Swiss IT Magazine: Herr Ihl, wie würden Sie den aktuellen Digitalisierungsstand der Stadt St. Gallen beurteilen?
Sven Ihl: Hier müssen wir in zwei Bereiche unterteilen. Einmal gibt es die Digitalisierung im Bereich der Bevölkerungsservices. Hier würde ich sagen, dass wir uns schweizweit in bester Gesellschaft bewegen. Zudem haben wir so einige Ideen und leisten auch schon vorbereitende Arbeit, um unsere Dienstleistungen weiter auszubauen. Wir warten aber noch auf den E-Login von eGovernment St. Gallen. Sobald es diese Authentifizierungsmöglichkeit für Bürgerinnen und Bürger gibt, können wir unser Angebot schnell ausweiten. Zwar könnten wir ein solches Bevölkerungskonto auch schon heute in Eigenregie umsetzen, im Sinne einer gleichwertigen Weiterentwicklung für alle Gemeinden und Institutionen der öffentlichen Hand im Kanton wäre es aber deplatziert, einfach vorzupreschen. Der andere Bereich ist die klassische Büroautomation – angefangen bei unseren Rechenzentren über die Fachapplikationen bis hin zu den Endgeräten. Hier sind wir meiner Meinung nach schweizweit sehr weit vorne. Dies auch, da wir bereits 2016 mit der Transformation in die Cloud begonnen haben und mittlerweile sogar bei Fachapplikationen auf Cloud first setzen. Zwar bleibt die Infrastruktur nach wie vor überwiegend bei uns, Fachapplikationen beziehen wir aber, wo möglich, aus der Cloud. Natürlich müssen dabei verschiedenste Kriterien erfüllt werden. Wir konnten bisher grundsätzlich sehr gute Erfahrungen machen.
Cloud first im öffentlichen Bereich? Das ist aber eher eine Seltenheit.
Das ergibt sich aus unserer durchdachten Cloud-Governance. Wir arbeiten mit verschiedensten Partnerinnen und Partnern zusammen, die überwiegend ihre Standorte in der Schweiz haben. Für unsere grössten Partnerunternehmen arbeiten wir wiederum mit der SIK (Anm.d.Red.: Schweizerische Informatikkonferenz) zusammen, die entsprechende Rahmen- und Zusatzverträge ausgehandelt hat. Mittels dieser sichern wir das Schweizer Recht, den Schweizer Gerichtsstand und das Bekenntnis der Unternehmen zum schweizerischen Datenschutz. Zusammen mit unserer juristischen Prüfung und der Verifizierung der Fachstelle für Datenschutz werten wir es als berechtigt, diese Lösungen letztlich einzusetzen.
Sie setzen also auch auf Azure, AWS und Co.?
In meiner früheren Gesamtverantwortung für die Technik und den ICT-Service-Betrieb habe ich mich von Anfang an dagegen ausgesprochen, mehrere grosse Cloud-Infrastrukturlösungen parallel einzusetzen. Dafür bräuchten wir mehrere Cloud Broker, also Fachspezialistinnen und Fachspezialisten, die die jeweiligen Lösungen verstehen und managen. Weiter sehe ich bis heute grosse Herausforderungen, die Interoperabilität zwischen den grossen Anbietern zu gewährleisten. Hier eingleisig zu fahren, war und ist für uns der richtige Entscheid und ermöglicht eine professionellere Informatik.
Wie wird denn entschieden, welche Applikation aus der Cloud bezogen werden kann – und welche gegebenenfalls nicht?
