Mit «Schweizerdeutsch übersetzen» gibt es seit Kurzem eine App für iOS und Android auf dem Markt, die bei dem nicht immer für alle einfach zu verstehenden Schweizerdeutsch für mehr Durchblick oder Verständnis sorgen soll. Die App wurde vom Software-Entwickler Florian Gyger programmiert, der erklärt, wie er auf die Idee zur App gekommen ist: «Durch den diesjährigen Aufschwung der KI-Technologien wurden auch die Möglichkeiten, mit schweizerdeutscher Sprache in der digitalen Welt zu arbeiten, erheblich besser. Da ich selbst von der Genauigkeit der Übersetzungen fasziniert war, wollte ich die Technologie der Allgemeinheit einfach zugänglich machen.»
Die App, deren Icon ganz urchig oder klischeehaft – wie man denn will – eine Kuh ziert, hat den Anspruch, in Schweizer Mundart gesprochene Texte in hochdeutsche, geschriebene Texte zu transformieren. Dabei drängt sich allerdings die erste grosse Frage auf: Was ist denn Schweizer Mundart? Die Anzahl Schweizerdeutscher Dialekte ist wohl so gross, oder zumindest beinahe, wie die Zahl der deutschsprachigen Kantone. Ein Schweizerdeutsch gibt es nicht, entsprechend müsste die App etwa auch mit Berndeutsch oder einem der Ostschweizer Dialekte umgehen können, die selbst für Schweizer ausserhalb des jeweiligen Kantons manchmal durchaus eine Herausforderung sein können. Der Praxistest wird zeigen, ob die App diese Herausforderung meistern und auch spezielle Worte übersetzen kann.
Bezahlt wird mit Tokens
Doch von Anfang an: Nach der Installation der kostenlosen App, die auf KI-Technologie basiert, wird man von der Kuh Milky begrüsst und hat zehn Tokens zur Verfügung. Pro Token kann man bis zu eine Minute Schweizerdeutsch-Audio übersetzen lassen – geschriebene Texte gehen nicht –, abgerechnet wird dabei ein Token pro angebrochene Minute. Ist dieses Gratis-Guthaben an Tokens aufgebraucht, gibt es nebst der Möglichkeit, Freunde zur App-Nutzung einzuladen und dafür fünf weitere Tokens zu erhalten, auch das Angebot, weitere Tokens zu kaufen. 20 zusätzliche Tokens schlagen dabei mit 1 Franken zu Buche, 100 Tokens gibt es für 3 Franken und 1000 Tokens kosten schliesslich 20 Franken.
Die Oberfläche der App wirkt übersichtlich, nebst Milky, die einem verrät, dass man auch Sprachnotizen aus anderen Apps in «Schweizerdeutsch übersetzen» laden und transkribieren lassen kann, findet sich je ein Button zum Aufzeichnen von Schweizerdeutschen Nachrichten und zum Import von Audio-Files sowie ein Einstellungen-Reiter, in welchem sich unter anderem die Möglichkeit Freunde einzuladen, die Datenschutzerklärung sowie die Nutzungsbestimmungen finden, und ein Reiter, wo die Übersetzungen gesammelt werden. Erwähnenswert sind die Nutzungsbestimmungen: So wird darin etwa darauf hingewiesen, dass die Übersetzungsergebnisse nicht manuell geprüft werden und daher teilweise oder vollständig fehlerhaft sein können. Entsprechend sei die App nicht geeignet, um professionell in Branchen wie der Medizin, Finanzen, Recht oder Journalismus genutzt zu werden. Und damit drängt sich die zweite grosse Frage auf, nämlich die nach möglichen Einsatzgebieten respektive dem Nutzen der App. Der Entwickler erklärt hierzu, dass die übersetzten Texte mit anderen Apps wie etwa Notizen, Whatsapp oder E-Mail geteilt werden können, um produktiver zu sein.
Je spezieller, desto schwieriger
Zum Teststart probieren wir das in der Schweiz wohl gängigste Wort, an dem sich Fremdsprachige ausprobieren müssen: das Chuchichäschtli. Dieses wird als einziges Wort, langsam und deutlich gesprochen korrekt mit «Küchenkasten» übersetzt. Etwas schneller ausgesprochen, macht die App daraus allerdings «Khorkhikashli» oder aber auch «Ruhig erstmalig». In den ganzen Satz verpackt «S Ässe isch im Chuchichäschtli» wird daraus, langsam gesprochen, korrekterweise «Das Essen ist im Küchenkästchen» übersetzt. Ein bisschen schneller aber noch lange gut verständlich gesprochen, verwandelt die App diesen Satz allerdings in «Das Essen ist ein Kuchenkästchen» oder gar «Das Ausserirdische würde mit hören».
