Editorial

Ein Schritt aus der KI-Bubble

Die Meldungen und Fortschritte rund um Künstliche Intelligenz überschlagen sich förmlich. Jeder grosse Akteur in der Tech-Branche will ein Stück vom Kuchen und dieser ist gemäss Statista äusserst lukrativ: Bereits fürs laufende Jahr wird der GenAI-Markt auf eine Grösse von 33 Milliarden Dollar geschätzt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/07

     

Wachstum bis 2030 um den Faktor zehn. Eine Vorreiterrolle in diesem boomenden Geschäft reklamiert Microsoft für sich. Gemäss dem Microsoft Work Trend Index 2024 nutzen nämlich weltweit 75 Prozent der Wissensarbeiter bereits heute KI für ihre alltägliche Arbeit. In der Schweiz soll der Anteil sogar 82 Prozent betragen. Mit anderen Worten: Alle Welt nutzt KI – nur: ist dem wirklich so?

Die euphorischen Zahlen von Microsoft sind mit Vorsicht zu geniessen. Einerseits, da weder Microsoft selber noch der Duden den Begriff «Wissensarbeiter» konkreter einzuordnen vermögen. Andererseits besagt der Volksmund, dass man keiner Statistik glauben soll, die man nicht selbst gefälscht hat. Dass Microsoft als einer der wesentlichen Akteure in der KI-Entwicklung grosses Interesse daran hat, dass die Technologie rege genutzt wird, liegt auf der Hand. Manchmal empfiehlt es sich, einen Schritt zurückzugehen und die Bubble, in der man sich befindet, zu verlassen. Genau das haben die University of Oxford sowie das Reuters Institute for the Study of Journalism in einer weiteren Studie zur KI-Nutzung getan – und die in dieser Studie erhobenen Zahlen decken sich nicht einmal ansatzweise mit dem, womit sich Microsoft brüstet.


Die beiden Institutionen haben sowohl den Bekanntheitsgrad sowie die Nutzung von KI in den Ländern Argentinien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Japan und USA repräsentativ untersucht. Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Selbst im ChatGPT-Gründungsland USA haben 47 Prozent der Befragten noch nie etwas von diesem Dienst gehört. In den anderen fünf Ländern ist die KI von OpenAI ähnlich unbekannt. Auch bei der Nutzung spielt ChatGPT nur eine untergeordnete Rolle. Lediglich 16 Prozent der Befragten gaben an, ChatGPT mindestens monatlich für berufliche und/oder private Zwecke zu verwenden.

Bescheidene Zahlen und dennoch Werte, von denen Google und Microsoft derzeit gemäss der Studie nur träumen können: 83 Prozent der Befragten kennen Gemini nicht, Copilot ist mit 84 Prozent sogar noch ein Quäntchen unbekannter. Folglich fristen diese beiden KI-Dienste in den sechs Ländern nicht mehr als ein Nischendasein: nur fünf Prozent nutzen Gemini oder Copilot regelmässig. Grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern treten nicht hervor. Die allgemeine KI-Nutzung ist in den USA am höchsten, jedoch ohne nennenswerten Abstand. Insofern dürften sich die Ergebnisse der Umfrage mehr oder weniger auch auf die Schweiz übertragen lassen.


Eine kleine (und definitiv nicht repräsentative) Umfrage in meinem persönlichen Umfeld holt einen ebenfalls auf den Boden der Tatsachen zurück: Kaum jemand in meinem Bekanntenkreis nutzt KI wirklich für etwas Sinnvolles im Alltag und wenn, dann mittels ChatGPT. Gemini und Copilot sind für Leute ausserhalb der Tech-Branche nichtssagende Fremdwörter. Ich wage die Vermutung, in Ihrem Umfeld schaut es nicht viel anders aus. Und daraus lässt sich schliessen: Den Tech-Konzernen steht nebst der Entwicklungsarbeit auch noch ein Berg an Marketing-Aufgaben bevor.
Koray Dollenmeier, Redaktor
kdollenmeier@swissitmedia.ch


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Vor wem mussten die sieben Geisslein aufpassen?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER