Swiss IT Magazine: In der Schweiz ist es ja glücklicherweise so, dass Züge selten Verspätung haben. Kommt es aber trotzdem mal vor, wie oft liegt die Schuld bei Ihrer IT-Abteilung?
Jochen Decker: Eigentlich nie. Wenn wir IT-Ausfälle haben, können wir diese über Business-Continuity-Massnahmen recht gut minimieren. Es könnte höchstens sein, dass die Kundeninformation oder der Ticketverkauf betroffen sind, aber direkte Zugverspätungen aufgrund der IT kommen an sich nicht vor. Allerdings gibt es in anderen europäischen Ländern schon Beispiele, wo etwa Netzwerkthemen oder IT-Ausfälle in Vergangenheit ganze Bahnsysteme lahmgelegt haben.
Ist die ständige Verfügbarkeit Ihrer IT-Systeme eine der wesentlichen Herausforderungen bei der SBB?
Absolut, die IT-Verfügbarkeit ist entscheidend. Nehmen wir die SBB Mobile App als Beispiel. Seit ihrer Einführung gehört sie konstant zu den Top 3 in den App-Stores. Sie ist für viele Reisende unverzichtbar und steht fast symbolisch für den öffentlichen Verkehr. Sobald es hier zu einer Störung kommt, wird das sofort wahrgenommen – auch medial. Und im Betrieb ist die Situation ähnlich. Unsere Fahrpläne sind extrem dicht, und das Netz ist stark ausgelastet. Wenn die IT ausfällt – sagen wir länger als eine Stunde – und zusätzlich Störungen im Netz auftreten, könnte der Zugverkehr nicht mehr aufrechterhalten werden. Es hat in der Vergangenheit durchaus Ausfälle gegeben, auch bei kritischen Systemen. Bisher konnten wir uns jedoch auf unsere Business-Continuity-Massnahmen verlassen. Glücklicherweise traten solche IT-Ausfälle bisher nicht zeitgleich mit grösseren Störungen im Netz auf. Trotzdem ist klar: Ohne IT fährt irgendwann kein Zug mehr.
Damit diese IT funktioniert, beschäftigt die SBB eine relativ grosse IT-Abteilung. Können Sie ein wenig ausführen, wie diese Abteilung aufgestellt und organisiert ist?
Wir sind eine der grössten IT-Abteilungen in der Schweiz. Insgesamt haben wir etwa 1500 interne IT-Mitarbeitende, rund 500 aus dem Business-Bereich und zusätzlich ungefähr 2000 externe Spezialisten. Es ist also eine sehr grosse Organisation. Unsere IT ist nach dem SAFe-Modell organisiert. Das bedeutet, Business und IT entwickeln und betreiben die IT gemeinsam (BizDevOps) Diese Zusammenarbeit erfolgt in sogenannten Value-Streams. Aktuell haben wir etwa 15 Value Streams, die thematisch organisiert sind, beispielsweise für Vertrieb, Kundeninformation oder Rollmaterial. Diese Value Streams können zum Teil recht umfangreich sein. Ein Value Stream kann bis zu 250 Personen umfassen und ein Budget von etwa 120 Millionen Franken haben. In einem kleinen Governancebereich regeln wir unter anderem Architektursteuerung, Datenmanagement, Strategie, IT Risk & Compliance sowie die Digitalisierungsprozesse. Und zur Skalierung haben wir zwei grosse Service-Bereiche.
Was beinhalten diese Service-Bereiche?
Der erste Bereich umfasst die klassischen IT Services wie zum Beispiel Cloud- und SAP-Betrieb, IT Procurement und ähnliche Themen, die notwendig sind, um eine saubere IT-Basis zu schaffen. Der zweite Bereich bündelt das gesamte Personal. Dabei trennen wir Fachführung und Linienführung, ähnlich wie in der Beratung. Alle IT-Mitarbeitenden – sowohl interne als auch externe – werden in einer Abteilung geführt und dann flexibel in die Value Streams und Feature-Teams eingebracht. Wenn ein Projekt oder eine grosse Aufgabe abgeschlossen ist, gehen sie zurück in die zentrale Einheit und werden von dort aus in neue Teams verteilt. Das ermöglicht uns eine hohe Flexibilität.
