Orange ist eine Signalfarbe. Sie bedeutet: Achtung! Aufgepasst! Vorsicht! Grün bedeutet: Gut. Sicher. Los! Was bei einem symbolischen Gebäude auf der untersten Treppenstufe steht, wird als geringer wahrgenommen als das, was auf der obersten Stufe steht. Und wer steht da ganz unten? Die Berufsbildung. So gesehen in einem Video der Berufsberatungs- und Informationszentren eines Kantons auf Youtube (siehe Screenshot). Es scheint klar: Keine Lehre machen, weiter in die Schule gehen.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Das ist kein Erklärfilm des fiktiven Vereins «Niedergang der Berufsbildung», sondern der offiziellen kantonalen Berufsberatung. Der Kanton sei hier ungenannt, aber wir binden der Leserschaft keinen Bären auf!
Hier wird also ein bekanntes und problematische Klischee der Berufsbildung betoniert. Natürlich ungewollt, wie uns versichert wurde. Das glauben wir. Trotzdem: Gut gemeint, schlecht gemacht.
Das Video wird lobenswerterweise in verschiedenen Sprachen dargeboten. Darunter Tamilisch, Albanisch, Dari und weitere mehr. Doch genau die Personen aus diesen Herkunftsländern kennen oftmals entweder die Berufsbildung nicht oder erachten sie als minderwertig. Dies, weil es in deren Herkunftsländern die Berufsbildung nicht gibt. Doch gerade die Berufsbildung ist eines der erfolgreichsten, nachhaltigsten und wirtschaftlichsten Integrationsinstrumente.
Aber auch das Video in deutscher Sprache wurde bereits knapp 15’000 Mal angeschaut. Ist das die Antwort auf: Wieso hat die Berufsbildung selbst bei gewissen Teilen der eidgenössischen Bevölkerung einen schwierigen Stand? Wahrscheinlich nicht. Doch das Klischee bleibt: Gymnasium ist besser als Berufsbildung.
Obwohl sie doch eine Schweizer Erfindung ist, die auf der ganzen Welt als Erfolgsmodell vermarktet wird. Sogar Bundesrat, Bundesrätin oder CEO einer Grossbank kann man damit werden. Kein CEO lobt die schweizerische Innovationskraft und Wirtschaftsstärke, ohne sich dabei der Berufsbildung zu bedienen. Sogar der ehemalige NASA-Direktor lobt das Berufsbildungssystem. Trotzdem: Geprahlt wird mit der Matura gefühlt immer noch mehr als mit dem Lehrabschluss.
Es steht nicht zur Debatte, was denn nun besser sei. Vorliegende Frechheit soll anprangern, dass der Berufsbildung völlig zu Unrecht eine geringere Wertigkeit zugesprochen wird als dem Gymnasium und dem Studium. Dies führt dazu, dass eine grosse Anzahl Jugendlicher auf Druck der Eltern oder der sozialen Erwünschtheit einen unpassenden Bildungsweg einschlägt. Dies hat wiederum Abbrüche in den Gymnasien und während des Studiums zur Folge. Und dies wiederum resultiert in einem wirtschaftlichen Verlust und verpasster Lebenszeit. Auch die Berufsbildung verzeichnet teilweise eine hohe Abbruch- und Durchfallquote. Die Gründe sind divers. Doch ein Teil der Jugendlichen bricht auch hier ab, weil sie im falschen Beruf sind.
Die Quintessenz dieser Frechheit ist, dass die Bedeutung der kantonalen Berufsinformation nicht überschätzt werden kann. Sie kann einen grossen Beitrag gegen die Verschwendung öffentlicher und privater Gelder sowie Lebenszeit beitragen. Verwaltungen und Wirtschaft können sich eine Abwertung der Berufsbildung nicht leisten.
Serge Frech
Kolumnist Serge Frech ist seit 2018 Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz. Zuvor war er in verschiedenen Führungspositionen im Bildungsumfeld tätig, zuletzt für den Gebäudetechnikverband Suissetec, wo er das Departement Bildung leitete und Mitglied der Geschäftsleitung war. Davor war er stellvertretender Chef Ausbildung im militärischen Nachrichtendienst.