Konrad Zuse und die ETH Zürich
Quelle: Vogel.de

Konrad Zuse und die ETH Zürich

Die ersten funktionsfähigen programmierbaren Rechengeräte wurden gegen Mitte des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Konrad Zuse war einer der bedeutendsten Entwickler auf diesem Gebiet. Seine Z4 arbeitete von 1950 bis 1955 an der ETH Zürich. Diese Erfahrungen erleichterten den Bau einer ETH-eigenen Maschine, der ERMETH, wesentlich.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/07

     

Die Leistungen Konrad Zuses wurden sowohl in Europa als auch in den USA lange Zeit verkannt. Das deutsche Patentamt verweigerte Zuse sogar ein Patent für den Z4-Vorgänger Z3. Doch an der ETH Zürich hatte man die Zeichen des anbrechenden Computerzeitalters erkannt. Der Mathematiker Eduard Stiefel gründete im Januar 1948 an der ETH das Institut für angewandte Mathematik, Urahn des heutigen Departements Informatik.


Damit beginnt die Geschichte der Informatik in der Schweiz. Stiefel erkannte sehr früh die Bedeutung der Rechenautomaten. Er plante den Eigenbau einer solchen Maschine und war, um Zeit zu gewinnen, auf der Suche nach einem fertigen, betriebssicheren Gerät. Es gab einen zunehmenden Bedarf nach umfangreichen technischen Berechnungen, vor allem auch für die Zusammenarbeit mit der Schweizer Maschinenindustrie.



ETH Zürich mietet Relaisrechner Z4

Um 1950 gab es keine programmierbaren Rechner zu kaufen, und Stiefel war sich bewusst, dass der vorgesehene Eigenbau mehrere Jahre beanspruchen würde. Er hielt sich vom Oktober 1948 bis März 1949 in den USA auf, um sich einen Überblick über den Stand der Forschung zu verschaffen. Denn in den USA und in Grossbritannien gab es in den 1940er und Anfang der 1950er Jahre ähnliche Anlagen, die zum Teil schon mit elektronischen Bauteilen arbeiteten. Zwei seiner Mitarbeiter, der Elektroingenieur Ambros Speiser und der Mathematiker Heinz Rutishauser, verbrachten das Jahr 1949 in den USA (u.a. bei John von Neumann, Princeton, und bei Howard Aiken, Harvard). Sie sollten sich das Wissen für den Bau moderner Rechenmaschinen aneignen.

Die Miete der Z4 war als Übergangslösung gedacht. Die elektromechanische Z4 arbeitet mit einer schon damals veralteten Technik. Sie verwendet Relais statt Elektronenröhren. Doch Eduard Stiefel entschied sich trotz Warnungen für ihren Einsatz. Für den Zürcher Professor war die Verfügbarkeit von maschineller Rechenleistung wichtiger als die modernste Technik. Dieser mutige Entscheid erwies sich im Nachhinein als wegweisend.


Vorteile für beide Seiten

Der Mietvertrag wurde am 7. September 1949 in der Gaststätte des Badischen Bahnhofs in Basel unterzeichnet. Das Institut für angewandte Mathematik bezahlte Zuse insgesamt 30 000 Franken, damals ein erheblicher Betrag. Der Handel zwischen der ETH und Zuse brachte beiden Seiten grosse Vorteile: Zuse konnte mit dem Geld – die gesamte Summe war bei Vertragsabschluss beziehungsweise Abnahme der Maschine fällig – sein 1949 gegründetes Unternehmen Zuse KG aufbauen.


Der ETH stand kurzfristig eine beachtliche Rechenleistung zur Verfügung. Sie entsprach einem damaligen Rechenbüro mit etwa 40 mit mechanischen Tischrechenmaschinen ausgestatteten Personen. Neben den vier Grundrechenarten konnte die Z4 quadrieren, die Quadratwurzel ziehen und häufig verwendete Multiplikationen mit festen Werten wie Pi ausführen. Das Maschinenrechnen verhalf der ETH gegenüber anderen Universitäten zu einem wissenschaftlichen Vorsprung und förderte das Entwickeln von anspruchsvollen Algorithmen (Rechenvorschriften).


Zuverlässige Z4 lief nachts ohne Aufsicht

Die Rechenmaschine stand vom 11. Juli 1950 bis April 1955 im zweiten Stock des Hauptgebäudes der ETH Zürich, Raum G39, in Betrieb. Heute befindet sich dort das Forschungsinstitut für Mathematik. Die Z4 war der erste Rechenautomat an der ETH und auf dem europäischen Festland, der dem wissenschaftlichen Rechnen diente. Die mit Relais bestückte Z4 war wesentlich weniger störanfällig als modernere amerikanische Maschinen, die elektronischen Bauteile nutzten. Die Z4 war so zuverlässig, dass sie nachts ohne Aufsicht lief.


