Die Unfähigkeit, zu entscheiden
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/04
Rund 90 Sekunden nach dem Abheben bemerkte ich: Da waren Vögel. Sie verdunkelten die gesamte Windschutzscheibe. Grosse Vögel. Zu nahe, um auszuweichen.» So beschrieb Airbus-Captain Sullenberger dem Nachrichtensender CBS im Februar 2009 den Beginn der wohl dramatischsten fünf Minuten seiner Pilotenlaufbahn. Am Ende dieser Odyssee setzte er das Flugzeug sicher auf dem Hudson River auf und rettete damit 154 Menschen das Leben. Angesichts der Tatsache, dass eine Notlandung auf dem Wasser zu den schwierigsten Manövern überhaupt zählt, kann Sullenbergers Tat sowohl menschlich als auch fachlich nicht hoch genug eingeschätzt werden. Geradezu euphorisch wurde er darum danach von allen Seiten gefeiert. Ein neuer amerikanischer Held war geboren und Präsident Barack Obama lud ihn zu seiner Amtseinführung nach Washington ein. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als Unsicherheit vorherrschte, weil viele US-Bürger um ihren Job bangten, zeigte Sully etwas, nach dem sich die Amerikaner, aber auch wir Schweizer sehnen: Die Bereitschaft eines Vorgesetzten, Verantwortung zu übernehmen und in Krisensituationen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Sullenberger gehört zu jener Gruppe von Leadern, die wissen, dass führen bedeutet, den Menschen Orientierung zu geben. Dies ist nur möglich, wenn man als Manager über die notwendige Entschlusskraft verfügt. Leider erfüllen nicht alle Vorgesetzten diese Vorbildfunktion. Sie ziehen es vor, entweder gar nicht zu entscheiden, in der Hoffnung, das Problem löse sich von selbst. Oder aber sie bestimmen einen Stellvertreter, der harte Entscheide kommunizieren und anschliessend umsetzen muss. Schon der italienische Staatsphilosoph Niccolo Machiavelli hat im Jahre 1514 empfohlen, unpopuläre Entscheide am besten anderen in die Schuhe zu schieben. In seinem Klassiker «Il Principe» riet er den Fürs-ten, alle harten Massregeln durch andere ausführen zu lassen und Gnadensachen selbst zu übernehmen.
Von einem guten Manager wird verlangt, dass er delegieren kann. So hat er den Kopf für die wirklich wichtigen Aufgaben frei. Unter dem Deckmantel eines modernen Führungsstils wird das Fällen von schwierigen Entscheiden mitunter aber auch an Untergebene delegiert. So will man sich als Chef elegant aus der Verantwortung stehlen.
Diese These wird durch eine Untersuchung von Björn Bartling von der Universität Zürich und Urs Fischbacher von der Universität Kons-tanz bestärkt. In einer Studie bildeten sie jeweils ein Team aus vier Probanden. Einer der Gruppe wurde zum Chef ernannt, einer war Stellvertreter und die beiden restlichen Mitglieder bildeten die Belegschaft. Die Aufgabe des Chefs war es, 60 Franken zu verteilen. Dabei hatte er die Wahl, das Geld entweder fair auf die Mitglieder der Gruppe aufzuteilen oder aber, sich und seinem Stellvertreter den Hauptteil zuzuschreiben. Zudem konnte der Chef entscheiden, ob er das Geld selber aufteilen möchte oder ob er die Aufgabe an Stellvertreter delegieren möchte. Entschied der Stellvertreter und entschloss sich für die unfaire Verteilung des Geldes, so wurde jener anschliessend von den Teammitgliedern deutlich schlechter bewertet als der Chef selbst. Die Tatsache, dass der Chef seine Entscheidung an den Stellvertreter abgetreten hatte und damit implizit deutlich machte, dass er von einer fairen Verteilung des Geldes nichts hielt, zeigt, dass man von den Betroffenen für das gleiche Ergebnis weit weniger haftbar gemacht wird, wenn man als Vorgesetzter die Erledigung der Drecksarbeit einem anderen überlässt. Entscheidungsfreudigkeit gehört zu den wichtigsten Kompetenzen einer guten Führungskraft. Doch oft mangelt es daran, mit teilweise verheerenden Auswirkungen auf das Betriebsklima. Die Münchner Unternehmensberatung Coverdale Team Management hat bei einer Angestellten-Befragung herausgefunden, dass fehlende Entschlusskraft zu den zehn schlimmsten Fehlern gehört, die ein Chef bei der Mitarbeiterführung machen kann. Ein unsicherer Chef demotiviert seine Angestellten, was sich negativ auf die Produktivität auswirkt.
