Freie Software fördert Nachhaltigkeit

Der Einsatz von Open-Source-Software bringt sowohlin der Privatwirtschaft als auch bei der öffentlicher Verwaltung erheblichen Nutzen in fünf Dimensionen.
20. Januar 2009

     

Wer eine neue Informatiklösung auswählt, muss darauf achten, dass sie das Pflichtenheft erfüllt. Software ist aber mehr als reines Mittel zum Zweck. Investitionen in neue ICT-Systeme wollen nachhaltig geschehen, denn neben den technischen Eigenschaften und dem Einführungsaufwand ist vor allem ein Faktor entscheidend für die langfristigen Kosten: der Grad der Abhängigkeit zum Softwareanbieter.Bei diesem zentralen Merkmal bringt Open-Source-Software gegenüber proprietärer Software einen deutlichen Vorteil, denn der Quellcode liegt öffentlich vor, und die Software darf beliebig kopiert, verändert und weitergegeben werden. Aus diesen Eigenschaften rühren die fünf Nutzendimensionen von Open-Source-Software her: langfristige Kosteneinsparungen, Investitionsschutz, Innovations- und Wirtschaftsförderung, Sicherheit und Transparenz sowie Chancengleichheit.

Langfristige Kosteneinsparungen
Lizenzgebühren machen nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten von ICT-Projekten aus. Ausserdem müssen mögliche Migrations- und Umschulungsaufwände bei Open-Source-Lösungen berücksichtigt werden. Bei einem Wechsel von einer geschlossenen zu einer offenen EDV-Umgebung fallen deshalb höhere einmalige Kosten an als bei einer Aktualisierung der bisherigen Technologie. Je weiter aber bei der Kostenanalyse der Zeithorizont gezogen wird, desto wirtschaftlicher wird der Open-Source-Einsatz. Taktisch entscheidend ist dabei die dank Herstellerunabhängigkeit gewonnene Verhandlungsstärke, welche die Position des Softwarebezügers markant verbessert. Durch die erhöhte Wahlfreiheit und die strategische Unabhängigkeit sparen Investitionen in offene Technologien somit langfristig Kosten ein.Ein Beispiel dazu liefert der Kanton Solothurn, der dank seiner Open-Source-Strategie aus dem Jahre 2001 seine 2000 Arbeitsplätze auf Linux migrieren konnte. Gemäss IT-Leiter Kurt Bader spart die Kantonsinformatik gegenüber einer Migration auf Windows Vista nun jährlich mehrere hunderttausend Franken. Ein anderes Beispiel betrifft die Einführung einer ECM-Lösung. In einer transparenten TCO-Studie werden die aktuellen Listenpreise der proprietären Produkte Documentum, Opentext und Sharepoint mit der Open-Source-Alternative Alfresco verglichen. Bereits im ersten Jahr können bei einer Benutzerbasis von 1000 Personen zwischen 89 und 96 Prozent der Kosten eingespart werden.

Investitionsschutz
Investitionen in teure Infrastruktur- und Arbeitsplatzumgebungen sollten gegen negative strategische und wirtschaftliche Entwicklungen der jeweiligen Software-Anbieter abgesichert sein. Bei proprietärer Software kann der Hersteller beispielsweise den Aktualisierungs- und Wartungszyklus oder die technischen Anforderungen nach seinem Belieben ändern und die Lizenz- und Wartungsgebühren erhöhen. Wird der Anbieter aufgekauft oder geht die Firma gar Konkurs, ist die Weiterentwicklung der Software in keiner Weise sichergestellt. Wenn sie auf proprietären Standards und Formaten basieren, können möglicherweise nicht einmal die Daten weiter verwendet werden.Solche Szenarien sind beim Einsatz von Open-Source-Software ausgeschlossen – nicht nur, weil der Quellcode frei verfügbar ist. Hinter jedem Open-Source-Projekt steht eine meist heterogene Entwickler-Community, die Software wird auf der Basis offener Standards und unabhängig von partikulären Profitinteressen nutzen- und nicht gewinnorientiert weiterentwickelt. Auf Open-Source-Software und offenen Formaten basierende ICT-Systeme sind somit nachhaltig, weil die unabhängige Verwendung und die kontinuierliche Weiterentwicklung sowie die langfristige Lesbarkeit der Daten gewährleistet sind.