Jede beantragte Lösung durchläuft einen strukturierten Prüfprozess. Dabei wird beispielsweise geschaut, welche Daten überhaupt betroffen sind. Bei öffentlichen Daten ist es grundsätzlich kein Problem, bei internen Daten ergeben sich dann Fragen, wo diese beispielsweise gespeichert werden, welche Sublieferanten beauftragt wurden, welche Zertifizierungen der Rechenzentren vorliegen und ob es regelmässige Penetration-Tests gibt. Insgesamt gibt es 75 Fragen, welche die Partnerinnen und Partner beantworten müssen, um gegebenenfalls eine Freigabe zu erhalten. Bei personenbezogenen Daten wird ebenfalls dieser Prüfprozess durchlaufen und abschliessend zusammen mit der Fachstelle für Datenschutz eine Freigabe oder Ablehnung erteilt.
Sven Ihl
Sven Ihl arbeitet seit knapp neun Jahren für die Stadt St.Gallen, zuerst als stellvertretender CIO, im November 2023 hat er dann die Nachfolge von Hans Vetsch angetreten, der in den Ruhestand ging. Zuvor war Sven Ihl viele Jahre lang für die Raiffeisen Gruppe im Bankenwesen tätig, zuletzt als Leiter Communication & Collaboration. Seit kurzem hat der CIO zudem Einsitz im Projektausschuss zum «Zielbild IT Organisation SG 2030» genommen, der die Weichen für die Zusammenarbeit von Kanton und Gemeinden im Bereich digitaler Services und eGovernment stellen soll.
Sie sind 2023 vom stellvertretenden CIO in die Rolle des CIO gewechselt. Gab es Punkte, die Sie grundlegend anders gemacht haben als Ihr Vorgänger?
Es wäre sicher etwas seltsam, wenn ich seit neun Jahren in der Geschäftsleitung der Informatikdienste tätig bin, dann aber in meiner neuen Funktion eine komplette 180-Grad-Kehrtwende machen würde (lacht). Aber wir haben natürlich die internen Prozesse überprüft und Prioritäten teilweise stärker in Richtung Technik verlagert. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen Organisation und Informatik, daher bin ich nahe am Team und kanalisiere Ressourcen dorthin, wo Informatik tatsächlich entsteht. Zudem sind wir noch näher an unsere Kundschaft herangerückt und haben ein neues, moderneres Auftreten entwickelt. Zum Beispiel in Form von kurzen Videos, um unsere Services anzupreisen, aber auch, um der Informatik ein Gesicht zu geben. Das ist mir persönlich sehr wichtig. Denn eine funktionierende Informatik wird oft als Selbstverständlichkeit angesehen. Es sind aber immer unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die hier 7 mal 24 Stunden grossartige Arbeiten leisten. Daher möchte ich, dass diese auch als Personen wahrgenommen werden.
Zeigt diese Öffentlichkeitsoffensive schon Effekte?
Absolut. Wir bekommen ganz tolle Rückmeldungen zu diesem Kommunikationsformat. Wir versuchen bewusst auch mit Witz aufzutreten. Das ist nicht gekünstelt. Wir haben viel Spass bei der Arbeit und lachen auch oft. Wir sind ein grosses Team, das viel Freude an unseren Tätigkeiten hat. Und ich glaube, das darf man dann auch so nach aussen tragen.
Wie gross ist Ihr Team denn?
Aktuell zählen wir 51 Mitarbeitende in der Informatik. Zudem dürfen wir auf die wichtige Unterstützung von 86 ICT-Koordinatorinnen und ICT-Koordinatoren zählen. Zusammen erbringen wir die ICT-Dienstleistungen für insgesamt über 3000 städtische Mitarbeitende.
Unterteilt in Verantwortungsbereiche?
Genau, wir arbeiten mit einer Linienorganisation mit sieben Abteilungen: Backend, Frontend, Solutions, Service Desk und Support, Administration, Projekte, Security und Architektur. Situativ arbeiten wir auch in Matrixorganisationen, dies vor allem, wenn es um Innovationsprojekte geht. Dann braucht es die richtigen Köpfe aus verschiedenen Bereichen, die mit Passion Themen konzipieren und umsetzen.
