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Start-up: Game-Schmiede mit Businessfokus
Quelle: Ateo

Start-up: Game-Schmiede mit Businessfokus

Das wahre Wunder an seiner Firma sei, dass es sie heute noch gibt, sagt Sebastian Tobler, CEO des VR- und Game-Spezialisten Ateo. Eine zehnjährige Reise zwischen Traumberuf und harter Business-Realität.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/12

     

Eigentlich sind wir ein KMU und kein Start-up mehr», sagt Ateo-Gründer und -CEO Sebastian Tobler schmunzelnd zu Beginn des Gesprächs. «Wir sind eine Digitalagentur, spezialisiert auf Spielentwicklung und Virtual-, Augmented- und Mixed-Reality-Anwendungen.» Im Kern sei man ein Softwareentwickler für interaktive 3D-Anwendungen auf Basis der beliebten Game Engine Unity, wie er weiter ausführt.

So ganz abgestreift hat Ateo den Start-up-­Vibe aber auch rund zehn Jahre nach der Gründung noch nicht. Wir treffen Tobler im Ateo-Büro, das in einem recht heruntergekommenen Bau im Zürcher Kreis 4 zuhause ist, bei dem man erst mal einen Moment nach der richtigen Klingel sucht. Und es bleibt nicht nur beim Gefühl, dass man sich im Kreativ-Wild-West von Zürich bewegt: Wie sich herausstellt, ist das Gebäude nicht nur das Zuhause von Ateo, auch ein respektabler Teil der Zürcher Game-Design-­Szene haust im Rahmen einer mehrjährigen Übergangsnutzung auf demselben Stock. So ist die Adresse etwa auch das Zuhause des Zürcher Game Studios Stray Fawn und der Non-Profit-Organisation Swiss Game Hub, die sich der Förderung der hiesigen Game Designer verschrieben hat.


Im Kreis 4 ist Ateo jedoch nicht mehr lange – die Community bestehend aus mehreren Firmen, dem Game Hub und Freischaffenden wird bald nach Oerlikon umziehen. Gemeinsam mit der Stadt Zürich hat man eine Lösung gefunden, um in der Werkhalle 87S ein neues Zentrum für Spielentwicklung in der Schweiz aufzubauen (siehe Box). Tobler ist in der Erarbeitung dieses Projektes selbst ebenfalls massgeblich beteiligt.
Das neue Zuhause der Zürcher Game-Design-Branche
In der ehemaligen Werkhalle 87S in Oerlikon entsteht derzeit der neue Swiss Game Hub, der Anfang 2025 bezogen wird. Künftig sollen sich dort rund 100 Spielentwicklerinnen und -entwickler tummeln, das Projekt versteht sich als Coworking-Space und Inkubator für Schweizer Game Designer. Weiter soll es auch eine Reparaturwerkstatt für Gamekonsolen sowie Veranstaltungen geben. Der Deal mit der Stadt Zürich ist ebenfalls ein Projekt zur Zwischennutzung. Frühestens 2031 will die Stadt dann mit dem Bau gemeinnütziger Wohnungen und der Erschliessung von Flächen für die gewerbliche und kulturelle Nutzung auf dem Areal beginnen.

Was bitte ist eine MwSt?

Die Gründung von Ateo liegt wie bereits angemerkt bereits eine Weile zurück: 2013 gründete Tobler gemeinsam mit einer ehemaligen Studienkollegin aus dem Game-­Design-Studiengang das Unternehmen.

Er habe nach dem Studium zwei Jahre lang in verschiedenen Firmen gearbeitet, wie er sich erinnert, es aber nirgends länger als ein halbes Jahr ausgehalten. Und weil er danach der festen Überzeugung gewesen sei, «das alles» besser zu können als seine Chefs, gründete er also kurzerhand die eigene Entwicklungsbude. «Eine unglaubliche Hybris», wie er im Rückblick lachend berichtet. «Ich hatte wirklich keine Ahnung und wusste nicht mal, was die Mehrwertsteuer ist und warum man eine solche bezahlen sollte.»


Toblers Unternehmung hatte also einen eher holprigen und recht wilden Start. «Das eigentliche Wunder an Ateo ist, dass es die Firma nach dieser Gründungsgeschichte überhaupt noch gibt», wie er ergänzt. Man hatte damals einen einzigen Auftrag, dessen Grösse eine Gründung «gerade noch so rechtfertigte», gleichzeitig lief das Crowdfunding für die erste Oculus-Brille. Tobler und seine mittlerweile ausgeschiedene Mitgründerin hielten diese Kombination für eine gute Gelegenheit und gingen All-in. «Wir haben wirklich jeden Fehler gemacht, der einem einfallen könnte», so Tobler.

Die Schuld am richtigen Ort suchen

Das Geld aus diesem ersten Auftrag habe haarscharf gereicht, um nicht sofort wieder einzugehen. Und der Ernst des Lebens – Verkauf, Kundenpflege, Prozesse, Mitarbeiter, (ernstzunehmende) Finanzen und so weiter – stand ja erst vor der Türe. Im Anschluss folgten fünf Jahre der ständigen Verbesserung. «Was ich seit da an der Selbstständigkeit mag ist, dass man die Schuld für Dinge in 99 Prozent der Fälle immer bei sich selbst suchen kann. Und man weiss dann auch schnell, was man anders machen müsste, damit es beim nächsten Mal besser läuft», so Tobler.

Die Learnings und daraus resultierenden Massnahmen haben offenbar gefruchtet: Nach zehn Jahren Business kann man einen namhaften Kundenkreis vorzeigen: Ochsner Sport, Empa, Axpo, Unispital Zürich, Alpiq, Planzer, IWC und On – sie alle und viele mehr haben sich schon interaktive Erlebnisse wie VR-­Simulatoren oder Trainings-Anwendungen von Ateo bauen lassen.


Die Gründungsgeschichte beantwortet auch gleich eine Standardfrage nach der Finanzierung, die sich die Start-ups in der Regel gefallen lassen müssen: Ateo ist komplett organisch gewachsen, nie in der Firmengeschichte wurde Fremdkapital aufgenommen.

Traumberuf: Game Design. Aber…

Die Unity-Projekte setzt Ateo mit einem fünfköpfigen Team (rund vier Vollzeitstellen) um. CEO Tobler eingerechnet sind drei davon heute auch Inhaber (Bild links). Bezogen auf die zwei regulär angestellten Leute stellt sich aber die Lohnfrage, die ganz besonders im Game-Design-Bereich speziell ist: Vor allem die Devs, die mit Abstand den grössten Teil der Stellen ausmachen, wären in der IT-Branche gefragt und massiv gut bezahlt. Der Bereich Game Design zählt derweil aber eher zur Kreativbranche, in welcher die Löhne deutlich knapper berechnet sind. «Das ist in der Tat ein grosses Problem für uns», so Tobler. Mehrere ehemalige Ateo-Angestellte verdienen laut Tobler heute in der IT-Branche 120’000 Franken und mehr im Jahr – das kann sich die Schweizer Game-Branche schlicht nicht leisten. «Es gibt einen Preis für eine Stelle in einem sogenannten Traumberuf», wie Tobler unverblümt ausführt. «Und das ist ein niedriger Lohn. Das ist die brutale Realität im Game Design, aber auch in anderen solchen Bereichen, wie beispielsweise in der Musik.»


Aber – und das treibt wohl auch einen Teil der Leute in der Branche an – es gibt, wie auch in der Musik, einzelne Projekte, die durch die Decke schiessen und Millionen generieren. «Das ist ein bisschen Lotto», so Tobler. «Auch wenn die Chance auf Millionen in der Spielentwicklung wohl etwas höher ist.» Dafür ist aber auch deutlich mehr Einsatz nötig als der Gang zum nächsten Kiosk.

Abhängigkeiten reduzieren

Die Zukunft betreffend denkt Tobler zum Schluss laut über etwas mehr Diversifizierung nach. Zwar sind nach wie vor weitere spannende VR- und AR-Projekte in Arbeit und in Planung, aber auch «VR-fremde» Projekte stehen an. Für das eingangs erwähnte Studio Stray Fawn wird Ateo in den kommenden Monaten beispielsweise die Mobile-Portierung eines PC-Games übernehmen.


Laut dem CEO werde man sich neben den B2B-Projekten, die den Löwenanteil des Umsatzes ausmachen, aber auch weiterhin von Zeit zu Zeit einem eigenen Projekt widmen. «Etwas weniger abhängig zu sein und ein eigenes Produkt zu schaffen, wäre wünschenswert. Denn auch ich träume natürlich ein bisschen von diesem einen eigenen Titel, der durch die Decke geht und Millionen generiert», wie er lächelnd sagt.

Zukunftstag

Das Interview mit Sebastian Tobler (rechts) fand am nationalen Zukunftstag statt. Unser Redaktor wurde im ­Interview mit schlauen Fragen und viel Motivation von Leo (links) und Aidan (Mitte) unterstützt.


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