Innovations- und Wirtschaftsförderung
Durch erhöhte lokale Wertschöpfung und die kompetitiveren Rahmenbedingungen unter Open-Source-Dienstleistern wird die Innovations- und Wirtschaftskraft gefördert. Der Hauptteil tatsächlicher Wertschöpfung eines Informatikprojekts erfolgt beim Einsatz von proprietärer Software häufig weit entfernt vom Einsatzort, da die Software meist nicht in der jeweiligen Region entwickelt wird – Lizenzgebühren und Monopolrenten fallen an. Das Open-Source-Modell dagegen ermög-licht es lokalen Software-Anbietern, nicht nur die Integration der Software vorzunehmen, sondern eigenständig grundlegende Entwicklungsarbeiten anzugehen. Dadurch werden lokale Unternehmen stärker am Wertschöpfungsprozess beteiligt, was die regionale Wirtschaft und deren Innovationskraft fördert. Durch die Eindämmung unnatürlicher Monopole sinken zudem die Markteintrittsbarrieren für Software-firmen, der Wettbewerb innerhalb der ICT-Branche wird verstärkt.Eine Studie des Fraunhofer Instituts macht deutlich, dass IT-Firmen ihr Innovationspotential durch die Verwendung von Open-Source-Software besser ausschöpfen können. Rund 71 Prozent der befragten Unternehmen geben an, die Offenheit des Quellcode, die direkte Zusammenarbeit mit Communities und die Nutzung von offenen Standards würden zu neuen Produktinnovationen führen. Die Studie zeigt auch, dass wegen den wissens- und personalintensiven Dienstleistungen rund um Open Source tendenziell hochwertige Arbeitsplätze in der Region erhalten und ausgebaut werden und sich die lokale Wertschöpfung von ICT-Projekten verbessert.

Transparenz und Sicherheit
Durch Offenlegung des Quellcode ist die Funktionsweise für alle einsehbar und durch unabhängige Dritte überprüfbar. Im Gegensatz zu proprietärer Software werden dadurch Fehler und Sicherheitslücken in Open-Source-Software rascher entdeckt und behoben und auch versteckte Befehle oder Datentransfers umgehend enthüllt und unterbunden. Einerseits meldet die oft riesige Anwendergruppe Verbesserungsmöglichkeiten, andererseits kann die Entwickler-Community sofort Korrekturen vornehmen, da mit entsprechendem Know-how jeder mitwirken kann. Diese Code-Transparenz ermöglicht eine verteilte Qualitätskontrolle, den offenen Einblick in Sicherheitssysteme sowie höhere Programmierleistungen, was letztlich zu mehr Sicherheit und besserer Wartbarkeit der Software führt.

Chancengleichheit
Durch den Einsatz von Open-Source-Software wird ein Beitrag zur gesellschaftlichen Chancengleichheit geleistet – das hat positive Auswirkungen sowohl für den Bildungsbereich als auch für die öffentliche Verwaltung. Kommt Open-Source-Software bereits in der Schule zum Einsatz, eignen sich Kinder und Jugendliche grundlegende Informatik-Fertigkeiten an, die nicht an einzelne Firmen und Produkte gebunden sind. Ausserdem ist gewährleistet, dass die Schüler die in der Schule eingeübte Software auch auf dem PC zu Hause legal und kostenlos verwenden können. Auch öffentliche Institutionen profitieren vom Open-Source-Entwicklungsmodell, da sie mit gebündelten Kräften Software-Lösungen gemeinsam weiterent-wickeln und so auch finanzschwächere Kantone und Gemeinden ihren Einwohnern qualitativ hochstehende ICT-Dienstleistungen anbieten können. Denn wie bereits in der offi-ziellen E-Government-Strategie Schweiz betont wird, ermöglicht der Open-Source-Einsatz durch kostenlose Mehrfachverwendung von Softwarelösungen Effizienzgewinne für die gesamte Volkswirtschaft.