An Aufgaben für dieses Team mangelt es sicherlich nicht. Bereitstellung von Endgeräten, Betrieb der Infrastruktur, Entwicklung und Verwaltung von digitalen Bürgerservices: Wie lässt sich ein so breites Feld abdecken?
Vor allem durch einen hohen Grad der Standardisierung bei den Basisservices. Die Büroautomation ist für den Verwaltungsteil der Stadt einheitlich gestaltet. Anders verfahren wir bei unseren Betrieben, die am freien Markt agieren, da es in diesem Umfeld mehr Flexibilität erfordert, um dynamisch auf Marktanforderungen reagieren zu können. Und auch der Bildungsbereich ist etwas gesondert zu betrachten, da es hier individuellere Anforderungen gibt. Beispielsweise rechtlich vorgegeben durch den Lehrplan 21. Auch in den Kindergärten sind heute schon Tablets im Einsatz. Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe erhalten eigene Geräte und die Wandtafel in den Klassenzimmern wurde auch digitalisiert. Da stehen heute Smart Boards. Sprich: Der Unterricht hat sich im Vergleich zu dem, was wir von früher kennen, massiv verändert.
Tablets im Kindergarten?
Ja, es gibt spezielle Apps für die Vorschulreife. Diese führen einerseits an das Digitale heran, andererseits findet aber auch eine Wissensvermittlung statt.
Digital schon im jungen Alter. Wir haben es zu Beginn bereits kurz angesprochen: Ist die Stadt St. Gallen beim Thema Digitalisierung also schweizweit eine Pionierin?
Wir tauschen uns in der Informatik regelmässig mit den anderen grossen Schweizer Städten aus. Dies auf Stufe CIO, Leitung Technik, dann gibt es einen Security- und einen Architekturaustausch. Mit den Erfahrungen aus diesen Gesprächen können wir uns durchaus mit als Leader betrachten, ja.
Und wie gelingt es Ihnen, diese Führungsrolle einzunehmen?
Es braucht ein bisschen Mut und vor allem Entscheidungen. Wie angesprochen sind wir bereits 2016 dem Weg in die Cloud gefolgt und gehörten damals zu den Ersten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir aber auch noch eine andere Finanzsituation in der Stadt, die diese Erneuerung und Transformation speditiv ermöglichte. Aktuell sieht dies etwas anders aus. Daher arbeiten wir derzeit als gesamte Stadt daran, dass wir unseren Finanzhaushalt wieder in den Griff bekommen und uns durch durchdachte Sparmassnahmen gesunden. Zudem hatte ich aber auch das Glück, dass ich stets sehr gute Mitarbeitende rekrutieren konnte, die innovativ sind, Spass an der Arbeit haben und nie den Anschluss verlieren wollen.
Was bedeuten denn diese neuen finanziellen Rahmenbedingungen der Stadt für die Informatik? Verändert sich damit Ihre langfristige Strategie und wie kann man zum Sparplan beitragen?
Hierzu ein Beispiel der Büroautomation: Bis anhin hatten wir mehrere verschiedene Optionen für Endgeräte. Es gab Tablets und Notebooks mit 13 bis 15 Zoll. Jetzt ist diese Palette etwas kleiner und teurere Modelle wurden reduziert. Mit unseren über 200 informatikbedienten Standorten haben wir zudem täglich fünf eigene Fahrzeuge im Einsatz. Deren Betriebsdauer haben wir erhöht. Auch so können wir sparen. Wir verhandeln darüber hinaus bestehende Verträge sehr scharf mit unseren Lieferanten. Dabei stelle ich immer wieder in den Vordergrund: Wer an der öffentlichen Hand grosses Geld verdienen will, vergisst, dass wir selbst nicht gewinnorientiert sind. Wir sind dafür da, dass die Stadt und die Dienstleistungen für die Bevölkerung funktionieren. Der Gewinnaspekt sollte bei unseren Zulieferern daher nicht im Vordergrund stehen. Die SIK unterstützt uns dabei und wir bekommen gute Preiskonditionen in der klassischen Verwaltung und noch grössere Nachlässe im Education-Bereich. Da ist also einiges möglich. Wir haben aber auch zahlreiche Infrastrukturkonsolidierungen vorgenommen. Diese sind für unsere Kundschaft qualitativ nicht spürbar, nach der Umsetzung werden sie in den kommenden Jahren aber unser Informatik-Budget erleichtern.
