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Tech-Bootcamps als Lösung für den Fachkräftemangel

Tech-Bootcamps versprechen passend zur Marktdynamik schnelle Wissensvermittlung und können Interessierten einen raschen Einstieg in die Branche ermöglichen. Eine Übersicht, was die Bootcamps bieten und wie man diese Ressource als Unternehmen nutzen kann.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2024/05

     

Wer sich in einer IT-Abteilung eines Schweizer Unternehmens umschaut, merkt schnell: Das Arbeitsvolumen ist hoch, die Zeit kurz und die Ressourcen sind knapp. Auch wenn er teilweise bereits als Unwort des Jahres abgetan wird, so ist der Fachkräftemangel in der Schweizer IT allgegenwärtig. Tech-Bootcamps werden in diesem Zusammenhang oft als die alles rettende Lösung angepriesen: Absolvierende erhalten einen Wissens- und Karriere-Boost und Unternehmen sollen ihre offenen Stellen besetzen können. So tönt es zumindest in der Werbung. Doch was beinhalten solche Tech-Bootamps überhaupt?

Von militärischen Wurzeln zu technischer Bildung

Der Begriff Bootcamp stammt ursprünglich aus dem militärischen Bereich und wird dafür verwendet, die Grundausbildung zu beschreiben, die neue Rekruten durchlaufen. Diese ist dafür bekannt, intensiv und herausfordernd zu sein und darauf abzuzielen, die physische Fitness, das Durchhaltevermögen, den Gehorsam und die Teamfähigkeit der Rekruten schnell zu verbessern. Während die physische Fitness bei Tech-Bootcamps zweitrangig ist, geht es aber ebenfalls darum, den Teilnehmenden in kurzer Zeit praktische Fähigkeiten in der Software-Entwicklung und anderen IT-Bereichen beizubringen.


Wer in der Schweiz nach einem Tech-Bootcamp sucht, findet eine heterogene Landschaft vor. Angeboten werden sie von privaten Bildungsinstitutionen, Hoch- und Fachhochschulen, Non-Profit-­Organisationen oder auf Online-Plattformen. Auch die Kursthemen sind breit gefächert: Von Software-Entwicklung über Datenwissenschaften, künstlicher Intelligenz, Cybersecurity bis hin zu UX/UI-­Design ist vieles zu finden. Ebenfalls bei Kursdauer und -kosten zeigt sich eine enorme Spannweite. Also gar nicht einfach, sich einen Überblick zu verschaffen. Einen wertvollen Bonus bieten Programme, welche das Bootcamp mit einer Praktikums- oder Jobplatzierung verbinden. Heisst: Die Absolvierenden werden in Kontakt mit interessierten Firmen gebracht und haben so höhere Chancen auf eine Anstellung.

Was muss man dafür können?

Viele Anbieter bewerben, dass es keine technischen Vorkenntnisse für die Teilnahme brauche. Wenn die Nachfrage aber hoch ist, wird jedoch schon mal genauer hingeschaut. Christina Gräni, Company Relations beim Anbieter Powercoders, der sich auf Bootcamps für Personen mit Migrationshintergrund spezialisiert hat, berichtet: «Bei uns zählt vor allem, dass die Teilnehmenden eine sehr hohe Motivation und eine rasche Auffassungsgabe mitbringen. Wer sich zudem selber schon ein Basiswissen angeeignet hat, hat auf jeden Fall bessere Karten.» Als Non-Profit-­Organisation führt Powercoders jährlich zwei Bootcamps mit insgesamt 60 Geflüchteten durch. Pro Jahr gehen rund 600 Bewerbungen ein, was damit einer Annahmequote von 10 Prozent entspricht. Auf die Frage, warum nicht mehr Bootcamps durchgeführt würden, antwortet Gräni: «Das Nadelöhr sind die Firmen. Unser Programm beinhaltet eine Praktikumsvermittlung im Anschluss an das Bootcamp. Aktuell können wir etwa 90 Prozent der Absolvierenden bei unseren Partnerfirmen platzieren. Um mehr Personen in unser Bootcamp aufnehmen zu können, sind wir auf mehr Praktikumsmöglichkeiten angewiesen.» Denn ein Bootcamp ohne ein anschliessendes Praktikum käme für Gräni nicht in Frage, gerade weil den Geflüchteten die Kontakte zur Schweizer IT-Branche fehlen würden.

