Das Online-Office ist noch nicht voll einsatzfähig
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/12
Office-Dokumente von jedem internetfähigen Computer aus einsehen, bearbeiten und erstellen – genau das erwartet man von einem «Online-Office». Dass Browser-basierte Office-Suiten aber noch ziemlich zu wünschen übrig lassen, räumt selbst der ansonsten lautstärkste Verfechter von Online-Anwendungen ein: Google-Präsident Dave Girouard fand in einem Interview, die hauseigene Textverarbeitung Google Docs sei «weit weniger ausgereift als etwa Gmail oder Google Calendar. Wir würden die Anwender nicht bitten, Microsoft Office rauszuwerfen und Google Docs zu nutzen, weil die Lösung noch nicht erwachsen ist.»
Damit wäre das Fazit dieses Vergleichstests auch stellvertretend für alle anderen aktuellen Angebote bereits vorweggenommen: Das Office im Browser bietet im Spätherbst 2009 zwar die elementarsten Funktionen und wartet mit manchen interessanten Möglichkeiten auf, die eine lokal installierte Office-Suite nicht zur Verfügung stellt, vermag aber ein Microsoft Office, Lotus Symphony oder Openoffice in ebenso vielen Punkten nicht zu ersetzen.
Online-Office-Lösungen sind in zwei Aspekten einer konventionellen Suite überlegen:
? Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentation und andere Produktivitätsanwendungen stehen überall zur Verfügung, wo es einen Internetanschluss und ein Endgerät mit Webbrowser gibt. Ausser dem Browser muss keine Software installiert sein.
? Sämtliche Lösungen ermöglichen es, Dokumente für bestimmte weitere Anwender und Anwendergruppen oder gar für die gesamte Internet-Öffentlichkeit bereitzustellen und gemeinsam zu bearbeiten. Das Hin- und Herschicken von E-Mails mit megabyteschweren Anhängen erübrigt sich damit.
Ein Nachteil jeder Online-Office-Suite liegt in der Natur der Sache: Ohne Internet läuft gar nichts – oder zumindest nicht alles. Einige Angebote ermöglichen auch die Offline-Nutzung der applikatorischen Funktionen, indem die Dokumente mit Technologien wie Google Gears oder Adobe AIR lokal zwischengespeichert und später mit dem Server des Anbieters synchronisiert werden.
Ein weiteres Minus der aktuellen Lösungen ist die Oberfläche – die Bedienung ist oft ungewohnt, je nach System und Browser geben sich die Anwendungen sperrig. Oder es stehen schlicht nicht alle Funktionen zur Verfügung, die man eigentlich erwartet. So beherrscht mit Ausnahme von Zoho Sheet zum Beispiel keines der untersuchten Programme das Erstellen von Businessgrafiken aus den Tabellendaten.
Mit Acrobat.com, am 21. November mit dem Launch des Spreadsheet- und des Präsentationsprogramms offiziell der Betaphase entwachsen, zeigt Adobe, was sich mit der Flash-Plattform anfangen lässt. Im Gegensatz zu den anderen Online-Offices basiert Acrobat.com nicht auf AJAX oder Java-Applets, sondern ist zu hundert Prozent in Flash/Flex umgesetzt.
Als erstes erscheint nach dem Einloggen der File Organizer, der die hochgeladenen oder online erstellten Dateien in einer nach verschiedenen Kriterien sortierbaren Liste präsentiert. Dateien lassen sich in sogenannten Collections gruppieren und für Ansicht und Bearbeitung durch andere Teilnehmer freigeben. Der Organizer zeigt auch eine Vorschau für zahlreiche Dateitypen an, ohne dass dazu die entsprechende Anwendung geöffnet werden muss. Eine weitere Funktion ist das Erstellen von PDFs aus beliebigen Dateien.