Können Sie hier ins Detail gehen?
Ein Beispiel ist unser Datenspeicher, der durch verschiedene Ausbaustufen immer wieder erweitert wurde. Wir sind an das öffentliche Beschaffungswesen gebunden und erhielten je nach Beschaffungszeitpunkt unterschiedliche Lösungen. Mit der Folge, dass wir zum Schluss bei drei verschiedenen Herstellern angelangt waren. Daher haben wir die Vertragslaufzeiten zum richtigen Zeitpunkt glattgestellt und eine zentrale Ausschreibung für den gesamten Datenspeicher durchgeführt. Seither gibt es nur noch eine Partnerin und somit nur noch einen Wartungsvertrag anstelle von dreien. Auch die Komplexität sowie der Administrationsaufwand wurden dadurch reduziert. Dieser Schritt wird sich auch in den kommenden Jahren bei den finanziellen Aufwendungen positiv bemerkbar machen.
Sind Digitalisierungsbemühungen also immer auch eine wirtschaftliche Frage? Hat sich die Geschwindigkeit durch die neuen finanziellen Rahmenbedingungen verlangsamt?
Ich würde eher sagen, dass man viel kritischer hinterfragen muss, welches die richtigen Prioritäten zur richtigen Zeit sind. Wenn ich beispielsweise die klassischen Verwaltungsservices anschaue: Über eGov gibt es viele Services, die für den gesamten Kanton zum Tragen kommen sollen. Hier ist meiner Meinung nach der Finanzierungsschlüssel einer der entscheidenden Faktoren. Als Bezügerinnen der Services stehen kleine Gemeinden mit rund 1000 Einwohnern unserer grossen Stadt mit einer Bevölkerung von über 80’000 Einwohnern gegenüber. Für uns darf daher der finanzielle Verteilschlüssel kein Nachteil sein. Hier gilt es also zu prüfen, was tatsächlich die richtigen Services sind und was sich die Stadt St. Gallen auch leisten kann. Das kann kausal auch bedeuten, dass unsere eigenen Services kostengünstiger und zudem massgeschneidert für die Anforderungen einer grossen Stadt sind. Immerhin haben wir Feuerwehr und Zivilschutz, Polizei, Schulen, Verkehrsbetriebe, die St. Galler Stadtwerke, um nur einige zu nennen. Im Kanton St. Gallen sind wir auf Gemeindeebene damit einfach der grösste Exot und hier gilt es, gegebenenfalls der internen Informatik den Vorrang zu geben.
Würden Sie sich strukturelle Änderungen wünschen oder mehr politische Unterstützung für diese individuellen Anforderungen einer Grossstadt?
Politische Unterstützung haben wir. Wir arbeiten sehr eng mit dem Kanton zusammen, führen intensive Gespräche über die Zentrumslasten, die wir auch in der Informatik finden. Das Bewusstsein ist also vorhanden. Die Frage ist nur, wer die richtigen Lösungen entwickelt. Wichtig ist für unsere Stadt, dass wir unser Dienstleistungsangebot nicht an kleinere Gemeinden angleichen können. Dies, weil wir aufgrund unserer Heterogenität schlicht nicht mit kleinen oder mittelgrossen Gemeinden vergleichbar sind.
Ein Schritt von der Politik in die Praxis: Was sind denn im Informatik-Team von St. Gallen aktuell die grössten oder wichtigsten Projekte?
