Individualsoftware: Massgeschneidert für den Erfolg

In einer Zeit, in der Standardlösungen oft an ihre Grenzen stossen, bietet Individual­software entscheidende Vorteile für Unternehmen. Doch wann lohnt sich die Investition in eine massgeschneiderte Lösung und wie sollte sie umgesetzt werden?

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/07

     

In der digitalisierten Geschäftswelt sind Flexibilität und Effizienz Schlüsselwörter für den Erfolg. Standardsoftwarelösungen erfüllen oft grundlegende Bedürfnisse, stossen jedoch bei spezielleren Anforderungen schnell an ihre Grenzen. Hier bietet Individualsoftware – speziell entwickelt, um exakt auf die Bedürfnisse eines Unternehmens zugeschnitten zu sein – eine attraktive Alternative. Doch wann genau macht der Schritt hin zu einer eigens entwickelten Lösung Sinn und wie steuert man die damit verbundenen Prozesse?

Software ab der Stange oder Individualentwicklung?

Der erste Schritt besteht in einer gründlichen Analyse der eigenen Bedürfnisse, wie Anforderungen an die neue Applikation, bestehende IT-Infrastruktur, Schnittstellen, Migrationskonzepte, in der Firma vorhandenes Know-how über Entwicklung und Betrieb, IT-Sicherheit, Regulatorien und mögliches Investitionsvolumen. Zusätzlich müssen Risiken und Migrationsstrategien berücksichtigt werden.

Für standardisierte Prozesse gibt es häufig passende Produkte wie ERP, CRM, Projektmanagement, CMS und Lagerverwaltung. Diese Standardprodukte sind oft sinnvoller, wenn sie die wichtigsten Anforderungen des Unternehmens abdecken. Die Herausforderung liegt hier in der Evaluation des passendsten Produkts. Unternehmen müssen sich fragen: Wie nahe kommt diese Lösung meinen Mindestanforderungen an Funktionalität? Eine gründliche Evaluierung und Auswahl eines geeigneten Standardprodukts kann viel Zeit und Ressourcen sparen. Die Evaluation sollte Kriterien wie Benutzerfreundlichkeit, Anpassungsfähigkeit, Kosten, Implementierungszeit und Supportmöglichkeiten berücksichtigen. Es ist ratsam, auch zukünftige Anforderungen und die Skalierbarkeit der Lösung in Betracht zu ziehen, um langfristig erfolgreich zu sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, ob die Standardsoftware an die spezifischen Anforderungen des Unternehmens anpassbar ist. Oft können Anpassungen und Erweiterungen durch Add-ons, APIs oder Dritthersteller-­Tools vorgenommen werden, um eine optimale Lösung zu erreichen.


Individualsoftware lohnt sich, wenn spezifische Anforderungen nicht durch Standardlösungen abgedeckt werden können oder Erweiterungen für eine Standardlösung entweder gar nicht realisierbar oder zu teuer wären. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die gewünschte Unabhängigkeit von einem bestehenden Produkt. Dies kann in Bereichen wie der Messung oder der Sicherheitsüberwachung der Fall sein. Weitere Gründe sind die Abkündigung eines Produkts durch den Hersteller oder dessen Konkurs, was eine sichere Nutzung der Standardlösung gefährden kann. Neue gesetzliche Anforderungen, die durch Standardlösungen nicht abgedeckt werden, erfordern gegebenenfalls eine massgeschneiderte Software. Wenn keine passende Lösung am Markt vorhanden ist, bleibt oft nur die Entwicklung einer individuellen Lösung. Darüber hinaus kann die Kostenstruktur ein entscheidender Faktor sein, insbesondere wenn Hersteller ihre Software nur noch im Abonnement anbieten, was langfristig zu hohen Kosten führen kann. Schliesslich spielen Datenschutzgründe eine wichtige Rolle, da Daten aus Compliance-Gründen teils nicht in die Cloud übertragen werden dürfen.

