Editorial

Dringend gesucht: Schweizer IT-Genossen


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/06

     

Kaum zieht die Wirtschaft an, sieht sich die IT-Branche mit einem aus den Boom-Zeiten der Neunziger altbekannten Problem konfrontiert: Der Stellenmarkt ist schon jetzt so gut wie ausgetrocknet. Meine persönliche Einschätzung: Die kommende Ressourcenknappheit wird sogar noch gravierender sein als vor dem Niedergang der letzten Jahre. Gleichzeitig werden aber viele, die damals noch einen Job hatten, aussen vor bleiben.





Verschiedene Faktoren sind für diesen die nächsten paar Jahre andauernden Zustand verantwortlich. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es zwar relativ viele verfügbare Arbeitskräfte, doch sind die meisten davon nicht qualifiziert genug, um den neuen Ansprüchen der Branche zu genügen. Lösungen werden heute aufgrund von unternehmerischen und wirtschaftlichen Überlegungen angeschafft und nicht mehr, weil der IT-Leiter den unabwendbaren Niedergang des Unternehmens prophezeit, wenn man sie nicht kauft. Deshalb reicht es heute auch nicht mehr, wenn man als Verkäufer nett plaudern und schöne Prospekte aus der Tasche ziehen kann. Man muss schon etwas vom Geschäft seiner Kunden verstehen und überzeugende Lösungen präsentieren. Denn die Rezession hat mit den grotesken Systemlandschaften, in denen noch bis ins Jahr 2000 jeder Hype anzutreffen war, Schluss gemacht. Damals war es mit dem Verkauf oft auch schon getan. Richtig in Betrieb genommen wurden viele Lösungen gar nie. So konnten auch die arbeitslosen Opfer der kriselnden Baubranche über Nacht (respektive nach einem zweiwöchigen MCSE Camp) zum System Engineer avancieren.





Next, next, next, finish kann schliesslich jeder. Doch als die Systeme rausflogen und alles vom Konsolidieren redete, blieben auch die Blender und Schwätzer auf der Strecke. Wurde auch Zeit – vermutlich gibt es in keiner Branche so viel Inkompetenz wie in der IT.
Ein weiterer Faktor ist die anhaltende Verunsicherung. Wer heil durch die Krise gekommen ist, wechselt nicht. Der Stellenmarkt ist äusserst statisch. Das wird sich zwar mit anhaltend gutem Wirtschaftsklima ändern, nur löst das auch keine Probleme. Es wird lediglich eine Verschiebung der Ressourcen geben. Zudem droht wieder die Gefahr des Job Hopping.
Doch es kommt noch schlimmer: Vor allem kurzfristig dürfte der Engpass an Fachkräften besonders gross werden. Nach den Rekord-Jahresergebnissen, die von allen Seiten gemeldet werden, verfügt die Wirtschaft über viel Geld, das investiert werden kann. Die Budgets werden erhöht, um die Folgen jahrelangen Stillstands wettzumachen.





Nur: aufholen ist nicht genug. Man muss sich auch mit kommenden Themen auseinandersetzen und die nahe Zukunft planen. Beispielsweise die elektronische Abbildung von Prozessen, die nahtlose Einbindung mobiler Geräte und die Konvergenz von Technologien. Weil auch an der Ausbildungsfront nicht viel Erfreuliches zu erblicken ist, kann man sich die berechtigte Frage stellen, wer denn all diese Arbeit machen soll. Wenn das Ressourcen-problem nicht gelöst werden kann, müssen einige Unternehmen warten. Ich schlage ein Nummernsystem vor wie bei der Post. Dann kann man wenigstens noch anderes erledigen, bis ein Schalter frei wird.




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