Ein ERP ist kein iPhone
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/10
Die Benutzerschnittstelle ist für den Erfolg einer Business-Software entscheidend. Diese Erkenntnis hat in den letzten Jahren immer mehr an Gewicht gewonnen. Die Hersteller reagieren darauf mit intuitiven Drag&Drop-Clients, in denen sich auch Ungeübte schnell zurechtfinden, und mit dynamischen Grafiken, die dem Finanzer und anderen Verantwortlichen eindrücklich die Geschäftsentwicklung vor Augen führen. Aber dienen coole Web-2.0-Features und Rennwagentacho-artige Umsatzanzeigen auch der Effizienzsteigerung, dem eigentlichen Ziel eines ERP-Systems? Zweifellos beeinflussen moderne Oberflächen die Kaufentscheidung. Aber eine Nutzerführung, die im ersten Moment beeindruckt, kann mit der Zeit zum mühseligen Pferdefuss mutieren.
Was viele Anwender angesichts interaktiver Features und toller Grafik zu vergessen scheinen: Ihr ERP-System ist ein Arbeitsinstrument. Als solches muss es vor allem den funktionalen Anforderungen im täglichen Gebrauch genügen und nicht wie ein iPhone Bedienungsspass bereiten. Wenn sich die Mitarbeitenden für jede Datenerfassung durch eine Reihe von sogenannt intuitiven Programmpunkten klicken müssen, bremst dies ihre Produktivität empfindlich aus und ihre anfänglich positive Einstellung zur tollen Oberfläche kippt schnell ins Negative. So wundert es auch nicht, dass in der letzten Schweizer ERP-Zufriedenheitsstudie des Zürcher Beratungsunternehmens i2s die Ergonomie – allen Herstellerinvestitionen in moderne Interfaces zum Trotz – einer der wenigen Punkte war, die sich im Vergleich zu früheren Erhebungen verschlechtert haben.
Die Bedienbarkeit der Business-Software-Systeme leidet nicht nur unter den zwar für Laien leichter verständlichen, für den Profi aber hinderlichen Benutzerführungen. Sie krankt auch an einer wachsenden Zahl von unnötigen Funktionen, mit denen das Herstellermarketing die Entscheidungsträger zu ködern versucht. Und auch hier müssen sich die Anwenderunternehmen selber an der Nase nehmen. Wer sich von einem ins ERP integrierten RSS-Feed, eingebundenen Kartenfunktionen oder dreidimensionalen Grafiken per Knopfdruck verführen lässt, ist schlicht selber schuld.
Für Business-Software gilt: Je schlanker das System, umso wirkungsvoller ist es. Nicht jede mögliche und auf den ersten Blick praktische Automatisierung bedeutet im Endeffekt auch wirklich einen Produktivitätsgewinn. Wenn Verkäufer im Schnitt nur einen Kunden pro Halbtag besuchen, ist die integrierte Routenplanung kaum matchentscheidend. Und wenn jeder die Kennzahlen selbständig zu Auswertungen zusammenschustern kann, sind auch mit einer einheitlichen Datenbasis zeitraubende Interpretationsdiskussionen vorprogrammiert.
Eigentlich müssten diese Tatsachen allen Beteiligten klar sein. Dass in der Praxis trotzdem viele ERP-Entscheide auf Grund von oberflächlichen Feature-Eindrücken gefällt werden, hängt nicht selten mit der Funktion zusammen, an der die System-Evaluation aufgehängt wird. Wenn etwa der Finanzchef die Software-Auswahl verantwortet, wird er sich einseitig auf die Möglichkeiten im Bereich der Kennzahlen konzentrieren. Von den betrieblichen Abläufen versteht er demgegenüber bedeutend weniger. Umso grösser ist das Risiko, dass er sich vom Visuellen verführen lässt. Zudem steigt mit einer durch die Finanzabteilung gesteuerten Softwareeinführung auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Möglichkeiten zur Prozessoptimierung ungenutzt bleiben. Oder anders ausgedrückt: Viel wichtiger als die Benutzerführung sind für den Erfolg eines ERP-Projekts die internen Verantwortlichkeiten. Am Ende hat man immer die Software-Installation, die man verdient.
Daniel Meierhans