In der aktuellen Version bietet Acrobat.com die drei Anwendungen Buzzword (Textverarbeitung, bereits seit 2008 verfügbar und klar am ausgereiftesten), Tables (Tabellenkalkulation) und Presentations (Präsentation). Alle drei Programme öffnen Microsoft-Office-2003- und -2007-Dokumente mit guter Originaltreue, und Buzzword sichert auch korrekt: das mitgelieferte Welcome-Dokument wird samt eingebetteten Bildern und Fussnoten anstandslos als .docx exportiert. Im Hinblick auf die anderen Lösungen ist dies keine Selbstverständlichkeit. Funktional bieten die Programme alles, was es für einfachere Dokumente braucht.
Wer auf automatisch generierte Businessgrafiken hofft, wird allerdings sowohl von Tables als auch von Presentations enttäuscht. Dafür kennt Presentations Verbindungen zwischen Grafikelementen, die beim Verschieben der Elemente automatisch mitwandern, und Tables hält die Kopfreihe und Seitenspalte beim Scrollen an Ort. Die Oberfläche entspricht nicht dem MS-Office-Standard, ist aber intuitiv bedienbar und ästhetisch sehr gelungen – man merkt, dass Adobe viel Wert aufs Design legt.
Die zweite Seite von Acrobat.com heisst Connectnow: In der Gratisversion können bis zu drei Teilnehmer eine Konversation mit Text- und Voicechat, Webcam, Whiteboard und Screen Sharing halten. Wer mehr User einladen möchte, muss auf die kostenpflichtigen Premium-Varianten Basic oder Plus wechseln – diese sind vorerst allerdings nur für Interessenten mit US-Wohnsitz zu haben. Mit einem Premium-Abo fällt auch die Beschränkung auf maximal fünf PDF-Umwandlungen weg.
Mit «Docs & Spreadsheets» offerierte Google als erster Anbieter Browser-basierte Office-Programme. Sowohl die Textverarbeitung als auch die Tabellenkalkulation wurden seit dem Launch weiterentwickelt, bieten aber nur eine eingeschränkte Funktionalität. Dies gilt ganz besonders auch für das Präsentationsprogramm, das später hinzukam: Elegante Übergangseffekte oder grafische Nettigkeiten wie schöne Verläufe und wechselbare Farbschemata, wie sie Adobe Presentations bietet, sucht man hier vergebens.
Auch mit der Originaltreue beim Import und Export nimmt es Google nicht sehr genau. Im Text eingebettete Bilder erscheinen nicht dort, wo sie sollten, Schriftmerkmale wie die Zeilenhöhe stimmen nicht immer, so dass zum Beispiel zweizeilige Titel ineinandergeschoben wiedergegeben werden. Ausserdem erscheint auch die AJAX-basierte Oberfläche nicht immer ganz korrekt: Im Internet Explorer 8 unter Windows Vista wurden beispielsweise nicht alle verfügbaren Menüoptionen angezeigt.
Ein nützliches Feature von Google Apps, das sonst nur bei Zoho zu finden ist: Beim Speichern eines Dokuments wird jeweils eine neue Version gesichert, und man kann jederzeit auf alle früheren Versionen zurückgreifen. Die Dokumente lassen sich in Ordnern gruppieren und per Volltextsuche durchsuchen. Hier liegt der Search-Gigant natürlicherweise vorn; bei Adobe kann man nur nach Dateinamen und Anmerkungen suchen. Wie Acrobat.com (hier allerdings nur bei Tables und Presentations) erlauben die Google Apps zudem, dass mehrere Benutzer ein freigegebenes Dokument gleichzeitig editieren.
Die Google-Anwendungen sind für den Einzelanwender kostenlos, und es steht unbegrenzter Speicherplatz für die Dateien zur Verfügung. Die Business-Variante «Google Apps Professional» bietet zusätzliche Funktionen zur Verwaltung einer unternehmensweiten Population von Apps-Anwendern.
Thinkfree bietet schon seit Jahren eine güns-tige Office-Suite für Windows, Mac OS X und Linux an, in letzter Zeit ergänzt durch Varianten für Smartphones und Netbooks. Der Anbieter offeriert aber auch eine komplett gehos-tete Online-Version seiner Anwendungen – das Angebot umfasst die klassischen Komponenten Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentation.
