Linux erklimmt den Desktop

Das freie Betriebssystem Linux ist nach wie vor ein Exot auf Firmen-Desktops. Erkenntnisse aus Benutzerstudien und Alltagserfahrungen sollen helfen, dies zu ändern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/08

     

Linux hat sich im Serverbereich etabliert. Dazu geführt haben nicht nur die traditionellen Stärken wie Sicherheit, hohe Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, sondern sicher auch geringere Lizenzkosten sowie die freie Wahl des Anbieters.
Auch auf dem Desktop wird Linux zunehmend eine ernstzunehmende Alternative. Dies beweist nicht nur die Firma Novell mit rund 3000 produktiv mit Suse Linux betriebenen Desktops, sondern auch die Tatsache, dass Städte wie München oder Wien den Desktop auf Linux migrieren. Auch an anderen Orten macht man sich zunehmend Gedanken darüber, ob die nächste Generation des Desktops zwangsläufig mit einem proprietären Betriebssystem aus Redmond bestückt werden muss.


Nischen besetzen

Bis dato war allerdings der Einsatz von Linux auf dem Desktop eher auf bestimmte Benutzerkreise zugeschnitten. Ein typisches Beispiel sind «Fixed Function»-Desktops, auf denen nur eine dedizierte Applikation läuft, wie beispielsweise Point of Sale Terminals (POS) oder Kiosk-Systeme. Ein anderes Beispiel sind «Technical Workstations», auf denen die Benutzer bestimmte Applikationen wie CAD/CAM einsetzen oder Software entwickeln. «Transactional Workstations» bezeichnet die für Call Center typische Umgebung, bei der mehrere spezialisierte Applikationen, Webbrowser und E-Mail verwendet werden. Solche Szenarien können mit den bestehenden Linux-Lösungen für den Desktop bereits heute erfolgreich realisiert werden.


Selbsttest

Die Migration der firmeneigenen Desktops zu Linux, über den Zeitraum der letzten zwei Jahre, hat es Novell ermöglicht, eine Anzahl von Defiziten hinsichtlich des Einsatzes von Linux im Office-Bereich («Basic Desktop») zu identifizieren und genauer zu analysieren, wie z.B. das Fehlen von Support-Funktionen für Visual-Basic-Makros oder die Unterstützung von Pivot-Tabellen in der Tabellenkalkulation. Häufig wurde auch die nicht hundertprozentige Kompatibilität mit den Microsoft-Office-Produkten bemängelt («Warum ist das Layout meiner Powerpoint-Präsentation in OpenOffice 1.x verschoben?»). Umfangreiche Benutzertests, die Novell mit nicht-technischen Anwendern aus allen Industriebereichen durchgeführt hat, haben zudem gezeigt, dass der an Windows gewohnte Durchschnittsbenutzer initiale Schwierigkeiten mit der Bedienung des Desktops hatte.
Für Novell wurde auch ersichtlich, dass bestimmte unternehmenskritische Applikationen nur unter Windows vorhanden waren. Dies galt zum Teil sogar für Webanwendungen, die doch eigentlich betriebssystemunabhängig sein sollten. Im vorliegenden Fall war die Applikation aber an den Internet Explorer und damit an die Windows-Plattform gebunden. Zudem, und dies ist im unternehmensweiten Einsatz äusserst wichtig, waren die Managementfunktionen für den Linux-Desktop noch nicht so weit wie erwartet. Softwareverteilung, Patch-Management sowie Desktop Lockdown und Thin Client Deployment skalierten noch nicht auf den unternehmensweiten Einsatz.