Jochen Decker
Jochen Decker ist seit 2020 CIO der SBB. Sein Weg in die IT war eher unkonventionell: Nach seiner Promotion in Biochemie startete er 2002 bei Accenture, wo er als Berater im IT-Umfeld der Deutschen Bahn erste Erfahrungen in der Bahn- und Transportbranche sammelte. 2005 kam er als externer Berater erstmals mit der SBB in Kontakt, bevor er im Unternehmen 2008 eine Festanstellung übernahm. Seitdem durchlief der heute 53-Jährige zahlreiche Positionen, darunter Leiter Sourcing, Leiter IT Operations, Chief Architect und Chief Digital Officer – wobei er in letztgenannter Rolle auch Stellvertreter des damaligen CIO Peter Kummer wurde. Decker beschreibt die IT der SBB als «Projektmaschine», die eine führende Rolle im europäischen Bahnsektor spielt. Privat lebt der Vater von zwei erwachsenen Kindern in Bern.
Und wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen IT und Business?
Ein Drittel unserer Organisation stammt direkt aus dem Business, darunter alle Product Owner, die strategisch für die Weiterentwicklung ihrer Produkte verantwortlich sind. Diese Mitarbeitenden arbeiten in einer Doppelrolle: Sie bleiben Teil der Business-Teams, arbeiten aber gleichzeitig fast ausschliesslich in den agilen IT-Teams.
Wie stellen Sie sicher, dass das Business-Wissen trotz der Tätigkeit in den IT-Teams à jour bleibt?
Die enge Verzahnung zwischen Business- und IT-Rollen ist Teil unseres Modells. Der Product Owner aus dem Business bildet gemeinsam mit einem Architekten und einem Ingenieur aus der IT ein Trio. Dieses Setting, das wir konsequent nach SAFe anwenden, sorgt dafür, dass Wissen aus beiden Welten stets präsent ist und optimal genutzt wird.
Welche Aufgaben übernehmen Sie in diesem Konstrukt? Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Mein Alltag ist ziemlich abwechslungsreich, da ich zwei Rollen habe. Einerseits bin ich Mitglied der Konzernleitung und somit mitverantwortlich für die strategische Steuerung der gesamten SBB. In dieser Funktion beschäftigen mich Themen von der SBB-Strategie und Geschäftsentwicklung, grossen Beschaffungen und Ausbauten bis hin zu Compliance und Bilanzthemen. Andererseits bin ich als CIO für die gesamte IT verantwortlich. Diese Rolle bringt eine Vielzahl von Aufgaben mit sich, darunter die Steuerung des Portfolios, die Überwachung von Projekten, die Bewältigung betrieblicher Herausforderungen, die Weiterentwicklung von Technologien und die Förderung unserer Mitarbeitenden.
Technologien ist ein gutes Stichwort – der Schwerpunkt dieser Ausgabe dreht sich nämlich um das Thema KI-Technologien im Praxiseinsatz. Wie, wo, respektive in welcher Form nutzt die SBB heute KI?
KI spielt bei uns eine grosse Rolle, vor allem in der Optimierung. Die IT der SBB ist im Wesentlichen eine gigantische Optimierungsmaschine: Wir haben Strecken, Rollmaterial und Personal, und unser Ziel ist es, diese Ressourcen maximal effizient zu nutzen. Bisher geschieht das primär durch klassische lineare Optimierung. Ob man das nun als KI bezeichnet, ist Ansichtssache und hängt davon ab, wen man fragt – ist aber letztlich auch nicht entscheidend. Entscheidend ist für uns, dass wir die Assets, die wir in unserer Bilanz haben, möglichst effizient nutzen können.
Und wie sieht diese Effizienzsteigerung – der KI-Einsatz in der Praxis – konkret aus?
Ein konkreter Einsatzbereich ist die Planungsoptimierung. Wir versuchen beispielsweise, auf demselben Gleis mehr Züge fahren zu lassen oder vorhandenes Rollmaterial effizienter zu nutzen. Solche Optimierungen haben riesige finanzielle Hebel, da wir teure Investitionen wie Gleisausbauten oder den Kauf neuer Züge minimieren können. Ein anderes Praxisbeispiel betrifft den Bereich Bilderkennung und Zustandsanalyse. Früher inspizierten Streckenläufer die Schienen manuell. Heute übernehmen ergänzend Diagnosezüge diese Aufgabe: Sie filmen und scannen die Schienen mit Ultraschall. Machine Learning wertet die Daten aus und meldet potenzielle Schäden. Derweil prüfen Kameras entlang der Strecke, ob zum Beispiel Güterladungen korrekt gesichert sind. Basierend darauf eröffnen sich dann weiterreichende Möglichkeiten im Bereich Predictive Maintenance. Mithilfe von KI sagen wir voraus, wann Wartungen notwendig sind, um Ausfälle zu verhindern und die Wartungsanlagen optimal auszulasten.