Wir arbeiten aktuell an einem grossen IAM-Projekt, es geht also um Identity and Access Management. Das ist letztlich eine taktische Vorbereitung für den E-Login des Kantons, um dann noch schneller die richtigen Dienstleistungen für unsere Bürgerinnen und Bürger auf den Weg bringen zu können. Wir haben aber auch ein intensives, fünfjähriges Projekt rund um die Erneuerung der Basisinfrastrukturen unserer drei Rechenzentren in Arbeit. Wir kümmern uns in diesem Jahr zudem um die Konzeptionierung und Umsetzung von virtuellen Clients. Das Ziel ist noch mehr orts- und zeitunabhängige Arbeit zu ermöglichen. Weiter arbeiten wir derzeit an einem grossen Security-Projekt, um unser ICT-Sicherheitsdispositiv zu optimieren und an die aktuelle Bedrohungslage anzupassen. Wir unterstützen aber auch unsere Dienststellen bei ihren individuellen Projekten, um bestehende Lösungen zu erneuern oder zu optimieren, und arbeiten eng mit dem Kanton bei eGov zusammen. Hier stellen wir Fachkräfte und Fach-Know-how zur Verfügung. Persönlich habe ich Einsitz in den Projektausschuss zum «Zielbild IT Organisation SG 2030» des Kantons genommen. Es ist also ein bunter Blumenstrauss an Aufgaben, der einerseits der Erneuerung dient, zum grossen Teil aber gestalterisch zum Tragen kommt.
Das klingt nach einem straffen Programm. Können Sie die Überstunden in Grenzen halten?
(lacht) Da bin ich wieder bei dem Punkt: Wenn man eine Tätigkeit mit Freude ausführt, fällt einem diese auch leichter. Das ist wie in der Schule. Wenn eine pädagogisch geschickte Lehrperson aufzeigen kann, warum Geschichte interessant ist, dann kommt es einem auch nicht so trocken vor. Zudem geben mir die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren 40 verschiedenen Dienststellen sowie deren Wertschätzung auch wieder viel Energie zurück.
Haben sich also das Bild der IT und ihre Rolle über die Jahre gewandelt?
Das würde ich so bestätigen. Die Informatik hat sich früher eher aufgedrängt und war teuer. Gleichzeitig hat nicht jeder verstanden, warum es diese neumodische Entwicklung überhaupt braucht. Mittlerweile ist die Informatik hingegen allgegenwärtig. Schauen wir einmal nur, wenn wir mit dem Postauto fahren. Wie viele Personen haben ihr Smartphone in der Hand, das Internet damit immer präsent. Und wie häufig gehen wir heute noch zur Bank? Das E-Banking hat sich überwiegend durchgesetzt. Genau dahin müssen wir auch die Verwaltung entwickeln. Bürgerinnen und Bürger müssen die Interaktionen mit allen drei Staatsebenen vom Sofa aus intuitiv und sicher abwickeln können. Unsere Dienststellen haben erkannt, dass dieser Weg nicht ohne Informatik möglich ist. Vor diesem Hintergrund sind wir eine geschätzte Partnerin.
Sie sind also nach wie vor zufrieden mit der Entscheidung, dass Sie 2016 aus der freien Wirtschaft in den öffentlichen Sektor gewechselt sind?