Technisch präsentieren sich die Thinkfree-Anwendungen als Java-Applets. Dies ermög-licht eine Oberfläche, die dem Interface von MS-Office 2003 stark ähnelt. Auch funktional entspricht die Ausstattung weitgehend dem vorletzten Office aus Redmond. Thinkfree bietet damit mehr Features als der Rest des Testfelds in einer gewohnten Arbeitsumgebung.
Der Pferdefuss ist der Mangel an Geschwindigkeit: Im Test dauerte allein das Laden des Textverarbeitungs-Applets gefühlt eine Ewigkeit und gemessen mehrere Minuten – dies notabene mit bereits vorher installierter Java-Runtime und über einen schnellen VDSL-Anschluss mit 20’000/1000 KBit/s. In der Praxis ist der Thinkfree-Service nahezu unbenutzbar.
Das Online-Angebot von Zoho beschränkt sich nicht aufs klassische Office – es gibt hier auch Wikis, Diskussionsforen, Webconferencing und Datenbanken sowie Business-Anwendungen wie CRM, HRM, Projektmanagement, Reporting und Invoicing. Dementsprechend komplex ist das Preismodell, das neben der Gratisversion für Privatanwender eine Unzahl von Lizenzvarianten für verschiedene Service-Kombinationen kennt.
Ebenso komplex ist die AJAX-basierte Oberfläche, die mit zahlreichen Buttons und Aufklappmenüs aufwartet. Der Menübereich wirkt bei den meisten Zoho-Anwendungen etwas überladen, weist aber darauf hin, dass hier mehr Funktionalität geboten wird als bei anderen Online-Offices. Allerdings ist nicht alles lupenrein: Zwar generiert Zoho Sheet Businessgrafiken, aber die automatisch erstellten Legenden lassen sich von Hand nicht weiter editieren. Auch unter der Haube scheint nicht alles in Ordnung zu sein – die Textverarbeitung exportierte das mitgelieferte Welcome-Dokument mit wild geänderten Bildgrössen, fehlenden Bildern und falsch formatierten Titeln ins .docx- oder .doc-Format. Auch der Import eines mässig komplexen Dokuments aus Word for Mac 2008 mit Textboxen und einem Hintergrundbild lieferte kein befriedigendes Resultat: Zu sehen war bloss eine praktisch leere Seite. Merkwürdigerweise funktionierte der PDF-Export tadellos.
Sobald es darum geht, online mit Office-Dokumenten zu arbeiten und diese nachher wieder in einer Desktop-Office-Suite weiter zu nutzen, zeigen sämtliche Online-Office-Lösungen mehr oder weniger dramatische Schwächen. Auch funktional lassen sie zu wünschen übrig. Dennoch: Für einfache Aufgaben, und vor allem dort, wo die Zusammenarbeit im Vordergrund steht und die Dokumente am Schluss einfach gedruckt oder als PDF gesichert werden sollen, stellen die Online-Offices eine valable Alternative dar. Dabei überzeugen jedoch vor allem die Kollaborationsfunktionen und weniger die eigentliche Office-Funktionalität.
Wir haben auch einen kurzen Blick auf die Office Web Apps von Microsoft geworfen, die vom Hersteller klar als «Begleiter» und nicht als Ersatz fürs herkömmliche Office-Paket positioniert werden. Die derzeit verfügbare Technical Preview erlaubt jedoch noch keinen direkten Vergleich: Erstellen und Editieren von Dokumenten ist aktuell nur im Online-Excel und -Powerpoint möglich, Word-Dateien lassen sich online erst betrachten. Während Excel durchaus ansprechende Funktionen bietet, sind bei Powerpoint viele wichtige Funktionen noch nicht implementiert. Ausserdem lassen sich die Office Web Apps im Moment nur nutzen, wenn der Anwender zuerst mit Hilfe einer Betaversion von Office 2010 ein Dokument auf seinem Skydrive-Konto sichert – erst dann können die Web Apps für die zugehörige Live-ID freigeschaltet werden.
(ubi)