Theorie und Praxis

Heisst das, dass der Mangel an IT-Fachkräften in den Unternehmen noch zu wenig Schmerz verursacht? Oder warum werden nicht mehr Stellen für Bootcamp-Absolvierende angeboten?

Eines liegt auf der Hand: Ein Bootcamp kann eine mehrjährige Berufserfahrung nicht ersetzen. Absolvierende benötigen On-the-Job weiterhin Betreuung und Weiterbildungsmöglichkeiten, was die Teams weiter belasten könnte. Das unterstützt auch Rodrigo Hänggi vom Bootcamp-Anbieter Master21. Er ergänzt, dass es sehr auf die Art und die Qualität des Bootcamps ankomme. «Das Skill-Level ist am Ende auch stark abhängig vom Bootcamp selber. Gute Bootcamps sollten Technologie-agnostisch sein und die Teilnehmenden dazu bewegen, selbst Informationen zu sammeln, zu denken und Probleme zu lösen. Wer nur eine Schritt-für-Schritt Anleitung aufgezeigt bekommt, wird später Mühe haben, im Arbeitsalltag Herausforderungen aktiv und eigenständig anzugehen.» Gemäss Hänggi profitieren die Teilnehmenden aber nicht nur von neuem Know-how, sondern auch von den zwischenmenschlichen Kontakten, mit denen man gemeinsam etwas durchsteht – wie in einem Team. Zudem würde man seine eigenen Grenzen ausloten und realisieren, wie man selbst am besten lernt. «Es gibt kein Speedlimit fürs Lernen. Jeder beschreitet seinen Weg auf individuelle Art und im eigenen Tempo», ergänzt Hänggi.


Neben der Vermittlung technischer Fähigkeiten bieten Bootcamps also auch Plattformen für Networking, persönliche Entwicklung und den Aufbau von Soft Skills. Diese Aspekte werden häufig als zusätzlichen Wert der Bootcamp-Erfahrung hervorgehoben. Wie steht es jedoch um die Akzeptanz von Bootcamp-Absolvierenden auf dem Schweizer IT-Markt?

Akzeptanz auf dem IT-Markt

Je nach Unternehmenstyp, Branche und der spezifischen Rolle, für die sie rekrutiert werden, variiert die Resonanz stark. Start-ups und Tech-Unternehmen schätzen häufig die Lernbereitschaft und Offenheit für Neues von Bootcamp-Absolvierenden. In grösseren und traditionellen Unternehmen finden Absolvierende ebenfalls ihren Platz, vor allem in Abteilungen, die auf agile Entwicklungspraktiken setzen. Allerdings können zusätzliche Schulungen erforderlich sein, um die Kenntnisse an die speziellen Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen. Beratungs- und IT-Dienstleistungsunternehmen wiederum schätzen die breite technische Basis und die schnelle Einarbeitungsfähigkeit, die Bootcamp-­Absolvierende mitbringen, und nutzen ihre Flexibilität sowie ihre Bereitschaft zur fortlaufenden Weiterbildung. Traditionellere Unternehmen bevorzugen jedoch oft Kandidierende mit einem umfassenderen akademischen Hintergrund.

Einige Unternehmen haben ihre Rekrutierungsverfahren angepasst, um die Stärken und Herausforderungen von Bootcamp-Absolvierenden zu berücksichtigen, indem sie technische Tests und praktische Aufgaben einsetzen, um deren Fertigkeiten und Problemlösungskompetenzen zu evaluieren. Zudem legen sie Wert auf die Bewertung von Soft Skills wie Teamfähigkeit, Kommunikationsstärke und Anpassungsfähigkeit.