Aus «De Papscht hät s Späckbsteck zspat bstellt», einem weiteren gängigen Schweizerdeutschen Zungenbrecher, macht die App schliesslich «Der Papst hat das Speck-Steak zu spät bestellt» oder ganz deutlich gesprochen «Der Papst hat das Speckbesteck zu spät bestellt». Hier vermag die App also durchaus zu überzeugen, offensichtlich wird aber gleichzeitig, wie entscheidend für den Übersetzungserfolg das deutliche, eher langsame Sprechen ist.
Aus «De Gärtner gaht go rasemäie» wird «Der Gärtner geht die Rasen mähen» – nicht wirklich falsch, da verständlich, aber halt auch nicht ganz richtig. Und auch hier: Schneller gesprochen wird das Ergebnis abenteuerlicher mit «Der Gärtner geht auch gut aus der Mähe».
Wagen wir uns an die dialektspezifischeren Worte, so zeigt sich leider, dass die App für deren Übersetzung unbrauchbar ist. So wird aus dem Kerngehäuse eines Apfels, das auf Zürichdeutsch Bütschgi und auf Berndeutsch Gröibschi heisst, übersetzt «Bötski» oder «Ütschki» (Bütschgi) respektive «Greif sie» oder «Grüezi» (Gröibschi). Der Thurgauer sagt «Bitschgi», was von der App in «Pitschki» oder «Pitski» verwandelt wird. Und sagt der Berner «D Giele u d Meitschi si ga schlöfle» (Die Jungen und Mädchen waren Schlittschuhlaufen), so macht die App daraus «Gehele und Mäthi. Sie koscht Löffel» oder in einem weiteren Versuch auch «Die Jäger und die Mädchen schlafen». Das Thurgauer Erdbeertörtli wird derweil zu «Erdbeer-Drahtli» und der Klassiker «Das de da dör» (Das der das darf) wird zu «Das D, da DÖR».
Die Ergebnisse des Berndeutsch (links) und im Zürcher und Thurgauer Dialekt (beide rechts) gesprochenen Textes «Ihr Unternehmen hat in den letzten Jahren immer wieder Übernahmen getätigt. Was steckt hinter dieser Strategie und wieso hat Ihr Unternehmen diese Zukäufe gemacht? Will man damit Nischen erschliessen oder schneller wachsen?» zeigen nur sehr geringfügige Abweichungen zum Original. (Quelle: Florian Gyger Software)
Besseres Ergebnis mit neutralerer Sprache
Doch wie geht die App mit Sprachnotizen um, die eher aus dem Business-Umfeld stammen und somit wohl eine neutralere Sprache aufweisen? Wir machen die Probe aufs Exempel mit einer Interviewfrage. Und siehe da: Hier vermag die App viel mehr zu überzeugen und weist kaum Übersetzungsfehler auf – zumindest in der Version auf Zürichdeutsch. Genau dasselbe Resultat wird erzielt, wenn dieselbe Frage aus dem Thurgauer Dialekt übersetzt wird. Der Text «Ihr Unternehmen hat in den letzten Jahren immer wieder Übernahmen getätigt. Was steckt hinter dieser Strategie und wieso hat Ihr Unternehmen diese Zukäufe gemacht? Will man damit Nischen erschliessen oder schneller wachsen?» wird in beiden Dialekten ausgesprochen beinahe komplett richtig wieder ins Hochdeutsche übersetzt – dabei wird nur «man» zu «wir». Auch mit dem Berner Dialekt kann die App in diesem Falle gut umgehen. Einzig «Ihr», das im Berndeutschen zu «Eues» wird, übersetzt die App schliesslich mit «Unser». Ansonsten gibt es hierbei aber nichts zu kritisieren.
Auch bei einem gleich schnell und deutlich gesprochenen Wort oder Satz resultiert niemals zwei Mal dasselbe Ergebnis: So wird aus dem zürichdeutschen Satz «Der Papst hat das Speckbesteck zu spät bestellt», einmal eine fast korrekte (links) und beim zweiten Anlauf (rechts) dann eine komplett richtige Übersetzung. (Quelle: Florian Gyger Software)
Langsam sprechen hilft, aber nicht immer
Spricht man in relativ neutralem Schweizerdeutsch ohne dialektspezifische Ausdrücke wie etwa Gireitsli (Zürichdeutsch für Schaukel, übersetzt mit «Geh reizli» oder «Gerade drüben»), so vermag die App durchaus mit ihren Übersetzungen zu überzeugen – abgesehen von seltenen Grammatikfehlern, die dem Textverständnis aber keinen Abbruch tun. Mit dialektspezifischen Redewendungen oder Ausdrücken hingegen, oder aber teilweise auch nur schon mit gängigen Alltagssätzen abseits der Business-Sprache, hat die App grosse Mühe und ist leider kaum zu gebrauchen.