Gibt es auch Anwendungsfälle für generative KI?
Ja, wir setzen generative KI für interne Zwecke ein. Ein Beispiel ist unser SBB-Chatbot, der auf einer sicheren, internen Umgebung läuft. Er wird täglich von etwa 2000 Mitarbeitenden genutzt – von klassischen Büroangestellten bis hin zu Kundenbegleitern. Der Bot hilft bei der Produktivität, zum Beispiel beim Zusammenfassen von E-Mails, dem Erstellen von Präsentationen oder der Analyse von Dokumenten. Ein weiterer Anwendungsfall von GenAI ist die Call-Center-Automation. Der Bot schlägt dabei Antworten auf Kundenanfragen vor, wobei diese immer von Mitarbeitenden geprüft werden, bevor sie zurück an den Kunden gehen. Uns ist wichtig, dass Menschen bei entscheidenden Themen immer das letzte Wort haben. Und das wird auch auf absehbare Zukunft so bleiben.
Welches Sprachmodell nutzt die SBB?
Wir setzen auf ChatGPT, wobei das Sprachmodell auf unserer privaten Azure-Instanz läuft, um die Datensicherheit zu gewährleisten.
Haben Sie auch in der Softwareentwicklung Erfahrungen mit KI gemacht?
Ja, wobei diese sehr durchzogen sind. Was gut funktioniert ist der Einsatz von KI im Bereich Testing: Sie hilft bei der Generierung von Testcases, Testdaten und Dokumentationen. Bei einfachen Aufgaben wie Framework-Migrationen liefert sie ebenfalls gute Ergebnisse. Komplexere Programmieraufgaben überlassen wir aber weiterhin unseren Entwicklern, denn da haben wir – nach anfänglicher Begeisterung seitens unserer Entwickler – schlechte Erfahrungen mit KI gemacht. Denn die Nachbearbeitung bei KI-generiertem Code kann sehr aufwendig werden. Im Wesentlichen kann man zum Thema KI in der Softwareentwicklung – und ganz allgemein – festhalten: Je komplexer die Arbeit, desto schlechter ist das Ergebnis und umso aufwendiger ist das Nacharbeiten. Gleichzeitig muss man schon auch festhalten – die technischen Fortschritte sind enorm und wir reevaluieren laufend die Einsatzmöglichkeiten. Was vor sechs Monaten noch nicht ging, ist heute Standard. Es geht da mit riesigen Schritten vorwärts und man muss am Puls bleiben.
Was sind grundsätzlich die grössten Herausforderungen beim Einsatz von KI?
Für uns ist entscheidend, dass KI unsere Kernaufgabe unterstützt: die optimale Nutzung unserer Assets. Gleichzeitig darf KI in sicherheitskritischen Bereichen keine Fehler machen und der Datenschutz muss gewahrt bleiben. Wir nutzen KI, um den Lösungsraum für Optimierungen einzugrenzen und Szenarien wie Betriebsstörungen zu simulieren. Generative KI bringt zudem durch den technologischen Fortschritt in der Rechenleistung grosse Vorteile für unsere Optimierungsaufgaben. Simulationen, die früher Jahre gedauert hätten, können wir heute in Echtzeit durchführen, weil sich die Compute Power aufgrund der KI-Anwendungen rasant entwickelt hat. Unser Fokus bleibt jedoch auf Anwendungsfällen, die echten Mehrwert bieten – besonders in Bezug auf unsere Ressourcen.
Abseits von KI – welche grösseren IT-Projekte beschäftigen Sie und Ihr Team aktuell?
Wir haben zahlreiche Projekte, aber es gibt drei besonders grosse Initiativen, die ich gerne erwähnen möchte. Das erste ist die SAP-S/4HANA-Transition. Unser bisheriges SAP R/3-System stammt aus der Jahrtausendwende und war damals desintegriert aufgebaut, weil man damals mit einer möglichen Zerschlagung der SBB rechnete. Glücklicherweise kam es nie dazu, aber unser SAP-System blieb zersplittert. Mit der Umstellung auf S/4HANA konsolidieren wir nun nicht nur das System, sondern auch die Geschäftsprozesse. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Greenfield-Transition, die etwa 500 Millionen Franken kostet und rund sieben Jahre dauert. Im Moment befinden wir uns zirka auf der Hälfte des Weges. Interessanterweise macht die Prozess- und Change-Arbeit im Business etwa die Hälfte des Budgets aus, weil wir die Geschäftsprozesse komplett neu gestalten.
Und die beiden anderen Projekte?