Die Vorteile von Individualsoftware sind klar: massgeschneiderte Funktionalitäten, optimale Ressourcennutzung und oft ein Wettbewerbsvorteil gegenüber einer Standardlösung. Allerdings kann der Prozess auch Stolpersteine verursachen, wenn er nicht richtig an das Unternehmen angepasst wird. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist der Zeitpunkt, zu dem die Software benötigt wird. Unternehmen müssen prüfen, ob sie auf die Eigenentwicklung warten können oder ob eine schnellere Lösung erforderlich ist. Die Entwicklung einer individuellen Software kann längere Zeit in Anspruch nehmen, was in dringenden Fällen ein Nachteil sein könnte.

Der Weg zur eigenen Software

Die Entwicklung von Individualsoftware ist ein komplexer Prozess, der von der Anforderungsanalyse über die Planung und Entwicklung bis zum Testing, Deploy­ment und Wartung und Support reicht. Dieser Prozess beginnt mit der Inspiration und der Ideenfindung, gefolgt von der Erstellung von Konzepten und Business Cases, um den wirtschaftlichen Nutzen zu bewerten. Danach werden die Anforderungen detailliert erfasst und in Design und Architektur überführt. In der Entwicklungsphase entstehen die eigentlichen Softwarelösungen, die anschlies­send gründlich getestet und auf ihre Usability hin überprüft werden.

Nach erfolgreicher Implementierung wird die Software in Betrieb genommen und gewartet. Der Zyklus schliesst mit dem Outphasing ab, wenn die Software durch eine neue Version ersetzt oder nicht mehr benötigt wird. Jeder dieser Schritte ist entscheidend, um das volle Potenzial der entwickelten Software auszuschöpfen und einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen. Durch diesen ganzheitlichen Ansatz wird sichergestellt, dass die entwickelten Lösungen den Anforderungen entsprechen und langfristig erfolgreich eingesetzt werden können.


Die Kosten variieren in einem Softwareprojekt je nach Projektumfang stark und können sowohl auf Aufwandsbasis als auch zu einem Fixpreis abgerechnet werden. Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile und werden normalerweise je nach Projektanforderungen im Voraus definiert.

Die aufwandsbasierte Abrechnung bietet Flexibilität und Transparenz, da Kunden Anforderungen im Verlauf des Projekts ändern können und detaillierte Berichte über den Fortschritt erhalten. Das finanzielle Risiko verteilt sich zwischen Kunden und Anbietern, was bei unvorhergesehenen Änderungen von Vorteil ist. Allerdings bringt dieses Modell Kostenunsicherheit mit sich, da die Gesamtkosten schwer abzuschätzen sind. Zudem erfordert es eine kontinuierliche Überwachung und Abstimmung, was aufwendig sein kann. Anbieter könnten weniger Anreize haben, effizient zu arbeiten, was zu höheren Kosten führen kann.

Das Festpreis-Modell hingegen bietet klare Kostenvorgaben, die eine bessere Budgetplanung ermöglichen. Ein fester Vertrag reduziert das Risiko von Missverständnissen und Änderungen im Projektverlauf und motiviert den Anbieter, effizient zu arbeiten. Allerdings ist die Flexibilität eingeschränkt, da Änderungen nach Vertragsabschluss schwierig und kostspielig sind. Das Risiko für unvorhergesehene Probleme trägt der Anbieter, was zu einem konservativen Ansatz bei der Planung führen kann. Um Kosten zu sparen, könnten Anbieter versucht sein, an der Qualität zu sparen.

Die Wahl des Abrechnungsmodells sollte daher sorgfältig abgewogen und an die spezifischen Anforderungen des Projekts angepasst werden. Für klar definierte Projekte eignet sich der Festpreis, während dynamische Projekte mit hohem Anpassungsbedarf von der aufwandsbasierten Abrechnung profitieren.

Nach der Implementierung benötigt Individualsoftware kontinuierliche Wartung und Support, um technologisch aktuell zu bleiben, Sicherheitsstandards zu gewährleisten und mit den sich ändernden Anforderungen des Unternehmens Schritt zu halten. Eine langfristige Partnerschaft mit dem Softwaredienstleister kann dabei helfen, die Investition über die Jahre zu schützen und kontinuierlich zu optimieren. Ein transparenter Entwicklungsprozess, der regelmässige ­Updates und Einblicke bietet, ist dabei entscheidend, um Überraschungen zu vermeiden und eine reibungslose Weiterentwicklung zu gewährleisten.

Inhouse oder mit externem Partner?