Viele Absolvierende starten ihre Karriere daher in projektbasierten oder befristeten Positionen, die es Arbeitgebenden ermöglichen, ihre Fähigkeiten in realen Arbeitsumgebungen zu bewerten. Darüber hinaus treten einige als Junior-Mitarbeitende ein, wo sie unter erfahrener Anleitung weiterlernen und wachsen ­können, oder sie nutzen spezielle Praktikums- und Trainee-Programme, die auf eine schnelle Integration und Weiterbildung im Unternehmen abzielen.

Ist ein Umdenken nötig?

Es ist also durchaus möglich, Personen, die ein Bootcamp anstelle eines klassischen Ausbildungsweges wählen, als produktive Kraft anzustellen. «Damit das möglich ist, braucht es jedoch ein Umdenken in den Firmen», so Christina Gräni von Powercoders. «Es müssen Ressourcen für das Mentoring und die Weiterbildung dieser Personen zur Verfügung gestellt werden.» Zudem sei es extrem abhängig von der Motivation und dem Engagement einzelner Personen sowie den jeweiligen Mikrokulturen im Unternehmen. «Wenn jemand den Mehrwert hinter der Einstellung von Bootcamp-Absolvierenden sieht, dann wird in der Regel immer eine Lösung gefunden, denn gute Leute fallen nicht einfach so vom Himmel» so Gräni weiter.

Dass ein Umdenken und ständiges Weiterentwickeln in der Tech-Branche notwendig ist, bestätigt auch Jennifer Petoff, Director of Program Management, Google Cloud Platform & Technical Infrastructure Education bei Google. «Lernen ist in der IT allgegenwärtig. Wir arbeiten mit jungen Technologien, die sich ständig verändern. Der Anspruch an Agilität und Lernbereitschaft wird stetig zunehmen.» Die Flaggen stehen also auf lebenslanges Lernen. Das unterstützt auch Rodrigo Hänggi von Master21: «Heute lernen wir nicht mehr eine Sache und arbeiten dann das ganze Leben in diesem Bereich. Die Leute wollen das lernen, was sie gerade jetzt oder in den kommenden Jahren benötigen. Und das deckt sich ja eigentlich sehr gut mit der Dynamik des Marktes.»


Es zeigt sich also, dass es auf dem Schweizer IT-Markt durchaus ein attraktives Angebot an Tech-Bootcamps gibt, bei denen Teilnehmende wertvolles Know-how erlernen. Gleichzeitig steigt die Nachfrage an IT-Fachkräften. Einige Unternehmen haben die Chance bereits ergriffen, andere hinken noch etwas hinterher. Die Elemente sind vorhanden – nun gilt es, sich aufeinander zuzubewegen und mit offenen Karten zu spielen, um die Erwartungen und Möglichkeiten der Unternehmen und der Absolvierenden transparent zu beleuchten. Wenn die Brücke zwischen Angebot und Nachfrage geschlagen und die Integration von Bootcamp-Absolvierende in die IT-Arbeitswelt ermöglicht wird, wird das Potenzial dieser Ausbildungsform wertschöpfend nutzbar werden.

Die Autorin

Barbara Felix ist CEO und Mitbegründerin von Letsboot.ch, einem Schweizer Anbieter von Software- und System-Entwicklungs-Kursen mit Fokus auf Cloud-­Native-Technologien. Sie startete ihren Weg in die IT-Welt als Projektleiterin für Webentwicklung im Jahr 2010, machte einen längeren Abstecher ins Coop-­Management mit Fokus Marketing, blieb aber parallel der Technik stets treu. Sie führt bei Letsboot.ch ein stetig wachsendes Team von 30 Experten und Expertinnen und entwickelt das Themenportfolio in enger Zusammenarbeit mit den Kunden.


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