Stefan E. Fischer: Der neue Verkäufertyp - kein "E-Klinkenputzer"
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/29
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass in unserer Branche die Trauben höher hängen als auch schon. Investitionsbudgets und entscheidungsfreudige Kunden sind rar geworden. Dafür gibt es schon bald mehr Mitbewerber als spruchreife Projekte. Vielleicht liegt es daran, dass alles, was ein "E-" vorne hat, heute wie ein rotes Tuch wirkt. Wundern darf uns das nicht.
Tatsache aber ist, dass die Probleme unserer potentiellen Kunden nicht kleiner geworden sind. Je nach Stand der Konsolidierung ist Zentralisation oder schon wieder Dezentralisation angesagt. Oder Baustellen bleiben bestehen, etwa weil Projekte aufgrund von Budgetstopps nicht abgeschlossen wurden.
Der Verkauf ist also heute gefordert wie nie zuvor. Aber was hat sich grundsätzlich geändert? Ich meine, es lässt sich am treffendesten mit dem "Umschlagen" von Quantität in Qualität umschreiben. "Klinkenputzen" - möglichst viele Kontakte in möglichst kurzer Zeit - bringt heute zuwenig. Der Kunde kauft nur noch, wenn er wirklich etwas braucht, und oft genug nicht mal mehr das. Es wird also mehr verlangt von uns!
Dieses Mehr kann letztlich nur im Verkauf von ganzheitlichen Lösungen bestehen, welche zusammen mit dem Kunden erarbeitet werden müssen. Das allerdings fordert den Verkauf gewaltig heraus: Es genügt nicht mehr, alle Produktefeatures zu kennen - die Beraterfunktion wird immer wichtiger. Verkauf wird zu einer strategischen Angelegenheit. Und er muss auf einer Vertrauensbasis beruhen.
Das geht schon in der Pre-Sales-Phase los: "Wer ist die richtige Ansprechperson - nämlich diejenige mit Entscheidkompetenz?" Keine einfache Frage, denn von den E-Business-Verantwortlichen, die ich kenne, sind viele im Gefolge der E-Krise durch interne Machtkämpfe in ihrem Handlungsspielraum begrenzt worden.
Zu den Ansprechpersonen sollte auch jemand gehören, der die unternehmerische, organisatorische und informationstechnische Problemlage des Unternehmens kennt - und bereit ist, diesen Gesamteinblick überhaupt zuzulassen! Das heisst, Probleme müssen auch zugegeben werden. Der Verkäufer, der diese Facts "herausholen" will, braucht Fingerspitzengefühl und Verständnis für Hierarchien.
Aber er benötigt auch ausgeprägte Sachkompetenz. Echte Lösungen lassen sich nur realisieren, wenn der Verkäufer in der Lage ist, die unternehmerischen Probleme des Kunden wirklich in das Angebot einzubeziehen. Ohne Grundlagenkenntnisse über allgemeine Unternehmensprozesse (also betriebswirtschaftliches Wissen) und ohne Kenntnisse über die spezifischen Rahmenbedingungen in der Branche des Kunden geht das nicht. Das steht unter anderem im Gegensatz zum Produktverkauf, bei dem oft erst im nachhinein ein Business Case "hineinkonstruiert" wird.
Wird da der "neue Verkäufertyp" gefordert? Im Prinzip ja, denn "Lösungsverkauf" stellt viel höhere Anforderungen als "Produktverkauf". Aber damit ist nicht gemeint, dass solche Qualifikationen nicht erwerbbar seien. Nur kommen wir als Anbieter nicht mehr darum herum, diese Qualifikationen beim Verkauf gezielt zu fördern: mit genereller und branchenspezifischer Weiterbildung. Das kostet zwar etwas, macht sich aber in Zukunft bezahlt.
Sicher ist der ganzheitliche Verkaufsansatz aufwendiger - der Zyklus dauert länger. Er ist jedoch letztlich viel effektiver, da er die Kundenbedürfnisse genauer abdeckt. Durch die längere Analysephase wird oft zusätzliches Potential im Geschäftsprozess sichtbar, welches durch die individualisierte Lösung dann auch tatsächlich genutzt werden kann. Dass ein Verkäufer als "Gratis-Berater" - ohne spätere Auftragserteilung - "abgezockt" werden kann, ist leider immer möglich.
"Lösungsverkauf" erhöht gleichzeitig die Aussicht auf eine langfristige Kundenbeziehung, weil das Resultat in der Regel entwicklungsfähiger ausfällt. Entsteht später ein Ausbaubedarf, ist der ursprüngliche Lieferant/Entwickler eher gefragt als ein weitere Me-too-Player. Die alte Regel, wonach der "billigste" Kunde immer der bestehende Kunde ist - weil er durch blosse Pflege bei der Stange gehalten werden kann -, gilt heute mehr denn je. Auch wenn die Pflegekosten höher geworden sind.