Doch auch entscheidungswillige Manager stossen in der heutigen technologisierten Zeit mitunter an die Grenze ihrer Belastbarkeit: Im Zuge einer omnipräsenten Datenlawine, ist es oft unmöglich, vor der finalen Beschlussfassung alle Informationen zu berücksichtigen. Es wird immer schwieriger, die relevanten Informatio-nen herauzufiltern. Zudem werden Entscheidungen immer komplexer und deren Folgen in einer globalisierten Welt immer weitreichender. Was bleibt, ist deshalb die Unsicherheit und das Restrisiko, sich am Ende vielleicht doch für den falschen Weg entschieden zu haben. Wer führt, muss deshalb lernen, mit dieser Unsicherheit umzugehen. Daniel Pinnow schreibt dazu in seinem Buch «Führen – worauf es wirklich ankommt» Folgendes: «Gute Führungskräfte stehen zur eigenen Unsicherheit und wissen dieses Gefühl zu nutzen. Viele schwache Manager scheitern deshalb, weil sie sich zu sicher sind. Zu sicher, um sich einzugestehen, wie wenig sie wirklich vorhersehen, planen und managen können.»
Es ist die Aufgabe einer Führungskraft, mutig zur Tat zu schreiten. Selbst dann, wenn sie nicht zu 100 Prozent sicher ist, ob die gefällte Entscheidung richtig ist. So gestand Sullenberger im CBS-Interview, dass er während dem Anflug auf den Hudson River an die Passagiermaschine aus Äthiopien dachte, die 1996 im Indischen Ozean notlandete und in Stücke zerbrach. Damals kamen fast alle Passagiere ums Leben. Sullenberger war sich der Risiken einer Wasserlandung bewusst. Doch schien ihm diese Option immer noch besser, als nichts zu tun und damit dem sicheren Tod entgegenzufliegen. Bei Entscheidungen im Berufsleben geht es zum Glück meist nicht um so viel. Die auf der Homepage «Softskills für Projektmanager» veröffent-lichte Grafik kann helfen, wichtige von unwichtigen Entscheidungen zu unterscheiden. So sollten Routine-Entscheidungen, wie die Frage nach dem Meeting-Raum, schnell gefällt werden. Expertenentscheidungen werden hauptsächlich von Fakten bestimmt. Diese müssen im Vorfeld sauber zusammengetragen werden. Bei den akzeptierbaren Entscheidungen ist die Faktenlage meist klar und man hat mehrere Alternativen zur Hand. Man entscheidet sich für jene Variante, die bei den Betroffenen die grösste Akzeptanz findet. Wirklich gefordert werden Chefs bei schwierigen Entscheidungen: Hier ist nämlich die Faktenlage unklar, dennoch ist gleichzeitig eine hohe Akzeptanz der Betroffenen notwendig. Ob man aus dem Bauch heraus entscheidet oder sich auf Fakten abstützt: Wichtig ist, dass man als Führungskraft überhaupt entscheidet und sich danach mit Engagement daran macht, den Entschluss umzusetzen. Wer als Führungskraft nicht den Mut aufbringt, Entscheide zu fällen und die damit verbundenen Restrisiken auszuhalten, wird es als Vorgesetzter schwer haben und wenig bewirken.
Ja-Sager ecken zwar nirgends an, doch bringen sie es beruflich nicht weit. Erfahren Sie, warum es wichtig ist, auch einmal Nein sagen zu können und lesen Sie, wie Sie Ihr Nein so kommunizieren, dass es beim anderen auch ankommt.
http://soft-skills-für-projektmanager.de
Markus Schefer (41) ist selbständiger -Personal- und Unternehmens-berater. -Daneben ist der -ausgebildete Primar-lehrer Dozent für das Fach «Verkauf» an der Fachhoch-schule Nordwestschweiz in Basel.
Er verfügt über langjährige Vertriebs-erfahrung im In- und Ausland, unter anderem bei IBM und Reuters.
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