Soziale Netzwerke wie Instagram oder Tiktok sind trotz aller Kritik kaum mehr aus der Online-Welt wegzudenken. Sie dominieren den globalen Markt. Hat daneben ein kleines, regionales soziales Netzwerk aus der Schweiz überhaupt Platz? «Ja klar, denn wir unterschieden uns in zahlreichen Punkten», sagt Thomas Wolfensberger, Gründer, Hauptaktionär und strategischer Berater von
Naoo, einem Schweizer Social Network.
Dabei war die Plattform nicht von Anfang an so geplant, wie sie heute aufgebaut ist. Bis 2023 war Wolfensberger CEO einer grossen Immobiliengesellschaft. In dieser Zeit entwickelte er Apps mit der Idee, eine Community für Mieter und das lokale Gewerbe zu schaffen, über die sie sich austauschen können. Und dass ein Vertreter aus der Immobilienbranche überhaupt auf eine solche Idee kommt, hängt vor allem mit dem Background von Wolfensberger zusammen. Als Gründer einer Fintech-Bank kennt er sich mit dem Aufbau und Angebot digitaler Dienstleistungen bestens aus, wie der Rüschliker im Gespräch erzählt.
Aus der initialen Idee der Community entwickelte sich im Jahr 2018 schliesslich der Gedanke, regionale Anwohner in lokale Geschäfte zu locken und so das Gewerbe zu unterstützen. Das Werkzeug der Wahl: eine Loyalty-App. Um dieses Angebot umzusetzen, hat sich Wolfensberger schliesslich ein Team aus Entwicklern gesucht und mit ihnen eine erste App entwickelt. «Unser erster Prototyp zielte darauf ab, den Umsatz des Gewerbes anzukurbeln, indem die Kunden mit Hilfe der App Treuepunkte sammeln können und dafür belohnt werden», erzählt der Gründer aus den Anfangstagen von Naoo. Doch nur wenig später wurde Wolfensberger bereits zum Umdenken gezwungen.
Covid sorgt für Neuorientierung
Denn kurz nach dem Launch der ersten App-Version zwang die Coronapandemie die meisten Geschäfte zur Schliessung. Und aufgrund der unbestimmten Dauer der Massnahmen entschloss sich Wolfensberger mit seinem Team, sich unabhängiger von den Ladengeschäften zu positionieren und die Social Experience von
Naoo so attraktiv zu gestalten, dass die Plattform nur mit Usern und Werbekunden funktioniert. Es war der Beginn des eigentlichen sozialen Netzwerks, das anschliessend im Jahr 2021 live ging.
Die kostspielige Entwicklung finanzierte der Gründer in der Anfangszeit aus privater Tasche, später kamen bis zu vier, auch ausländische, Investoren dazu. Und wie Wolfensberger berichtet, werde das Unternehmen weiterhin Ausschau nach zusätzlichen Investoren halten. Der Break-even ist gemäss dem Gründer dann für das Jahr 2026 angepeilt.
Heute umfasst das Team von Naoo zwölf Vollzeitstellen, wobei nur fünf Mitarbeitende in der Schweiz sitzen. Der Rest des Unternehmens ist quer über den Globus verteilt. Ein Entwickler-Team, zuständig für die iOS-Version der App, arbeitetet beispielsweise von Estland aus. Dieses umfasst auch das Kernteam, das damals die ersten Versionen der App auf die Beine gestellt hat. Die Android-Version wird wiederum von einem ETH-Spin-Off mit Standorten in der Schweiz (Zürich) und Pakistan entwickelt.
Die Cloud-Strategie wird in Polen und Dubai vorangetrieben. Der Schweizer Chief Product Officer Gabriel Höhener hat sein Büro zudem in Tel Aviv. «Es ist mir wichtig, die besten Talente für das Projekt zu engagieren, der Standort ist zweitrangig. Auch habe ich alle Mitarbeitenden – unabhängig von deren Position – nicht von meinen früheren Tätigkeiten gekannt. Ich habe aber mein Netzwerk genutzt, um Top-Leute zu finden», kommentiert Wolfensberger den Aufbauprozess und die Struktur seines heterogenen Teams.
Punktesystem als grosses Alleinstellungsmerkmal
Die Schweizer Alternative unterscheidet sich von den US-amerikanischen und chinesischen Social-Plattformen in mehreren Punkten. Grundsätzlich bietet die App die üblichen Inhalte, die man auch von anderen Angeboten kennt: Follower, Videos, multimediale Posts und natürlich Werbung. Ein wesentlicher Unterschied sind jedoch die Erhebung und die Nutzung von User-Daten. Naoo möchte User kennenlernen, indem in ihrem Feed in regelmässigen Abständen eine Frage gestellt wird, wie etwa «Was für Kaffee trinkst du gerne?», «Welche Schuhe gefallen dir?» oder «Welchen Freizeitaktivitäten gehst du gerne nach?». Die so erlangten Erkenntnisse werden jedoch nicht weiterverkauft, sondern in einem europäischen AWS-Datencenter gespeichert. Wenn nun ein Anbieter Werbung schaltet, dann sorgt Naoo auf Basis dieser Nutzerdaten dafür, dass die Werbung zielgerichtet an die passenden Adressaten ausgespielt wird.
