Kein Kultur-Einheitsbrei!
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/11
Es gibt in der IT sehr unterschiedliche Erfolgskulturen und keine höhere Moral. Manche homogenen KMU verstossen gegen alle Lehrbuchregeln und zählen trotzdem zu den Besten, weil ihre Mitarbeiter hoch motiviert sind. Andere Firmen zählen genau deshalb zu den besten, weil sie nach Lehrbuch arbeiten. Beispiel: Firma X schickt die unerfahrensten Mitarbeiter zu den Kunden und lässt sie das Projektmanagement machen, Firma Y betraut damit besonders erfahrene Leute. Oder: Bei X muss ein Mitarbeiter sich das «Programmieren dürfen» erst erarbeiten, bei Y muss er sich das Tragen von Verantwortung verdienen. Doch beide Firmen haben einen exzellenten Ruf, beide verdienen viel Geld und beide glauben, dass der Grund dafür ihr überlegener Management-Ansatz ist. Die Wahrheit ist: Man kann vieles falsch machen, wenn man einige wichtige Dinge richtig macht. Erfolg oder Misserfolg einer IT-Firma sind das Resultat des Zusammenspiels von sehr vielen Faktoren, zu denen auch die Fortune des CEO zählt.
Ein anderes Beispiel: Innerhalb einer Firma gibt es zwei IT-Abteilungen. Abteilung A besteht grossteils aus hervorragenden Ingenieuren, die Nachhaltigkeit mit mittelfristig optimierten Entwicklungskosten anstreben. Abteilung B besteht hauptsächlich aus Hardcore-Techies, die darauf fokussiert sind, Cutting-Edge-Technologie als erste vor der Konkurrenz einzusetzen. Beide sind für «ihre» Kunden die optimalen
IT-Partner und für die Kunden der anderen jeweils nur zweite oder dritte Wahl. Wenn man versuchen würde, die konträren IT-Kulturen zu homogenisieren, schüfe man hohe Risiken, aber wenig Chancen. Reibungsverluste, Kompromisse nach unten und Abwanderung der besten Mitarbeiter wären die möglichen Folgen. Doch auch friedliche Koexistenz ist keine dauerhaft produktive Lösung, weil sie mit der Zeit die Leistungsstandards verwäscht. Notwendig ist gemanagte Koexistenz mit punktuell fokussiertem Wissensaustausch. Denn sowohl Engineering als auch Technologie-Brillianz sind strategische Werte, von denen eine grössere Firma mit Vorteil beide besitzt und komplimentär einsetzt.
Eine derartige Zweikultur-Strategie in der IT bedarf aber einer starken, proaktiv kommunizierenden, inhaltlichen Führung durch das IT-Topmanagement. Dieses sollte Entscheidungen nach klaren ökonomischen Spielregeln fällen, mit dem Ziel, zugleich den kurzfristigen Kundennutzen und den mittelfristigen strategischen Wert des Portfolios aus unterschiedlichen IT-Kompetenzen zu optimieren. Für letzteres müssen die Hauptstärken regelmässig gebenchmarkt und permanent verbessert werden. Zudem sollte ein «sanfter» Wissensaustausch zwischen den konkurrierenden Kulturen etabliert werden. Und schliesslich muss alles zusammen unter das Dach einer für alle Beteiligten nachvollziehbaren, inhaltlichen Corporate Identity gestellt werden, die vom CIO mit Überzeugung vertreten wird.
Gemanagte Heterogenität ist das Gegenteil von Bottom-up-Selbstorganisation oder Kantönligeist und stellt eine grosse Herausforderung für alle dar – nicht nur für die Führung, sondern auch für die Mitarbeiter, die akzeptieren lernen müssen, dass einige ihrer firmeninternen Partner andere technische Wertvorstellungen haben als sie selber. Trotzdem ist sie langfristig einer nivellierenden Homogenität oder einer Laissez-Faire-Koexistenz überlegen, weil sie die Flexibilität bei der Umsetzung von Geschäftsideen erhöht.