Aktive Problemlösung

Um den Linux-Desktop attraktiver für die Anwender zu machen, galt es in erster Linie, die besonders häufig genannten Kritikpunkte zu beseitigen - die ersten Resultate kann man zum Teil bereits in aktuellen Linux-Distributionen oder spätestens der nächsten Version von Suse Linux Enterprise Desktop sehen, die Mitte Jahr herauskommt. So hat sich Novell insbesondere bei der Entwicklung von OpenOffice.org 2.0 engagiert und die Unterstützung von Visual-Basic-Makros beigesteuert. Weiter wurden grundsätzliche Aspekte der Benutzbarkeit, wie zum Beispiel die Angleichung der in den Menüs verwendeten Terminologie an Microsoft-Office-Produkte, verbessert. Ebenfalls sind diverse Kompatibilitäts- und Geschwindigkeitsverbesserungen eingeflossen.
Die Resultate aus den umfangreichen Benutzertests wurden ebenfalls dazu verwendet, die generelle Bedienbarkeit des GNOME-Desktops zu verbessern: Das Hauptmenü ist neu gestaltet worden, was zu einer deutlichen Verbesserung seiner Übersichtlichkeit geführt hat. Darin integriert ist eine Desktop-Suchmaschine, die nicht nur sämtliche Dokumente des Benutzers, sondern auch E-Mails, Kontakte, Termine, Instant-Messaging-Konversationen und besuchte Webseiten durchsucht und indiziert. Der Task-Switcher zeigt eine kleine Vorschau der Applikation. Auf Knopfdruck verkleinern sich alle Fenster und arrangieren sich auf dem Desktop, wie man es von «Exposé» von MacOS X her kennt. Das Konzept des Workspace, das sich vielen Benutzern bisher nicht erschlossen hat, wird durch die Metapher des Würfels visuell begreifbar gemacht. Der Benutzer sieht beim Umschalten zwischen Workspaces wie sich der Desktop auf einem Würfel dreht und auf eine andere Seite wechselt. Auch das vor allem in Europa populäre KDE soll etliche der Verbesserungen demnächst erhalten.


Einstecken und verwenden

Verbesserungen im Linux-Kernel bewirken, dass externe Hardware jetzt einfach eingesteckt werden kann und das Gerät wie erwartet eingebunden wird. So wird der Benutzer beim Anschliessen einer Digitalkamera automatisch gefragt, ob er die Bilder importieren möchte. Ähnliches geschieht beim iPod oder anderen Audiogeräten: diese werden automatisch erkannt und als Audioquelle in die Applikationen aufgenommen. USB-Geräte funktionieren reibungslos, und auch Bluetooth-Geräte wie Telefone und kabellose Mäuse können nach dem Plug-and-Play-Prinzip eingesetzt werden.
Dank Verbesserungen im Systemmanagement kann ein Linux-Desktop mittlerweile mit wenigen Mausklicks in eine Windows-Umgebung eingebunden werden. Benutzer werden über ein Active Directory authentifiziert und die entsprechenden Windows Shares automatisch eingebunden. Der
E-Mail-Client Evolution interagiert nahtlos mit einem Exchange-Server, so dass in Umgebungen, in denen Windows im Backend verwendet wird, problemlos auf Mails, Kontakte und Termine zugegriffen werden kann.


Zentrales Management

Auch das zentrale Desktop-Management wurde in der letzten Zeit stark verbessert. Professionelle Tools, unter anderem auch von Novell, erlauben das Verteilen von Software und Patches. Desktops können auf den Benutzer zugeschnitten und nach Bedarf in ihrer Funktionalität eingeschränkt werden. Zudem wird jetzt die Möglichkeit unterstützt, Linux auch als Thin Client auszurollen — eine Option, die vor allem für Schulen interessant sein dürfte.


Positive Perspektiven

Diese Verbesserungen haben massgeblich dazu beigetragen, dass Linux mittlerweile auch für den generellen Office-Gebrauch eine ernstzunehmende Alternative ist. Für die Gruppe der sogenannten «Power User», wie zum Beispiel Gamer oder Benutzer mit sehr spezialisierten Applikationsbedürfnissen, ist die Zeit für einen Wechsel auf einen Linux-Desktop noch nicht reif. Doch auch hier laufen Bestrebungen zur Zusammenarbeit mit Drittherstellern, um insbesondere die Multimedia-Situation zu verbessern.





Business-Desktop-Benutzerkreise


Die Autoren

Christian Egli (cegli@novell.com) ist Senior Consultant bei Novell Schweiz.




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