«Die Kampagne wurde sehr unterschiedlich angenommen»

ICT-Berufsbildung Schweiz lancierte für seine Women-in-Tech-Kampagne eine Landingpage und eine Firmen-Toolbox. Vor allem die Emotions-Toolbox stiess jedoch auf Kritik. «Swiss IT Magazine» konfrontierte Geschäftsführer Serge Frech und Sprecherin Elisa Marti.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/07

     

Eine Women-in-Tech-Kampagne (WiT), die vom Kanton Zürich, ICT-Berufsbildung Schweiz, Digitalswitzerland und der Taskforce4women (Müller-Möhl-Foundation) durchgeführt wird, möchte Mädchen und Frauen für Tech-Berufe begeistern. Die WiT-Kampagne basiert auf einer Neuromarketing-Studie. Im Mai wurden diese Studie, eine neue Landingpage für Mädchen und eine Emotions-Toolbox für Firmen vorgestellt. Vorallem die Emotions-Toolbox stiess in der ICT-Branche jedoch auf Kritik. «Swiss IT Magazine» hat bei ICT-Berufsbildung Schweiz nachgefragt.

«Swiss IT Magazine»: Im Mai wurde die Kampagne Women in Tech (WiT) vorgestellt. In der ICT-Branche kam diese nicht so gut an. Das betrifft hauptsächlich die Emotions-Toolbox, welche Empfehlungen enthält, wie man Mädchen und Frauen für ICT-Berufe begeistern kann. Der Vorwurf: Sie sei klischiert. Denn darin werden zum Beispiel «beruhigende Farben» wie rosa oder violett, eine «einfache Sprache» und «freundliche Sprechblasen» empfohlen... Was ist schiefgelaufen?
Serge Frech:
Zunächst möchte ich widersprechen, dass die Kampagne nicht gut angekommen ist. Sie wurde sehr unterschiedlich angenommen. Wir erhielten teilweise sehr positives Feedback – auch zur Emotions-Toolbox. Es ist aber schon so, dass wir auch Kritik dafür erhielten. Ich befürchte, dass die Studie, die Toolbox und alle anderen Massnahmen rund um die Initiative von bestimmten Medien und Exponentinnen stark reduziert wurden auf Pink und eine einfache Sprache. Dies entspricht aber nicht den Tatsachen.


Aber wieso hat man nicht andere Massnahmen zu Beginn der Kampagne gepusht und die Erkenntnisse aus der Neuromarketing-Studie intern für die Gestaltung genutzt?
Elisa Marti:
Die Emotions-Toolbox liess sich schnell umsetzen und kann jetzt von Firmen und Organisationen bereits genutzt werden. Die Toolbox wird nun weiterentwickelt und ist auch nur ein Teil der Initiative. Gleichzeitig sind wir mit einer grösseren Arbeitsgruppe, der Firmen, Fachorganisationen, Pädagogische Hochschulen und Fachhochschulen angehören, daran, weitere Massnahmen zu erarbeiten, die über Kommunikationsaktivitäten hinausgehen.
Serge Frech: Auch die Frauen in der Arbeitsgruppe, alles Tech-Frauen, fanden übrigens nichts Negatives an den Studien­ergebnissen, auf denen die Toolbox ­basiert.

Das deckt sich allerdings nicht mit den Rückmeldungen, die ich von mehreren Tech-Frauen erhielt. Alle waren irritiert. Eine Frau, die viele Jahre in der Branche ist, meinte gar ironisch: «Fehlt nur noch, dass sie Interessierte mit einer Maniküre locken…».
Serge Frech:
(Pause). Bei unserer Kampagne versuchen wir, mit der Schrift, der Farbgebung, der Sprache und den Figuren ein anderes Bild der Berufe in der ICT zu vermitteln, die bis heute als sehr ­technische Berufe identifiziert werden. Aber es geht nicht darum zu sagen, Frauen seien emotional und stehen auf Rosa, sonst hätten wir beispielsweise kein Blau oder Orange und Magenta in der vorgeschlagenen Farb­palette drin. Es geht darum, dass man die Emotionen, die die Berufe bei Frauen, die in diesen Berufen arbeiten, auslösen, nach aussen sichtbar macht. Und dafür sind die Toolbox und die Landingpage da. Mir als Mann gefällt es übrigens auch besser so.
ICT-Berufsbildung Schweiz arbeitet für die Kampagne mit Jugendlichen zusammen. Welche Rückmeldungen geben sie zur neuen Girl-Landingpage und zur Toolbox?
Elisa Marti:
Wir arbeiten sehr viel mit Lernenden zusammen. Das sind Mediamatikerinnen und Mediamatiker, die unser Kommunikationsmaterial wie Broschüren herstellen. Generell: Wir zeigen unsere Inhalte immer auch der Zielgruppe. Das sind in diesem Fall Schülerinnen und Schüler im Alter von 12 bis 15 Jahren, die uns Feedback geben. Wir ­haben ihnen auch die Toolbox und die Landingpage gezeigt und das kam nicht negativ an.

