Assessment Center: Auf Herz und Geist geprüft

Wer einen neuen Job sucht oder Karriere machen will, wird von den Unternehmen immer häufiger zum Assessment gebeten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/31

     

Können Sie sich vorstellen, wie teuer eine Fehlplazierung in einem Unternehmen zu stehen kommt? Man kann rechnen wie man will, ab unterem Kader ist diese Summe in der Regel sechsstellig. Um solche Ausgaben zu senken und solchen Fehlbesetzungen vorzubeugen, werden in vielen Unternehmen Assessment Center eingesetzt.



Der Begriff Assessment Center (AC), lässt sich vielleicht am besten in seiner direkten Übersetzung aus dem Englischen begreifen: "To assess" bedeutet "einschätzen", "beurteilen". Und "center", das ist der Mittelpunkt. Es wird also beobachtet, eingeschätzt, beurteilt. Und im Mittelpunkt all dessen steht der Bewerber. Hauptsächlich aber ist Assessment ein professionelles Verfahren zur Beurteilung eines zukünftigen Kadermitglieds. Aber auch wer seit Jahren in einer Firma arbeitet, muss damit rechnen, dass der Chef plötzlich die Struktur seiner Persönlichkeit ergründen will.


Beurteilung ist nichts Neues

Assessment gibt es seit den dreissigern Jahren. Damals setzte die Deutsche Wehrmacht das "heerespsychotechnische" Verfahren zur Rekrutierung von Offizieren ein. Später übernahm es die englische Armee von den Deutschen, dann der amerikanische Geheimdienst. Schliesslich führte die US-Firma AT&T in den Fünfzigerjahren das Testverfahren in der Privatwirtschaft ein. Heute werden in der Schweiz sogar Lehrlingskandidaten in Persönlichkeitstests geschickt.



In vielen grossen Firmen sind ACs fest etabliert. Andere Unternehmen beauftragen Personalberatungen, die Bewerber zum Assessment antreten zu lassen. Geprüft werden Verhalten und Persönlichkeit des Kandidaten, weniger seine Fachkompetenz. Er soll seine Leistungsfähigkeit und Kompetenz für die komplexen Anforderungen einer Stelle, beziehungsweise seine Eignung als Führungsnachwuchs unter Beweis stellen.





Methoden und Übungen

Im AC werden an einem oder mehreren Tagen verschiedenste Prüfverfahren durchgespielt. Ganz sicher kommen Persönlichkeitstests oder Biographiefragebogen, Leistungstests, Gruppengespräche und Rollenspiele zum Einsatz. Geradezu typisch für jedes Assessment ist die "Postkorb-Übung". Im Rahmen dieser Übung haben die Teilnehmer diverse Notizen, Briefe und Geschäftsvorgänge zu sichten, zu bewerten und zu bearbeiten. Es gilt, alle Informationen im komplexen Zusammenhang zu bewerten, Prioritäten zu setzen, nicht in Hektik zu geraten und dennoch schnell zu entscheiden.



Eine besondere und beliebte Testform ist das sogenannte Stressinterview, in dem es insbesondere darum geht, den Bewerber durch negativ gefärbte Anspielungen und Fragen zu seiner Leistung sowie zu möglichen Mängeln und Schwächen unter Druck zu setzen und aus dem Konzept zu bringen. Auf dem Prüfstand steht dann vor allem seine persönliche Belastbarkeit, seine Standhaftigkeit.





Umstrittene Verfahren

Assessment ist nicht unumstritten. Laut einer Studie des Fachverbandes der Schweizer Psychologen zur Situation der Eignungs-Diagnostik, erfüllen 80 Prozent der eingesetzten Tests die Gütekriterien nicht.



Der Markt ist zur Zeit überfüllt mit selbsternannten Assessment-Spezialisten, die den Unternehmen ihre Dienstleistung in Sachen Personalentscheidungen abnehmen. Das Geschäft ist lukrativ. Ein Einzelassessment kostet rund 10'000 Franken. Für einen Kandidaten, der für tauglich befunden wurde und mehr als ein halbes Jahr seine Stelle behält, gibt es für die Beurteiler eine Erfolgsprämie von nochmals 10'000 bis 15'000 Franken.




Setzt man diese Zahlen jedoch in Relation zu den Kosten einer Fehlbesetzung, so kann das Votum nur für den Einsatz von AC bei der Auswahl und Entwicklung von Führungskräften lauten.



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