Outsourcing einer funktionierenden IT
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/09
Einer der Zuflüsse der Landquart ist der zuweilen tosende, sich durchs Prättigau ziehende Taschinasbach. Im unablässig ziehenden Strom wohnt eine Kraft inne, die sich die Rätia Energie in einem neuen Flusskraftwerk zunutze machen will. Zum Jahreswechsel 2010 soll das Kraftwerk – das auch den Anforderungen des WWF entspricht – mit einer jährlichen Leistung von 41 GWh ans Netz gehen.
Das Wasserkraftwerk Taschinas ist nur eines von vielen Projekten des Bündner Energieversorgers, der den Kanton Graubünden direkt oder über Wiederverkäufer mit Strom beliefert. Rund zwei Drittel ihres Energie-umsatzes generiert Rätia Energie aber im Stromhandel, 2008 waren dies über 8 Terawattstunden. Die Firmengruppe ist deshalb an den wichtigen europäischen Strombörsen präsent – auch mit eigenen Niederlassungen in Italien, Deutschland und mehreren Ländern Ost-europas. Sie ist in den letzten Jahren über Fusionen und Zukäufe stark gewachsen. Auch in der Zukunft dürfte sich dies nicht ändern: Eine Neubewertung der Rolle der bisher inhouse betriebenen ICT-Infrastruktur drängte sich somit auf. Diese hatte in den letzten Jahren eine enorme Bedeutung erreicht; sie stützt den Stromhandel ebenso wie die internationale Kommunikation unter allen Standorten.
Naturgemäss ist das Business der Rätia Energie so dynamisch wie der Taschinasbach, so kräftig wie die Strombörsen, mit vielen Spitzen, die die kleine IT-Abteilung des Unternehmens mit ihrer zentralen IT-Infrastruktur bewältigen musste. Diese lief fast fehlerfrei. Sie war auch nicht zu komplex. Dennoch baute sich mit der Zeit Druck auf, an eine neue Lösung zu denken, die das Wachstum des Unternehmens flexibler mitmachen würde, mit der Leis-tungsspitzen rascher aufzufangen wären – und die vor allem das IT-Team merklich entlastet. Es reagierte nur noch, anstatt zu agieren. Es sollte sich weniger mit Routineaufgaben beschäftigen, hingegen die Konzernfunktion «zentrales IT-Management» ausbauen, seine Fokussierung auf strategische Themen, geschäfts-kritische Anwendungen und Projekte stärker betonen.
Dem folgerichtigen strategischen Entscheid zum Outsourcing der Infrastruktur folgte ein sich über mehr als sechs Monate hinziehendes umfangreiches Evaluationsverfahren, in dessen Verlauf das Projekt-team nach den Angebotspräsentationen Referenzkunden besuchte. Symptomatisch für die enormen Herausforderungen, die in dem Projekt steckten: Viele der angeschriebenen Anbieter warfen früh das Handtuch. Am Ende standen zwei beinahe gleichwertige Bewerber zur Auswahl. T-Systems erhielt den Zuschlag. Entscheidend waren die Internationalität des Unternehmens, die erfreulichen Auskünfte der Graubündner Kantonalbank, die bereits seit längerem ihre Infrastruktur von T-Systems betreiben lässt und die Präsenz vor Ort, in Chur.
Outsourcing hat für Rätia Energie viele Vorteile. Nicht nur denjenigen der Rückbesinnung auf die Kernkompetenzen des IT-Teams, sondern den Vorteil eines standardisierten Arbeitsplatzes an allen Standorten, der Flexibilität und Skalierbarkeit einer ausgelagerten IT, einer grösseren Effizienz und von mehr Transparenz. Das Auslagern bringt zudem eine neue Planungs- und Budgetsicherheit mit sich, die auch bei der Integration neuer Geschäftseinheiten und Geschäftsfelder in die Rätia-Energie-Gruppe von entscheidender Bedeutung ist. Zudem kann Rätia Energie neu die Kosten über definierte Leistungs- und Qualitätsmerkmale steuern.
Zuvor musste die herkulische Aufgabe bewältigt werden, die bestehende Plattform auf diejenige der Rechenzentren von T-Systems zu hieven. Ein intensives Projekt – das hatten bereits die Vertragsverhandlungen gezeigt, bei denen die IT-Fachleute von Rätia Energie ihre hohen Anforderungen an die neue Infrastruktur formuliert hatten. Sie budgetierten entsprechend die Zeit der Transitionsphase auf eineinhalb Jahre und sollten am Ende damit Recht behalten. Derart umfangreich waren die Arbeiten: Parallel zur laufenden Infrastruktur wurden alle IT-Prozesse in die «Dynamic Computing»-Lösung von T-Systems eingearbeitet.
Der Outsourcing-Dienstleister übernahm beinahe alle Elemente der Firmen-IT, vom Arbeitsplatz für mehr als 450 Benutzer über die Plattform (110 Server, 15 Geschäftsanwendungen, darunter ein SAP-Cluster), den Bereich «Communication» (mehr als 150 aktive Netzkomponenten, LAN und WAN) bis hin zum Service Desk mit 1st- und 2nd-Level-Support. Anders als bei typischen Outsourcing-Projekten wechselte kein Mitarbeitender der IT-Abteilung von Rätia Energie die Seite. Gegenseitig erfolgte deshalb ein Herantasten an die Qualitätsphilosophie des Partners. Auch bei anderen Anbietern hätte diese Abstimmung einige Zeit gebraucht.
Seit dem 1. Januar 2009 führt nun der Outsourcing-Anbieter das tägliche Routine-Geschäft mit der IT von Rätia Energie. Beinahe zur vollen Zufriedenheit: Die letzte Meile ist die schwerste. Noch ist Optimierungspotential auszumachen. Den Entscheid zum Auslagern hat das IT-Team von Rätia Energie nie bereut: Die Arbeitsplatzkosten sind deutlich unter den Branchenschnitt gefallen; insgesamt resultiert über die Vertragslaufzeit bestimmt ein Sparpotential von rund 20 Prozent. Und schon jetzt ist zu spüren, wie der Druck auf die IT-Abteilung nachlässt, sie sich verstärkt wieder strategischen Themen widmen kann. Etwa der Vision zu folgen, das Kerngeschäft «Trading» noch stärker durch moderne Kommunikationslösungen auf hohen Sicherheitsstandards zu unterstützen.
Vorerst muss die neue Plattform auf Höchstleistung gefahren werden. Aus dem gemeinsam mit T-Systems gestemmten Projekt zieht das IT-Team der Rätia Energie die wichtige Lehre, dass auch ein Outsourcing-Dienstleister eng geführt werden muss. Nur so entsteht eine loyale Partnerschaft zum Nutzen beider – und das ist der Rätia Energie wichtig. Denn schliesslich wird das Unternehmen die eigenen Geschäftsprozesse auch in Zukunft aus dem IT-Kraftwerk versorgen.
Rätia Energie ist eine international tätige Schweizer Elektrizitätsgesellschaft. Sie ist auf der ganzen Wertschöpfungskette aktiv: Stromhandel, Stromproduktion, Übertragung, Vertrieb und Versorgung. 2008 setzte Rätia Energie gut 12 Terawattstunden (TWh) Strom um. Die Eigenproduktion betrug 2008 rund 2,5 TWh. Die Gruppe verfügt über eigene Kraftwerke in der Schweiz (Wasserkraft) und in Italien (Gas-Kombikraftwerk, Wind). Die Gruppe beschäftigt über 600 Personen und setzte 2008 knapp 2 Milliarden Franken um. Sie verfügt über 16 Standorte in der Schweiz, Deutschland, Italien und in Osteuropa (Tschechien, Rumänien, Slowenien und Bosnien). Weitere Informationen: www.repower.com