Die ICT-Berufsbildung-Kampagne ist mehrstufig und läuft bis 2026. Was sind die nächsten Stufen?
Elisa Marti:
Wir sind bei der Landingpage jetzt mit zwei Videos gestartet. Eines ist mit Ada Lovelace, ein anderes ist mit Jane Raymond. Raymond hat bei der Entwicklung des Games Assassin’s Creed mitgearbeitet. Die Idee bei diesen Videos war: Wir nehmen jemanden von gestern, eine Pionierin – Lovelace –, dann haben wir jemanden von heute – Raymond – und schlagen den Bogen zu morgen – das ist dann vielleicht die Landingpage-Besucherin. Zudem porträtieren wir nach und nach noch Lernende und Berufsfrauen, die erfolgreich sind. Des Weiteren bauen wir gerade einen Tiktok-Kanal auf. Dafür sollen Lernende aus ganz unterschiedlichen technischen Berufen aus der ganzen Deutschschweiz direkt Content aus ihren Betrieben erstellen.
Serge Frech: Hier haben wir als Berufsverband halt unsere Anknüpfungspunkte. Wir schränken uns natürlich sehr stark auf unsere Zielgruppe Schülerinnen und Schüler ein, um diesen unsere Berufe schmackhaft zu machen. Deshalb beschränken sich unsere Massnahmen auf Kommunikation, das Visuelle und auf Information. Alles andere, also zum Beispiel, dass Frauen in der Berufswelt noch immer gewisse Nachteile haben und das – zu Recht – angeprangert wird, das ist dann eigentlich nicht unsere Baustelle, sondern eher die Aufgabe von anderen Branchenverbänden und den Unternehmen im IT-Bereich.


Die WiT-Kampagne basiert auf einer Studie des Neuromarketing-Unternehmens Zutt & Partner. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Elisa Marti:
Wir hatten eine Strategieklausur in Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel. Es ging darum, dass man den Frauenanteil in ICT-­Berufen steigern wollte. Anschliessend formierte sich eine Arbeitsgruppe, die sich des Themas annahm. Philipp Zutt von Zutt & Partner sprach in dieser Gruppe vor und stellte den sogenannten Emocompass vor. Da bisherige Massnahmen das Thema Emotionen eher ausser Acht liessen, kam die Arbeitsgruppe zusammen mit den Partnern von Digital­switzerland, dem Kanton Zürich und der Taskforce4women zum Schluss, dass dieser neue Ansatz einen Versuch wert ist.

Neuromarketing ist nicht unbedingt unumstritten. Was halten Sie davon?
Serge Frech:
Neuromarketing ist umstritten, wenn es darum geht, ein Produkt zu verkaufen, da bin ich einverstanden. Aber am Ende des Tages ist es auch eine Wahrheit, dass wir auf solche Neuro-Trigger ansprechen. Wir wollen das für etwas Gutes nutzen und das Interesse von Mädchen und Frauen an unseren Berufen erhöhen.
Wer bezahlt die Studie von Zutt & Partner und was hat sie gekostet?
Serge Frech:
Wir haben seitens ICT-Berufsbildung Schweiz rund 5000 Franken daran bezahlt. Das Amt für Wirtschaft und das Amt für Arbeit des Kantons Zürich beteiligten sich mit rund 2000 Franken an der Studie. Zutt & Partner hat einen erheblichen Teil ihrer Arbeit pro bono geleistet. Den Grossteil der Kosten dieser Studie hat die Taskforce4women übernommen. Über die Höhe der Förderbeträge können wir keine Auskunft geben.

Wie will man denn messen, was die Kampagne am Schluss wirklich bringt?
Serge Frech:
Das ist eine berechtigte Frage. Es braucht mindestens fünf Jahre, vorher können wir das nicht messen. Nehmen wir an, eine 14-jährige Schülerin geht auf unsere Girl-Landingpage. Dann geht sie nach sechs Monaten in einer Firma schnuppern. Sie fühlt sich dort vom Beruf angesprochen, weil das Unternehmen mit unserer Toolbox arbeitet (schmunzelt), und beginnt dann im Jahr darauf eine Lehre. Dann ist sie 16 und beim Abschluss 20 Jahre alt. In dem Jahr erhalten vom Bundesamt für Statistik die Zahlen und sehen erst da eine Veränderung.


Was würde das für ICT-Berufsbildung Schweiz bedeuten, wenn in fünf oder sieben Jahren dann klar wird: Es hat nichts gebracht – oder wurde gar schlimmer?
Serge Frech:
Ich befürchte, das wird auch so eintreffen. Und zwar, weil wir momentan zahlenmässig ein Vergrösserung der Anzahl Fachkräfte haben, aber nur eine leicht steigende Anzahl Frauen. Das heisst, es gibt zwar eine Vergrösserung der Anzahl Fachkräfte, jedoch wächst der prozentuale Anteil Frauen langsamer. Absolut wird der Anteil an Frauen somit kleiner. Das ist nicht gut. Umso mehr braucht es unsere Anstrengungen in diesem Bereich.
Elisa Marti: Ich glaube, es braucht den Effort von allen. Man kann nicht sagen, mit dieser Toolbox hat man den Heiligen Gral gefunden und damit lösen wir das Problem. Das reicht nicht. Wir brauchen alle, auf allen Ebenen. Nur wenn alle in ihren Bereichen etwas ändern, kann man Wirkung erzielen.

Möchten Sie noch ein Wort an die Kampagnen-Kritiker richten?
Serge Frech:
Ich möchte dazu aufrufen, dass alle, die jetzt kritisch waren, ein bisschen nachsichtig sein sollen. Sie ­sollen sich das nochmals genau anschauen und sich überlegen: Könnte es doch etwas sein, das die Wahrheit der Tech-Frauen besser nach aussen transportiert? (cma)


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