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Ärgernis mit Totalschaden-Risiko für ERP

Der deutsche ERP-Pionier August-Wilhelm Scheer hatte in den 1970er Jahren berechnet, dass einige Hundert Funktionalitäten ausreichen, um alle Unternehmensprozesse in einem ERP-System

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/04

     

Der deutsche ERP-Pionier August-Wilhelm Scheer hatte in den 1970er Jahren berechnet, dass einige Hundert Funktionalitäten ausreichen, um alle Unternehmensprozesse in einem ERP-System zu definieren. Heute umfasst SAP mehrere Hunderttausend unterschiedliche Funk-tionen. Die Theorie wurde von der Praxis buchstäblich überwuchert. Die gleiche Realität macht auch Saas (Software as a Service) zumindest im ERP-Bereich zur Illusion. Die Evangelisten der Hightech-Industrie kümmern solch profane Hemmnisse allerdings wenig. Sie erfinden ganz einfach ein neues Buzzword, wenn das alte über die Wirklichkeit stolpert.


Insbesondere in der Schweiz ist die für Saas notwendige Standardisierung der Prozesse kaum erreichbar. Hier herrschen zum einen Hochlohnverhältnisse. Individuelle Nischenangebote sind darum für die Unternehmen Pflicht; mit Ausnahme von einigen wenigen, stark regulierten Binnenmärkten. Zum anderen ist unser Land so klein, dass an die lokalen Verhältnisse angepasste Saas-ERP-Angebote in den wenigsten Fällen auch nur theoretisch die notwendigen Skaleneffekte erzielen könnten. Kein Wunder, dass das Modell im krassen Gegensatz zum Publikationsgetöse in der Unternehmensrealität praktisch keine Rolle spielt.



Ein wirklichkeitsfremdes Ärgernis

Unter dem Strich ist der Saas-Hype vor allem ein wirklichkeitsfremdes Ärgernis. Den Unternehmen wird vorgegaukelt, ihre Informatik sei so trivial, dass sie einfach aus der Steckdose bezogen werden könne. Damit wird einer verhängnisvollen Konsummentalität Vorschub geleistet. ERP-Projekte sind in jedem Fall anspruchsvoll, müssen sich die Firmen doch über ihre detaillierten Geschäftsprozesse im klaren sein, um diese effizient in Software abbilden zu können. Und soll die Software einen wirklichen Zusatznutzen bringen, müssen die Arbeitsschritte optimiert und neue Abläufe entworfen werden. Diese Anpassungen sind mit Saas genauso unumgänglich wie mit einer herkömmlichen Software.


Die Risiken in der Krise

Beim Saas-Modell kommt aber ein gerade in diesen Monaten entscheidendes, zusätzliches Risiko hinzu. Wenn der Hersteller meiner fest installierten ERP-Software von der Krise weggespült wird, habe ich immer noch ein laufendes System, auch wenn die Wartung wegfällt und der Support allenfalls schwieriger wird. Muss mein Saas-Provider die Segel streichen, droht der ERP-Gau.


Was treibt zum Beispiel derzeit die Kunden von Coghead um, die Mitte Februar ihren Service wegen Zahlungsunfähigkeit einstellen musste? Zwar wurde der einst als visionär hochgejubelte US-Anbieter inzwischen von SAP übernommen. Der ERP-Riese ist aber nur an der Technologie und den Mitarbeitern interessiert. Die Kunden haben bis am 30. April Zeit, ihre XML-Files abzuholen, in denen die Anwendungen definiert sind. Danach wird der Zugang geschlossen. Dummerweise funktionieren die Files aber nur auf der Coghead-Plattform. Und das ist im Krisenfall bitterer Normalfall: Eine Forrester-Untersuchung bei 20 ernstzunehmenden Saas-Providern zeigt, dass praktisch keiner einen Plattformwechsel unterstützt.



Mit der Wolke ins Nirvana

Wie wirklichkeitsfremd die IT-Industrie funktioniert, zeigt die jüngste Hype-Kreation aus den Marketing-Stuben der Hersteller, die uns seit Wochen in allen möglichen Variationen um die Ohren geschlagen wird: Bei Cloud Computing ist schon der Begriff an sich unternehmensuntauglich. Wer will schon allen Ernstes seine Daten zur Verarbeitung oder Speicherung in «die Wolke» schicken? Manchmal dünkt einen, die Hightech-Gurus in Kalifornien meditieren ein wenig sehr einsam in ihrem Siliziumturm.




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