Im Prüfbericht von C. Böhm und H. Laett über die Erfahrungen mit der Zuse-Rechenmaschine vom 17. Oktober 1949 ist zu lesen: «Die Maschine sollte in zwei getrennten Räumlichkeiten untergebracht werden können, um so eine Trennung zwischen Bedienungsaggregaten (Tastaturpult, Abtaster, Locher und Drucker) und den Rechnungs- und Speichereinheiten zu gewährleisten. Auf diese Weise wird auch das Lärmproblem (Antriebsmotor und Speicherwerkantrieb) auf einfache Weise gelöst.»


Konrad Zuse schreibt in seiner Autobiografie: «Immerhin besass das verschlafene Zürich durch die ratternde Z4 ein, wenn auch bescheidenes, Nachtleben.» Und Ambros Speiser fügt bei: «Durch genaues Zuhören bekam man manche Aufschlüsse über den Programmablauf. Deutlich waren das Ticken des Programmabtasters, das Klappern der Relais im Rechenwerk und das Klirren der Speicheroperationen zu unterscheiden. Mit einiger Übung konnte man sagen, ob eine Addition, eine Multiplikation oder eine Division im Gang war.»


Vielseitiger Einsatz der Z4 an der ETH

Die Z4 wurde an der ETH Zürich für Arbeiten auf dem Gebiet der numerischen Mathematik verwendet. Für Aussenstehende kostete die Anlage zehn Franken je Stunde. Aus der Industrie gab es viele Aufträge: Berechnung der Spannungen in einer Talsperre, etwa bei Grande Dixence, Berechnungen zum Raketenflug oder zur Flugbahn von Geschossen, Untersuchungen zu Quantenmechanik, Hochfrequenztechnik und Optik, Schwingungen einer Lokomotive, Abflussregulierung der drei Juraseen. Hinzu kamen mathematische Untersuchungen, beispielsweise zu Bahnstörungen der Planeten Jupiter und Saturn. In den fünf Betriebsjahren an der ETH wurden etwa 100 verschiedene Probleme mit insgesamt rund 100 000 Z4-Befehlen programmiert.


Konrad Zuse weilte für Wartungsarbeiten oft in Zürich. Die ETH berief ihn nicht als Dozenten, verlieh ihm aber 1991 doch noch die Ehrendoktorwürde. Die Z4 wurde schliesslich von 1955 bis 1959 vom Deutsch-Französischen Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL) im elsässischen St. Louis eingesetzt. Die Technische Universität Berlin hatte sich damals vergeblich darum bemüht, die Z4 bekommen. Die Maschine kam erstmals 1960 ins Deutsche Museum nach München, wo sie seit 1988 ausgestellt ist. Sie ist heute noch in Teilen arbeitsfähig.



Eigenbau des Röhrenrechners ERMETH

Unter Leitung von Ambros Speiser, dem späteren Gründungsdirektor des IBM-Forschungslabors in Rüschlikon und des BBC-Forschungszentrums in Baden-Dättwil, entstand dann von 1953 bis 1956 die ERMETH (elektronische Rechenmaschine der ETH). Die Vorarbeiten begannen allerdings schon 1950. Im Unterschied zur Z4 arbeitet dieser elektronische Röhrenrechner im Dezimalsystem. Als Hauptspeicher für Programme und Daten dient eine Magnettrommel. Die ETH nutzte dieses Gerät von 1956 bis Herbst 1963 für Forschung und Lehre.

Der Koloss stand bis 2004 im Winterthurer Technorama und befindet sich jetzt im Museum für Kommunikation in Bern. Nachfolger der ERMETH war ab Frühling 1964 ein Transistorrechner CDC 1604A der amerikanischen Firma Control Data. Er verwendete einen Magnetkernspeicher als Arbeitsspeicher und Magnetbänder für den Massenspeicher. Nun waren solche Geräte endlich auf dem Markt erhältlich. Die ERMETH arbeitete 100x schneller als die Z4, die CDC 400x schneller als die ERMETH.


Kein Schweizer «Silicon Valley»

In der Schweiz gab es auch später bahnbrechende Entwicklungen von Rechnern, so die Arbeitsplatzrechner Lilith und Ceres von Niklaus Wirth an der ETH Zürich und Smaky von Jean-Daniel Nicoud an der ETH Lausanne. Niklaus Wirth, der bisher einzige deutschsprachige Träger des Turingpreises, der als „Nobelpreis“ für Informatik gilt, entwickelte wegweisende Programmiersprachen wie Algol-W, Pascal, Modula und Oberon. Unser Land hatte also gute Voraussetzungen für ein eigenes „Silicon Valley“.


Doch daraus wurde bekanntlich nichts. Denn es gelang leider nicht, die in der Schweiz gebauten Geräte erfolgreich zu vermarkten. Die einzige namhafte Herstellerin (von Zubehör) ist die im Raum Lausanne ansässige Logitech. Dennoch haben nach IBM in den letzten Jahren weitere namhafte Unternehmen wie Cisco, Disney, Google, Microsoft und Nokia Forschungsstätten in der Schweiz errichtet. Schliesslich wurde das World Wide Web am Europäischen Labor für Teilchenphysik (Cern) in Genf erfunden.




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