Das zweite grosse Projekt betrifft die Personaleinsatz- und Rollmaterialplanung. Bisher planen wir Personal wie Lokführer, Zugbegleiter oder Rangierer in getrennten Systemen, und auch das Rollmaterial wird separat verwaltet. Das führt zu enormem Aufwand, besonders bei Störungen, wenn Zugfahrten, Personal und Fahrzeuge umgeplant werden müssen. Unser Ziel ist es nun, alles in einem integrierten System zusammenzuführen, unterstützt durch KI, um effizienter planen zu können. Möglich ist das übrigens auch nur, weil inzwischen die nötige Rechenleistung vorhanden ist. Früher fehlte schlicht die Compute Power, alles integriert zu planen. Das dritte Projekt betrifft den Bereich Traffic Management. Dabei wird der Fahrplan in Echtzeit auf das Gleisnetz gelegt: Welcher Zug fährt auf welchem Gleis, in welchem Abstand, mit welcher Geschwindigkeit? Hier zielen wir darauf ab, durch Optimierungen die Kapazität des Gleisnetzes erheblich zu steigern.
Sind diese beiden Lösungen Eigenentwicklungen?
Die Lösung für die Personaleinsatz- und Rollmaterialplanung ist ein kommerzielles Produkt. Das Traffic-Management-System hingegen ist eine Eigenentwicklung. Es gibt weltweit kein vergleichbares System, und wir sind damit global führend. Teilweise verkaufen wir es sogar an andere Bahnen. Dieses System ist für uns absolut zentral, da es die Kapazität unseres Gleisnetzes erheblich steigern kann – unser Allerheiligstes sozusagen.
Wie hoch ist das Gesamtbudget für diese drei Projekte?
Insgesamt sprechen wir von rund einer Milliarde Franken, verteilt auf sieben Jahre. Es sind wirklich sehr grosse Vorhaben, die entscheidend für die Zukunft der SBB sind.
Die SBB setzt KI unter anderem dazu ein, um ihre Ressourcen möglichst effizient zu nutzen. Das sorgt letztlich dafür, dass weniger Rollmaterial beschafft und Gleise gebaut werden müssen. (Quelle: SBB)
Sie haben eingangs erwähnt, dass Sie mit rund 2000 externen Spezialisten zusammenarbeiten. In welchen Bereichen geschieht das, und welche Kriterien gelten bei der Auswahl dieser Partner?
Die SBB unterliegt dem öffentlichen Beschaffungsrecht. Das bedeutet, alle Vergaben werden sauber ausgeschrieben. Die Auswahlkriterien sind klassisch: Qualität, Fähigkeiten, Branchenerfahrung, Seniorität, Lieferfähigkeit und Preis. Wir setzen sowohl auf lokale als auch auf Near- und Offshoring-Partner. Zum Beispiel arbeiten wir im SAP-Entwicklungsbereich eng mit TCS in Indien zusammen. Das alles geschieht immer streng nach Datenschutzvorgaben, wobei die Schweiz der EU25 datenschutzrechtlich gleichgestellt ist.
Wie sieht es im Bereich Infrastruktur aus?
Die SBB hat bereits 1998 ihr Infrastruktur-Management vollständig ausgelagert, betreibt seit dann also keine eigenen Rechenzentren mehr. Aktuell ist T-Systems unser Partner. Gleichzeitig haben wir fast alle On-Prem- und virtualisierten Systeme in die Public Cloud verlagert, unter anderem zu T-Systems, AWS und Microsoft. Die grossen Anbieter betreiben Datencenter in der Schweiz oder in der EU, was eine gesetzeskonforme Datenverarbeitung ermöglicht.
Bleiben wir noch kurz beim Thema IT-Infrastruktur: Wie ist diese insgesamt aufgebaut?
Wir sind hier sehr fortschrittlich unterwegs, haben unsere Legacy-Systeme weitgehend ersetzt und arbeiten mit einem modernen Open-Source-Stack, unter anderem Openshift, Postgres und Kafka. Die Systeme laufen auf der Cloud, in Containern und basieren auf einer Microservice-Architektur. Dadurch ist die Betriebsqualität deutlich gestiegen. Früher konnten kleine Fehler in einer Applikation ganze Monolithen lahmlegen. Heute bleibt bei einem Fehler in einem Feature eines Systems der Rest dieses Systems stabil. Die Transformation unserer Applikationslandschaft und das Entfernen von Legacy-Systemen haben dafür gesorgt, dass die Stabilität und Flexibilität unserer Infrastruktur jetzt auf einem sehr hohen Niveau sind.
Sie haben an den Hamburger IT-Strategietagen 2024 über die Initiative «IT for Green» gesprochen. Was steckt dahinter?
