ERP für Firmen mit mehreren Standorten
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/13
Durchforstet man den aktuellen Schlagwortwald rund um das Thema ERP (Enterprise Resource Planning), könnte man meinen, dass Technologie allein glücklich macht. Die Situation auf der Anwenderseite stellt sich aber häufig anders dar: Der Alltag vieler Schweizer Unternehmungen wird von strukturellen Umbrüchen dominiert. Fusionen und Übernahmen – im Englischen auch einfach «Mergers and Acquisitions» genannt – sind dabei einer der zentralen Treiber des strukturellen Wandels. Wie stark die Veränderungen in der Schweizer Industrielandschaft sind, merkt man häufig schon daran, dass viele traditionsreiche Firmennamen verschwunden sind oder Unternehmen unter einem neuen Kunstnamen auf den Markt treten. Die Veränderung betrifft die gesamte Industrielandschaft, vom KMU bis hin zum internationalen Konzern. Im Vordergrund steht dabei immer und immer wieder das Argument, «Synergien zu schaffen». Echte Synergien, die in Effizienz- und Effektivitätssteigerung resultieren, erfordern jedoch nicht nur strukturelle Veränderungen an der Oberfläche und am rechtlichen Mantel von Unternehmen. Im Hintergrund müssen Prozesse angepasst und verändert werden.
Heute sind Prozesse jedoch unzertrennlich mit Systemen und Systemlandschaften verknüpft. Dieser Umstand führt zu einem der grossen Widersprüche in der Realisierung von strukturellen Veränderungen: Während Unternehmen nach vorne hin neue Strategien und Synergien markieren, stellt sich die Systemlandschaft in vielen Fällen eher als ein wildes Antiquariat veralteter IT-Systeme dar. Von durchgängigen Systemlandschaften kann in den meisten Fällen kaum die Rede sein. Eine Lösung ist da nicht einfach: Veraltete Systeminseln mit moderner Schnittstellentechnik zu einem Gesamtsystem zu verbinden ist aufwendig, teuer und auf Dauer wenig erfolgversprechend. «Nichts tun» – noch immer eine beliebte Variante – hilft auch nicht weiter, da die Kosten für heterogene Systemlandschaften in der Regel sehr hoch sind und die Weiterentwickelbarkeit eher beschränkt ist. Einfache Lösungen, etwa einfach ein System aus der eigenen Sammlung zum führenden System zu erklären und auf alle anderen Einheiten des Unternehmens zu «roll-outen», scheitern zumeist aus einem einzigen Grund: der fehlenden «Multisite»-Fähigkeit.
Was nun heisst «Multisite»? Da es sich um eines der eher selten propagierten Schlagworte im ERP-Begriffs-Dschungel handelt, ist eine gewisse Erklärung notwendig: «Multisite» – oder zu Deutsch «Mehrstandortfähigkeit» – beschreibt die Eignung eines ERP-Systems, verteilte Organisationsstrukturen, das heisst logistische Prozesse über mehrere Standorte («Werke») und in der Regel rechtlich eigenständige Firmen («Mandanten» oder «Buchungskreise») hinweg abzubilden.
Multisite ist damit ein funktionaler Aspekt. Eine reine standortübergreifende Zugänglichkeit beziehungsweise Verfügbarkeit etwa auf Grund einer Programmierung in Java oder der Verfügbarkeit einer Weboberfläche allein reicht nicht aus.
Der Aufbau einer echten Multisite-ERP-Systemlandschaft ist kein einfaches Unterfangen. Neben dem gegenüber Ein-Standort-ERP-Installationen deutlich gesteigerten Integrationsgrad kommen durch die originären Multisite-Prozesse Gestaltungs-, Pflege- und Administrationsaufgaben hinzu, die im Unternehmen bisher nicht bekannt waren. Als typisches Beispiel kann hier die Materialstammdatenpflege genannt werden, in der einheitliche Nummernkreise und Bezeichnungslogiken durchzusetzen, aber auch zahlreiche Masken und Felder lokal und individuell zu pflegen sind.