Während diese Art des Targetings auf einem sozialen Netzwerk keine Neuerfindung des Rads darstellt, so soll sich die Schweizer App künftig in einem Punkt dennoch von den grossen Playern unterscheiden, wie Wolfensberger klarstellt. Anstatt die Kunden nur auf Online-Angebote zu verweisen, ziele Naoo zusätzlich darauf ab, die Leute physisch ins Geschäft zu locken. Dies funktioniert über Standort-Tracking. Wenn man sich in der Nähe von Geschäften aufhält, die gemäss den gesammelten Daten mit den persönlichen Interessen des jeweiligen Users übereinstimmen, dann werden entsprechende Läden mit gezielten Aktionen angezeigt. Hier fliesst der ursprüngliche Ansatz der Loyalty App ein. Aktuell ist das Konzept aber nicht live, sondern befindet sich noch im Testbetrieb. Laut Wolfensberger soll es aber Ende des Jahres aufgeschaltet werden. Als Grund für den späten Start gibt er Corona an: «Während der Pandemie hatten wir den Fokus auf das soziale Netzwerk aus User-Sicht gelegt. Wenn die Lockdowns nicht dazwischengefunkt hätten, dann wäre die Entwicklung dieses Features bereits früher gestartet.»
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von
Naoo: alle User werden über ein Punktesystem belohnt. Für jeglichen Content, den sie auf der Plattform posten, erhalten sie Punkte, sofern andere Leute anschliessend mit dem entsprechenden Beitrag interagieren. Je mehr Aufmerksamkeit ein Post bekommt, desto mehr Punkte bekommt der Urheber. Gemäss Wolfensberger sei auf Naoo somit jeder ein Creator. Ebenfalls mit Punkten belohnt werden User zudem, wenn sie eine Frage zu den eigenen Interessen beantworten oder Leute zum Netzwerk einladen. Diese Punkte wiederum lassen sich dank einer Kooperation mit Twint in einen digitalen Gutschein verschiedener Anbieter umwandeln. Zur Wahl stehen namhafte Marken wie beispielsweise Zalando oder Ikea. Man kann sich die Punkte aber auch direkt auf sein Bankkonto auszahlen lassen. 20 Punkte entsprechen einem Franken, unabhängig davon, ob man die Punkte als Gutschein nutzt oder sich ausbezahlen lässt. Demnächst angedacht ist ausserdem, dass partizipierende Geschäfte die Möglichkeit bekommen, selbst Vouchers für ihre Leistungen in die App zu stellen, die mit Punkten erworben werden können.
Noch einen Schritt weiter geht das soziale Netzwerk mit dem Business Dashboard, welches in wenigen Wochen lanciert wird. Mit diesem können Unternehmen ihre Leistungen und Produkte über Naoo zielgerichtet anbieten. Wolfensberger betont, dass das physische Geschäft nach wie vor extrem bedeutsam ist: «Im Jahr 2023 fanden gesamthaft 88 Prozent des Schweizer Detailhandels stationär und nicht online statt. Wir möchten diese Geschäfte dabei unterstützen, dass sie von mehr und den richtigen Kunden aufgesucht werden.»
Börsengang im Herbst geplant
Das soziale Netzwerk zählt laut dem Betreiber derzeit über 65’000 aktive User. Wachstum erreicht Naoo unter anderem, indem erfolgreiche Influencer motiviert werden, dass sie das Angebot Nutzern anderer Plattformen schmackhaft machen. Gelingt dies, erhalten sowohl die Influencer als auch die neuen User Punkte auf
Naoo. Weiter betreibt das Schweizer Netzwerk klassisches Marketing auf anderen Plattformen, um potenzielle User auf sich aufmerksam zu machen. Obwohl die gegenwärtigen Nutzerzahlen gerade einmal ein Prozent der Schweizer Bevölkerung ausmachen, ist der Chefstratege bisher sehr zufrieden und möchte mit Naoo künftig zusätzliche Märkte erschliessen. In Deutschland steht die App beispielsweise bereits zum Download zur Verfügung. Jedoch ist das Punktesystem dort noch nicht aktiv.
Ausserdem ist auch der Gang an die deutsche Börse im Herbst dieses Jahres bereits beschlossene Sache. Über diesen Schritt erhofft sich das Unternehmen zusätzliches Kapital, um die eigene Expansion weiter voranzutreiben. Mittelfristig möchte das soziale Netzwerk gar zur globalen Plattform werden. Ambitionierte Pläne angesichts der Tatsache, dass der Break-even immer noch rund zwei Jahre entfernt ist.
(dok)