Üblicherweise spricht man von Green IT, womit die CO2-Neutralität innerhalb der IT angestrebt wird. Für uns ist jedoch IT for Green zentral: Mit IT helfen wir, CO2 im Kerngeschäft einzusparen – dort, wo das meiste CO2 anfällt. Ein Beispiel ist unser Traffic-Management-System. Es ermöglicht, mehr Züge auf dem bestehenden Gleisnetz zu koordinieren, ohne neue Tunnel, Brücken oder Strecken bauen zu müssen. Dadurch sparen wir enorme Mengen CO2, da wir nicht zusätzlich Stahl und Beton verbauen. Energieeinsparungen erzielen wir aber auch durch die optimale Zugsteuerung. Lokführer haben sekundengenaue Pünktlichkeitsanzeigen und wissen genau, wann sie sanft rollen können, statt Energie für unnötige Beschleunigungen zu verschwenden.
Man hat das Gefühl, der Fachkräftemangel habe im Laufe von 2024 ein wenig nachgelassen. Haben Sie dieser Erfahrung auch gemacht, und wie stark beschäftigt das Thema Fachkräftemangel in der IT die SBB grundsätzlich?
Bei uns war der Fachkräftemangel nie massiv spürbar. Zwar gibt es immer wieder Nischenprofile mit sehr speziellem Know-how, die schwer zu finden sind, aber insgesamt hatten wir nie grössere Schwierigkeiten, unsere Stellen zu besetzen. Das liegt sicher daran, dass die SBB als Arbeitgeber viele Talente anzieht, wofür ich drei Gründe sehe: Zum ersten Purpose – eine Sinnhaftigkeit in der Arbeit, die bei uns gegeben ist. Zum zweiten unsere offene Kultur mit flachen Hierarchien und drittens die spannenden Projekte, die uns für IT-Spezialisten sehr attraktiv machen.
Ich kommen nochmals zurück auf die KI-Thematik: Wie beeinflusst der Einsatz von KI Ihren Personalbedarf?
KI wird dazu beitragen, die persönliche Produktivität zu steigern, sodass unsere Mitarbeitenden sich auf Aufgaben konzentrieren können, bei denen der Mensch den Unterschied macht. Routinearbeiten wie das Schreiben von Testskripten können Maschinen übernehmen. Für komplexere Tätigkeiten, wie etwa die Entwicklung von Algorithmen, werden wir aber weiterhin auf Top-Talente angewiesen sein. Ich glaube auch nicht, dass KI den Personalbedarf senkt. Wie in der Vergangenheit bei neuen Technologien schafft KI zusätzliche Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften. Wichtig ist, dass wir unsere Mitarbeitenden auf diesem Weg begleiten und sie weiterentwickeln.
Wir sitzen hier in neuen, wunderschönen Büros am SBB-Campus in Bern. Wollen Sie damit Ihre Leute aus dem Home Office locken, so wie viele andere Grosskonzerne? Wie handhaben Sie das Thema?
Bei uns gilt die Faustregel 60/40: 60 Prozent im Büro, 40 Prozent Smart Working. Smart Working bedeutet bei uns, dass man von überall arbeiten kann – sei es von zu Hause, aus einem Coworking Space, einem anderen SBB-Standort oder aus dem Zug. Diese Regel wird flexibel gehandhabt und hängt davon ab, was in den Teams am besten funktioniert. Kreative und teamorientierte Prozesse erledigen wir vor Ort, konzentrierte Einzelarbeit meist anderswo. Unser Bürodesign spiegelt das wider: Es gibt viele Begegnungszonen und relativ wenige klassische Einzelarbeitsplätze. Herausforderungen gibt es eher bei der Raumnutzung. Viele unserer Mitarbeitenden arbeiten Teilzeit, und der Fokus liegt oft auf Dienstag bis Donnerstag. Das führt dazu, dass Meetingräume an diesen Tagen stark ausgelastet sind, während Montag und Freitag ruhiger sind. Auch das ist letztlich ein typisches Optimierungsthema.
Und wie ist Ihre persönliche Einstellung zum Home Office?
Für mich passt dieses Modell hervorragend. Ich bin ein Spätaufsteher und starte meine ersten Meetings oft von zu Hause. Ins Büro komme ich dann später, wenn die Rush Hour vorbei ist und es etwas gibt, das meine physische Anwesenheit erfordert. Eine Kultur der Anwesenheitskontrolle brauchen wir nicht – unser Fokus liegt auf Ergebnissen, nicht auf Facetime.
(mw)