Vorbehalte gegen Open-Source-Software
Open-Source-Software hat mit Hemmfaktoren wie der starken Abhängigkeit von proprietären Lösungen oder niedriger Visibilität zu kämpfen. So sind Private und institutionelle Anwender oft stark von bestehenden Software-Anbietern abhängig; ein Wechsel auf Open-Source-Alternativen scheint auf den ersten Blick meist zu teuer. Softwarekonzerne haben sich eine grosse Marktmacht verschafft und nutzen diese nun geschickt aus, indem sie darauf achten, dass die immer wieder nötigen Aktualisierungen im Einzelfall wesentlich billiger sind als eine allfällige Migration zu einer Open-Source-Lösung. Mit dieser Salami-Taktik wird die Abhängigkeit der Kunden konstant aufrechterhalten. Solche monopolhaften Positionen führen zu Wettbewerbsverzerrungen, denen die Politik zum Wohl der Volkswirtschaft entgegentreten muss.Der wohl spektakulärste Fall betrifft die Klagen der Europäischen Kommission gegen Microsoft. In der seit über zehn Jahren dauernden Auseinandersetzung verhängte die EU wegen Microsofts wettbewerbswidrigem Verhalten bereits Strafzahlungen von nahezu 1,7 Milliarden Euro. Aufgrund der Machtstellung beim Betriebssystem Windows kann Microsoft eigene Anwendungen gegenüber derjenigen der Konkurrenten bevorzugen. Jüngstes Beispiel ist die Beschwerde der Europäischen Kommission bezüglich der engen Windows-Integration des Internet Explorer, die Microsoft erneut eine Milliarden-Busse einbringen könnte.Des weiteren mangelt es Open-Source-Software oftmals an Sichtbarkeit. Viele Nutzer und Einkäufer wissen noch nichts oder nur wenig über freie Software und deren strategischen Vorteile, weil dafür bedeutend weniger Marketing betrieben wird als für proprietäre Software. Für die geringen Werbeausgaben von ICT-Firmen für Open-Source-Lösungen gibt es zwei Gründe: Einerseits haben viele traditionelle Hersteller wenig Interesse, sich von ihrer proprietären Software zu trennen. Sie versuchen vielmehr, diese geschlossenen Systeme mit allen Mitteln zu schützen und unterhalten meist Lobbying-Teams, die bis hoch in die Politik und Wirtschaft vorgedrungen sind.Andererseits finden sich viele der technisch klar überlegenen Open-Source-Produkte im Serverbereich und als Embedded Software in Geräten wie Billettautomaten, die zwar täglich von allen genutzt werden, aber kaum je die Aufmerksamkeit von Endanwendern und Entscheidern auf sich ziehen. Gleiches gilt für weite Teile der Infrastruktur des World Wide Web, das ohne offene Standards und Open Source kaum denkbar wäre.

Verbreitung in der Schweiz und international
Aus diesen und anderen Gründen wie beispielsweise der Abwesenheit einer Förderungsstrategie der öffentlichen Verwaltung ist Open-Source- Software in der Schweiz – im Gegensatz zum nahen Ausland – erst wenig verbreitet. Nichtsdestotrotz gibt es vereinzelte Pionierprojekte bei den Behörden wie etwa die 2000 Linux-Desktops im Kanton Solothurn, der OpenOffice-Einsatz am Bundesgericht (seit acht Jahren), die Entwicklung der prämierten Geschäftsverwaltungssoftware PloneGov oder eine Schweizer Version der GNU General Public License.Imageträchtige Open-Source-Projekte in der Privatwirtschaft sind eher unbekannt, obwohl Linux und andere freie Software wie erwähnt auf Ebene der Infrastruktur und im Embedded-Bereich seit Jahren zur Standardausstattung gehören. Wie an der grössten Schweizer Open-Source-Konferenz OpenExpo bekannt wurde, setzen demnach Banken wie die UBS oder die Raiffeisen sowie Swisscom, Postfinance und SBB in vielen businesskritischen Bereichen Open-Source-Lösungen ein. Auf den breiten, aber weitgehend unbemerkten Einsatz von Open-Source-Software deuten auch die Resultate der FOSS-Studie aus dem Jahre 2006 hin. Bereits damals gaben 57 Prozent der befragten Unternehmen an, sie würden im Serverbereich Open-Source-Lösungen verwenden oder deren Einführung planen. Aktuelle Zahlen wird die dieses Jahr von /ch/open und SwissICT erneut durchgeführte FOSS-Studie hervorbringen.Im Ausland stellt sich die Situation ganz anders dar: Laut einer wissenschaftlichen Studie von 2008 wurden bis anhin weltweit 275 Initiativen auf politischer Ebene gezählt, die den Einsatz von Open-Source-Software in den öffentlichen Institutionen fördern sollen. Allein in Europa sind heute 95 Strategien und Bestimmungen in Anwendung. In den deutschen Städten München, Mannheim und Freiburg kommt Open-Source-Software auch auf Desktop-Ebene bei tausenden von Arbeitsplätzen zum Einsatz. In den Niederlanden werden Open-Source-Software und offene Standards bereits seit 2003 äusserst massiv gefördert. Das Kompetenzzentrum «Netherland Open in Verbinding» beschäftigt heute bereits über ein Dutzend Mitarbeiter – in der Schweiz existiert für solche Anliegen keine einzige Stelle. Matthias Stürmer ist Doktorand und Vorstandstmitglied von /ch/open.

Matthias Stürmer ist Doktorand und Vorstandmitglied von /ch/open.




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