Vor meinem Wechsel habe ich mich natürlich informiert, was alles zur Stadtverwaltung St. Gallen gehört. Ich hätte mir aber nicht annähernd diese Vielfalt der Anforderungen vorstellen können. Das macht meine Aufgabe wirklich wahnsinnig spannend. Und das Schöne ist auch die Nähe. Die Nähe zu meinem grossartigen Team und die Nähe zu unserer Kundschaft. Die Grossbank, bei der ich vorher tätig gewesen bin, ist schweizweit aktiv. Jedes entlegene Tal hat also eine Bank, die ich aber höchstens vom Namen her oder über das Telefon kannte. In der Stadtverwaltung St. Gallen haben wir zwar ebenfalls über 200 Standorte, dies weil neben Verwaltung, Polizei, Feuerwehr, Verkehrsbetriebe und Schule auch jeder Kindergarten bis hin zum Kehrichtheizkraftwerk auf Informatik setzt. Gegenüber meinen früheren Arbeitgebenden kenne ich heute aber alle Dienstellenleiterinnen und -leiter persönlich, wir treffen uns regelmässig. Auch ist mir der persönliche Kontakt mit unseren ICT-Koordinatoren sehr wichtig. Ich will der Informatik wie erwähnt ein Gesicht geben und unserer Kundschaft respektvoll auf Augenhöhe entgegentreten – und dann natürlich die bestmöglichen Dienstleistungen und Lösungen bereitstellen. Dies war bei meinen Anstellungen zuvor so nicht immer möglich. Einerseits aufgrund der überregionalen Aufstellung, andererseits aber auch wegen der zentralistischen Standardisierung. Dies hat es nicht immer erlaubt, auf individuelle Anforderungen und Bedürfnisse einzugehen.
Sie sind also in Ihrer neuen Position und mit der Arbeit zufrieden?
Ja, es macht Riesenfreude und ich erhalte sehr viel positive Rückmeldungen aus meinem Team. Mir macht es grossen Spass, mit den Dienststellen zusammenzuarbeiten. Andererseits befinden wir uns aber auch in der kantonalen Zusammenarbeit in der spannendsten Zeit für die Schweiz. Mit dem Föderalismus hat früher jede Einrichtung alles selbst gemacht. Sicher hat es einen Austausch auf kantonaler oder auf Gemeindeebene gegeben, aber nicht in der heutigen Form, dass die wesentlichen Anforderungen gemeinschaftlich angegangen werden. Wer in dieser Epoche etwas gestalten möchte, der hat aktuell die Möglichkeit dazu. Es sind Macher und Umsetzer gefragt, und da wir in der Informatik sehr weit vorne mit dabei sind, verfügen wir als Stadt St. Gallen über sehr grosses und wertvolles Know-how.
Ist es als Technik- und Innovationsbegeisterter nicht manchmal schwierig, dass die Technikmühlen im öffentlichen Bereich etwas langsamer mahlen?
Sicher gibt es Projekte, die ich gerne sehr schnell umgesetzt hätte, die ich auch auf meiner Agenda hatte. Nachgelagert hat dann eGov entschieden, einzelne Dienste für alle Gemeinden zu erarbeiten und ich musste meine Planung anpassen. Als Beispiel hätte ich heute schon eine flächendeckende digitale Unterschrift im Einsatz. Auch würde ich mir anmassen, dass wenn ich ein Bevölkerungskonto nur für die Stadt St.Gallen anbieten müsste, wir dieses ebenfalls schon bereitgestellt hätten. Aber es gilt natürlich einen gemeinsamen Nenner zu finden. Da spricht dann eben nicht nur die Informatik, sondern zu einem hohen Grad die Politik. Daher braucht es in der öffentlichen Hand manchmal einfach ein bisschen Geduld. Den Umgang mit dieser Balance lernt man nach neun Jahren in der öffentlichen Verwaltung (lacht).
(sta)
Zur Stadt St. Gallen
In der Verwaltung der Stadt St. Gallen mit ihren über 80’000 Einwohnerinnen und Einwohnern arbeiten derzeit rund 3000 städtische Mitarbeitende, die sich auf 200 Dienststellen verteilen. Die Informatikdienste kümmern sich mit Blick auf dieses breite Spektrum nicht nur um die Büroautomation im Sinne von Endgeräten, Infrastruktur und Fachapplikationen, sondern verantworten auch die Bereitstellung der digitalen Bürgerservices. Im Kanton St. Gallen ist die Stadt auf Gemeindeebene damit laut CIO Sven Ihl «der grösste Exot», der seine IT-Infrastruktur nur sehr bedingt mit den Anforderungen von kleineren Gemeinden vergleichen kann.