatiksektor Gratisarbeiten in einem Umfang verrichtet werden, die eine Rentabilität der Projekte in Frage stellen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/33

     

Das Plakat, das in der Werkstatt meines Automechanikers hing, zeigte einen zerlumpten Landstreicher mit einem geschulterten Stock und einem Bündel. "Er gab stets die grössten Rabatte", klärte ein Hinweis den Betrachter über das Vorleben des Mannes auf.



"Etwas simpel", dachte ich mir jedesmal, wenn ich das Plakat betrachtete - in der Zeit, als ich meinen ersten Wagen anschaffte. Und dennoch hatte das Plakat recht, obwohl mein Mechaniker in keiner Weise die Warnung beherzigte, die er sich selbst an die Wand geheftet hatte. Das Material berechnete er häufig zu Selbstkosten. Und als er einmal meinen stotternden Motor mit ein paar Handgriffen wieder zu einem zufriedenen Schnurren brachte, wollte er partout kein Geld für seine Hilfe annehmen. Erstaunt es, dass seine Werkstatt jahrelang in einem baufälligen Haus untergebracht blieb?




Wenn ich heute an die Verrechnung unserer Informatikdienstleistungen denke, werde ich unwillkürlich an meinen früheren Mechaniker erinnert. Immer häufiger bemerke ich, dass im Informatiksektor Gratisarbeiten in einem Umfang verrichtet werden, die eine Rentabilität der Projekte in Frage stellen.



Müssen also jeder Bleistiftstrich und jeder Mausklick verrechnet werden, vom ersten Anruf des Kunden an gerechnet? Sicher nicht. Klar ist zwar, dass Anfangsbesprechung und Offertstellung kostenlos sind. Doch bereits in diesem frühen Stadium beginnen die Probleme. Wie detailliert soll eine Offerte sein? Und wieviel Konzeptarbeit darf darin eingeschlossen werden?


Für klare Verhältnisse sorgen

Eine Klärung der Verhältnisse tut not. Ausgangspunkt sind für den Anbieter immer präzise Angaben darüber, was im vereinbarten Leistungsumfang enthalten ist. Denn nur zu oft setzen es Kunden und Interessenten als selbstverständlich voraus, dass Gratisarbeiten weit über die Initialphase hinausreichen. Dass eine Anwenderschulung stillschweigend im Preis eingeschlossen ist oder dass der Support während Monaten zu den Garantieleistungen zählt.



Vom Informatikanbieter werden daher die Fähigkeit und vor allem der Wille zur Kommunikation verlangt. Werden mit dem Kunden oder Interessenten in einem Evaluationsplan alle Schritte bis hin zum Auftrag Punkt für Punkt durchbesprochen, ist bereits eine erste Sensibilisierung für die Thematik in die Wege geleitet. Voraussetzung für den Anbieter ist natürlich die entsprechende Schulung der eigenen Mitarbeiter.




Und wie verhält es sich mit jenem Rest an Leistungen, die sich gern einer Bemessung entziehen? Professionelles Projektmanagement - in der Offerte enthalten - erlaubt eine Feinstrukturierung und vermittelt die notwendige Trennschärfe, um vereinbarte Leistungen vom Mehraufwand zu unterscheiden.




Beachtung der elementaren Regeln

Werden einige Punkte beachtet, sind mögliche Konfliktpunkte schon von vornherein entschärft.




• Mit dem Kunden muss von Anfang an jeder Schritt im Detail besprochen werden.




• Die Kommunikation soll offen und regelmässig stattfinden. Es ist von Vorteil, die Häufigkeit der Kontakte in den Verträgen zu spezifizieren.




• Wer bei den Vertragsverhandlungen weitreichende und nebulöse Versprechungen macht, spannt sich selber Stolperdrähte.




• Für die Abgrenzung von Garantie, Support und Wartung sind klare Kriterien notwendig.




• Beraterleistungen müssen in der Aufstellung enthalten sein.




• Die Offerte soll in verschiedene Phasen gegliedert sein.




• Es muss vereinbart werden, dass moderne Projektmanagement-Methoden zur Anwendung kommen.



Bei den Verhandlungen hat der Dienstleistungsanbieter ein gewichtiges Argument auf seiner Seite: Ein gut strukturiertes Projekt liegt im beiderseitigen Interesse.



So klar das richtige Vorgehen aber ist, so sehr besteht die Gefahr, dass auch die anerkanntesten Regeln in der Praxis unterlaufen werden. Denn in einem hart umkämpften Markt ist die Versuchung gross, den Kunden mit pauschalisierten Zusatzleistungen ködern zu wollen. Mit nicht verrechenbaren Arbeiten schaden sich die Anbieter letztlich aber nur selbst. Und nicht nur sich: Nehmen die Gratisleistungen in der Informatik im bisherigen Tempo zu, besteht die Gefahr, dass eine ganze Branche den Marsch ins geschäftliche Death Valley antritt.



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