Ebenfalls fällt auf, dass gerade Redewendungen wortwörtlich und nicht sinngemäss übersetzt werden, was aber für jemanden, der neu in der Schweiz ist und der Sprache oder dem Dialekt noch wenig mächtig ist, durchaus sehr hilfreich wäre. Nützt es ihm doch nichts, wenn «Jetzt isch gnueg Heu dune» zwar wortwörtlich mit «Jetzt ist genug Heu drunter» fast richtig übersetzt wird, er damit aber nichts anfangen kann, weil er die Bedeutung dahinter – nämlich «Jetzt reicht es» – nicht versteht. Einen Strick daraus drehen darf man der App allerdings nicht, hat sie ja lediglich einen Übersetzungsanspruch, den sie in diesem Fall erfüllt.
Entscheidend für einen wirkungsvollen, zufriedenstellenden Gebrauch der App ist das Sprechtempo. Wer sicher gehen will, dass der dem Schweizerdeutsch nicht mächtige Empfänger die Nachricht versteht, der muss eher langsam und deutlich sprechen. Ansonsten drohen durchaus kreative, aber wenig hilfreiche Übersetzungen. Auch die Funktion, gesprochene Texte von einer Länge über einer Minute sowohl übersetzen als auch in Stichpunkten zusammenfassen zu lassen, hebt den Nutzen der App nur wenig an, solange man sich nicht grösstenteils darauf verlassen kann, dass die App richtig übersetzt hat.
Interessant ist auch, dass kaum zweimal dasselbe Übersetzungsergebnis für dasselbe Wort angezeigt wird, auch wenn man vermeintlich genau gleich schnell, laut und deutlich gesprochen hat. Insgesamt funktioniert die App durchaus, vorausgesetzt, man spricht in einem möglichst neutralen Schweizerdeutsch und langsam. Und schliesslich bleibt das Einsatzgebiet der App nach wie vor fraglich. Florian Gyger erklärt dazu, dass die App, die sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet, aktuell eher als allgemeines Werkzeug dient, das vor allem in Kombination mit anderen Apps zur Geltung kommt. Dabei spricht er etwa die Möglichkeit an, eine E-Mail oder Notiz unterwegs einzusprechen und dies nun auf Schweizerdeutsch, statt auf Hochdeutsch vorzunehmen, oder die Transformation von Whatsapp-Sprachnachrichten in geschriebenen Text. Dabei ist gerade die gegebene Möglichkeit, übersetzte Texte etwa in E-Mails oder Messaging-Diensten weiterzuverwenden, durchaus interessant, braucht aber im Business-Umfeld dann sicherlich noch etwas Textüberarbeitung, wenn man keine fehlerhaften Nachrichten verschicken will. Für den professionellen Einsatz offenbart die App also (noch) zu viele Schwächen, wie der Entwickler selbst in seinen Nutzungsbestimmungen ja auch erklärt. Neu in der Schweiz wohnhaften Menschen, die noch Mühe mit dem Schweizerdeutsch haben, kann sie aber durchaus als Stütze dienen.
Je nach Sprechtempo und Deutlichkeit der Aussprache wird aus dem gesprochenen Satz «S Ässe isch im Chuchichäschtli» entweder die korrekte Übersetzung (rechts), oder aber eine Version (links), die nichts mehr mit dem Gesagten zu tun hat. (Quelle: Florian Gyger Software)
Fazit
Auch wenn die Idee hinter der App spannend ist und das Herumprobieren mit verschiedenen Schweizerdeutschen Dialekten und die daraus resultierenden Übersetzungen durchaus Spass machen oder für ein Schmunzeln sorgen, so bleibt auch nach dem Test der Nutzen der App unklar. Zudem weist sie je nach Dialekt und dialektspezifischen Wörtern sowie Sprechgeschwindigkeit diverse Schwächen auf und vermag deshalb nicht zu überzeugen und bleibt vorerst eine nette Spielerei für Neuzuzüger oder Neugierige.
Positiv+ spannende Idee
+ übersichtliche Oberfläche, einfache Bedienung
+ im Alltag für Personen, die nicht Schweizerdeutsch sprechen, durchaus eine Stütze
Negativ- deutliche, langsame Aussprache vonnöten
- kann mit spezielleren Dialekten nicht umgehen
- Business-Einsatz nicht brauchbar
Hersteller/AnbieterFlorian Gyger SoftwarePreisDownload plus erste 10 Token kostenlos
20 Tokens Fr. 1.–
100 Tokens Fr. 3.–
1000 Tokens Fr. 20.–
WertungFunktionalität 2 von 6 Sternen
Bedienung 4 von 6 Sternen
Preis/Leistung 3 von 6 Sternen
Gesamt 3 von 6 Sternen