Die Entscheidung, ob eine Softwarelösung inhouse oder durch einen externen Partner entwickelt werden soll, hängt von ­verschiedenen Faktoren ab. Bei der Inhouse-Entwicklung bleibt die volle Kontrolle über den gesamten Entwicklungs­prozess und die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen im eigenen Unternehmen. Zudem kann das vorhandene Know-how optimal genutzt und weiterentwickelt werden. Die Auslastung eigener Ressourcen ist ebenfalls ein Vorteil, genauso wie der Schutz von geistigem Eigentum und der Erhalt des unternehmenseigenen Know-hows. Allerdings sind hohe Kosten, umfangreiche Wissensanforderungen und längere Entwicklungszeiten Herausforderungen, die berücksichtigt werden müssen. Ein eigenes Entwicklerteam zu unterhalten, kann teuer sein und erfordert umfassende Kenntnisse der gewählten Technologie sowie Tools und Entwicklungsmethoden. Der Aufbau dieses Know-hows ist aufwändig und kann zu Verzögerungen im Time to Market führen.

Ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung ist das vorhandene Wissen im Unternehmen und welche zusätzlichen Fähigkeiten benötigt werden. Unternehmen müssen entscheiden, welches Know-how sie selbst behalten oder aufbauen ­möchten und welche Technologien nicht strategisch wichtig sind. Für den Know-how-Aufbau kann es hilfreich sein, Spezialisten mit vorhandenen Technologie­kenntnissen hinzuzuziehen.


Die Zusammenarbeit mit einem externen Partner bringt mehrere Vorteile mit sich: Die Nutzung von Technologieexpertise und Kapazität, da der Partner idealerweise bereits über die richtigen Ressourcen verfügt. Das Know-how muss nicht selbst aufgebaut werden und es gibt eine Risikominderung bei der erstmaligen Anwendung neuer Technologien, Methoden und Prozesse. Ein Software-Entwicklungspartner verfügt idealerweise bereits über alle notwendigen Rollen, von Requirements Engineers, Architekten, Entwicklern, Testspezialisten und DevOps-Engineers bis hin zu Wartungs- und Support-Mitarbeitenden. Spezialisierte Tools und Prozesse über die gesamte Entwicklung sind bereits vorhanden, geschult und etabliert, einschliesslich Quellcode-Verwaltung, Build- und Release-Management, IDEs, Projektabwicklungssoftware und Testautomations-Tools. Eine langfristige Partnerschaft bietet zudem Stabilität und Sicherheit.

Die Entscheidung für eine Inhouse-Entwicklung oder die Zusammenarbeit mit einem Partner hängt auch von den Kosten und der Wahl der Technologie ab. On-Premises-Lösungen oder Cloud Services oder Mobile Apps, Microsoft-Technologien oder Java und Open Source sind nur einige der Optionen, die berücksichtigt werden müssen. Dabei spielen das vorhandene Wissen im Unternehmen und die strategische Relevanz bestimmter Technologien eine entscheidende Rolle.

Letztlich hängt die Entscheidung von den individuellen Bedürfnissen des Unternehmens, den verfügbaren Ressourcen und der strategischen Relevanz der jeweiligen Technologie ab. Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile und sollten sorgfältig abgewogen werden. Mit einer geschickten Wahl kann man sich das Know-how des Partners insourcen, teure Peaks mit Partnern abfedern sowie Produkte mit strategisch unwichtigen Technologien einem Wartungs- und Supportpartner übergeben.

Wie finde ich den passenden externen Partner?

Die Wahl des richtigen externen Partners für die Softwareentwicklung ist entscheidend für den Erfolg eines Projekts. Verschiedene Evaluationskriterien spielen eine wichtige Rolle bei dieser Entscheidung. Ein externer Partner muss verlässlich sein, was sich durch eine nachgewiesene Erfolgsbilanz und positive Referenzen zeigt. Verlässlichkeit bedeutet auch, dass der Partner in der Lage ist, vereinbarte Zeitpläne einzuhalten und qualitativ hochwertige Ergebnisse zu liefern. Es ist wichtig, dass der Partner über ausreichende Ressourcen verfügt und in der Lage ist, auf Änderungen im Projekt flexibel zu reagieren. Ein weiterer entscheidender Faktor ist, ob der externe Partner in der Lage ist, Betriebsgeheimnisse sicher zu handhaben. Unternehmen müssen prüfen, ob ihre Betriebsgeheimnisse externen Partnern überhaupt anvertraut werden können. Dies erfordert klare vertragliche Vereinbarungen und möglicherweise zusätzliche Sicherheitsmassnahmen wie Audits, um sicherzustellen, dass sensible Informationen geschützt sind.

