Flucht mit fraglichen Zukunftsaussichten
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/04
Kaum mehr ein Arbeitsschritt, der nicht essenziell von Informatik abhängt. Als unbedarfter Aussenstehender würde man denken, die Datenverarbeitung müsste darum immer mehr zum Kerngeschäft avancieren, zur absoluten Management-Priorität. Die Realität ist verwirrenderweise eine ganz andere. Immer mehr Firmen lagern immer grössere Teile ihrer Informatikkompetenzen aus. Das ist in etwa so unbegreiflich, wie wenn die in Sachen Wirtschaft tonangebende Schweizer Tageszeitung ihren Inserateverkauf einem Drittanbieter übergibt.
Genauso frage ich mich, wieso eine grosse Schweizer Bank den Austausch ihrer über lange Jahre an ihre spezielle Organisation angepasste Eigenentwicklung gegen eine Standard-Software erwägt, die nur knapp 30 Prozent der Funktionalität bietet. Wieso steigt der Outsourcing-Anteil in den Unternehmen immer weiter an, obwohl die Praxiserfahrungen der letzten Jahre fast unisono zeigen, dass dadurch weder Kosten gespart noch die Servicequalität gesteigert werden? Im Gegenteil; häufig kommt das Auslagern sogar teurer und die Qualität sinkt.
Das ist wenig verwunderlich. Ein Auslagerer kann mit der Betriebskenntnis einer internen Abteilung prinzipiell in den seltensten Fällen mithalten, und um die höheren Schnittstellenkosten in Einsparungen umzuwandeln, müssten die Dienstleister entweder massiv skalieren oder die Lohnkosten markant senken können. Ersteres scheitert in der Praxis an den heterogenen IT- und ERP-Landschaften auch sehr ähnlicher Unternehmen. Das Zweite an der Arbeitsmarktrealität, die für den Auslagerer die gleiche ist wie für den Auslagernden. Auch ein Outsourcer findet hierzulande keine billigen IT-Fachleute.
Dass trotzdem immer mehr ausgelagert wird und jetzt mit Cloud- und SaaS-Services (Software-as-a-Service) quasi die potenzierte Form die Unternehmen erobert, hat unter anderen zwei Gründe: Zum einen versteht das Management häufig wenig bis gar nichts von IT und lässt sich darum von Industrie-finanzierten Studien gerne einseifen. Man will lieber loswerden, was man nicht begreift. Zum anderen ist Outsourcing vor allem gut für den Aktienkurs – also für die Boni der Teppichetage. Durch die Auslagerung lässt sich der Return on Assets erhöhen, eine der wichtigsten Vergleichskennzahlen, um die Firmenrentabilität festzulegen. Damit ist der Mist gekarrt, auch wenn das Ganze aus längerfristiger Sicht wirtschaftlich wenig Sinn macht.
Die äusserst niederschwellige Bereitschaft des Managements, die eigene IT gegen Standardsoftware, Outsourcing- und Cloud-Services auszutauschen, ist aus langfristiger Sicht umso problematischer, als der Weg in die Auslagerungen eine Einbahnstrasse ist. Wer einmal erhebliche Teile seiner Informatik abgestossen hat, kann kaum mehr zurück. Das interne Know-how geht schnell verloren und lässt sich nur mit massivem Aufwand wieder aufbauen. Darum nimmt das Auslagern auch weiter zu, obwohl die Mehrheit mit dem Eingekauften nicht wirklich glücklich wird.
Wie hat einmal der CIO eines grossen Schweizer Rechenzentrums gesagt: «Mit einem guten Team bin ich immer produktiver als jeder Outsourcer.» Ein gutes Team ist die Folge einer guten Führung, eines guten Managements. Genau daran hapert es häufig, wenn sich Firmen ins Auslagern flüchten. Durch diese Flucht vor der Führungsverantwortung verliert das Unternehmen aber entscheidende Instrumente, mit denen es sich im internationalen Konkurrenzkampf differenzieren kann. Aus der Schweiz heraus mit Standard-Produkten und -Prozessen global konkurrieren zu wollen, ist wohl kaum ein nachhaltiges Erfolgsrezept.
Daniel Meierhans