Neben die konzeptionellen treten die kulturellen Probleme: Das Leben auf der eigenen ERP-Insel wird durch ein standortübergreifendes ERP-System, das man nicht mehr so einfach lokal verbiegen kann, deutlich beeinflusst. Lokale Freiheitsgrade gehen zugunsten von globalen Synergien verloren – ein Umstand, der für viele Anwender nicht immer einsichtig ist. Das Problem der Komplexität wird auch in der alljährlich durchgeführten ERP-Zufriedenheitsstudie sichtbar: Viele der eher schlecht bewerteten Systeme – SAP, PSI oder Infor – sind klassische Multisite-Lösungen, deren Installationen häufig eine enorme Komplexität aufweisen. Dem Nachteil der hohen Komplexität steht aber der Vorteil von nachhaltigen und globalen Synergien entgegen.
Gerade für Schweizer KMU wird Multisite immer mehr zu einer wichtigen Perspektive. Um Erfolg zu haben, darf man Multisite nicht als Schlagwort verstehen, sondern als Lernaufgabe und Wissensbereich. Erst wenn man das Konzept und die daraus resultierenden Möglichkeiten und Zwänge versteht, ist ein erfolgreiches Projekt möglich. Dass ein solcher Erfolg realisierbar ist, zeigt jedoch eine Vielzahl von Schweizer KMU, die mit sehr kleinen IT-Abteilungen weltweit vernetzte, auf einer einheitlichen ERP-Platform basierende Multisite-ERP-Systeme betreiben.
Verteilte Organisationsstrukturen (Wertschöpfungsstruktur)
Abbildung von Organisationsstrukturen mit mehreren Werken (Produktionsstandorten)
Möglichkeit zur Bildung von zentralen Einheiten
Einkaufs- und Vertriebsorganisation
Lager- und Distributionsstruktur
Abbildung der Stammdaten mit klarem Bezug zur Organisationsstruktur, z.B. kann sich der Einkaufspreis eines Rohmaterials je Standort (z.B. unterschiedliche Länder) ändern
Abbildung der Beziehungen zwischen verschiedenen Organisationseinheiten (etwa entlang der Wertschöpfungskette)
Buchhalterische Mandantenstruktur (Rechtliche Struktur)
Abbildung der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Firmeneinheiten
Abbildung der Bewertungsstruktur der einzelnen Mandanten
Möglichkeit zur Konsolidierung nach bestimmten Regeln
Firmenübergreifende Abwicklungen
Möglichkeit, Geschäftsprozesse über mehrere Firmen/Werke/Mandanten hinweg anzustossen und als «einen Geschäftsvorgang» zu betrachten, zu kontrollieren, zu steuern und zu bewerten
Abbildung und Planung von verteilten Produktionsstandorten
Intercompany-Verrechnung
Abbildung des Werte- und Materialflusses über mehrere Struktureinheiten hinweg
automatische Abwicklung der internen Werteflüsse, z.B. «Intercompany»-Verrechnung
automatische Ausscheidung von firmeninternen Geschäften bei der Bewertung
Sprachen
Verfügbarkeit der Software in verschiedenen Benutzersprachen
Möglichkeit, bestimmte Stammdatenobjekte, z.B. Artikelstamm, in verschiedenen Sprachen zu verwalten
Möglichkeit, bestimmte Formulare, z.B. Lieferschein, in verschiedenen Sprachen zu verwalten
Möglichkeit, die Verwendung von Sprachen in Stammdaten und Formularen mit einfachen Regeln, etwa in Abhängigkeit vom Empfänger oder Auftraggeber, zu steuern
Länderversionen
Verfügbarkeit von Länderversionen, die die jeweils lokalen rechtlichen Bedingungen erfüllen
Möglichkeit, mehrere Länderversionen auf ein und demselben System zu betreiben
Dr. Eric Scherer (scherer@i2s-consulting.com) ist Geschäftsführer der i2s consulting und Initiator der ERP-Zufriedenheitsstudie, die aktuell wieder angelaufen ist. Mehr Informationen zur Studie erhalten Sie unter www.erp-z.ch.