Bei der Wahl eines externen Partners gibt es oft die Wahl zwischen einem lokalen Partner und einem Nearshore- oder Offshore-Partner. Beide Optionen haben ihre eigenen Vor- und Nachteile, die sorgfältig abgewogen werden sollten. Ein lokaler Partner bietet mehrere Vorteile, insbesondere bei komplexen Projekten mit hohem Innovationsgrad. Agile Prozesse mit vielen Feedback-Schleifen und ein kleines Team sind typisch für lokale Partner, was die Zusammenarbeit erleichtert. Lokale Partner verstehen die spezifischen Anforderungen von KMU oft besser und können kürzere Projekte effizient umsetzen. Bei visionären Anforderungen, die sich schnell ändern können, und wenn lokales Sprach- und Kulturverständnis wichtig sind, ist ein lokaler Partner oft die bessere Wahl. Auch die Einhaltung lokaler Standards und Regulatorien ist bei einem lokalen Partner einfacher sicherzustellen. Kurze Entscheidungswege und eine hohe Änderungsgeschwindigkeit sind weitere Vorteile der Zusammenarbeit mit einem lokalen Partner.


Nearshore- oder Offshore-Partner bieten Vorteile bei Projekten mit niedrigerer Komplexität und eher standardisierten Produkten. Sie eignen sich besonders für Grossprojekte, die Investitionen in Offshore-Strukturen erlauben, und internationale Konzerne. Nearshore- oder Offshore-Partner können langfristige Programme unterstützen, die einen Governance-Aufbau ermöglichen. Klare, messbare und harte Anforderungen lassen sich oft gut durch Nearshore- oder Offshore-Partner erfüllen. Diese Partner haben oft bereits eine internationale Kultur und sind mit den entsprechenden Standards vertraut. Bei Projekten, die stabile und langfristige Projektziele und Prozesse erfordern, sind Nearshore- oder Offshore-Partner besonders geeignet.

Die Wahl zwischen einem lokalen und einem Near-/Offshore-Partner hängt stark von den spezifischen Anforderungen des Projekts und den strategischen Zielen des Unternehmens ab. Beide Optionen bieten einzigartige Vorteile, die sorgfältig abgewogen werden sollten, um den besten Partner für das jeweilige Projekt zu finden.

Faktoren sorgfältig abwägen

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Individualsoftware bietet Unternehmen entscheidende Vorteile, besonders wenn spezifische Anforderungen durch Standardlösungen nicht abgedeckt werden können. Während eine gründliche Bedarfsanalyse und Risikobewertung die Grundlage für die Entscheidung bildet, muss auch die Wahl zwischen Inhouse-Entwicklung und der Zusammenarbeit mit einem externen Partner sorgfältig abgewogen werden. Die Inhouse-Entwicklung bietet volle Kontrolle und Schutz von Geschäftsgeheimnissen, erfordert jedoch hohe Investitionen und umfangreiches Know-how. Externe Partner können durch ihre Expertise und etablierten Prozesse die Time to Market verkürzen und Risiken minimieren. Letztlich hängt die Wahl des richtigen Partners von den individuellen Bedürfnissen und strategischen Zielen des Unternehmens ab. Ob lokal oder Near-/Offshore, beide Ansätze haben ihre spezifischen Vor- und Nachteile, die genau analysiert werden sollten, um den besten Weg für den Erfolg der Softwareentwicklung zu finden.

Der Autor

Oliver Voll, Head of Projects und Business Unit Leiter Application Development bei bei Noser Engineering, verfügt über jahrelange Erfahrung in der Leitung komplexer Softwareentwicklungsprojekte. Noser Engineering steht für technologische Exzellenz und massgeschneiderte Lösungen in den Bereichen Software- und Hardwareengineering, unterstützt durch ein Team aus erfahrenen, zertifizierten Experten und Projektleitern.


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