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IT-Beschaffung im Schulwesen: Von der Tafel zum Tablet
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IT-Beschaffung im Schulwesen: Von der Tafel zum Tablet

Schulen unterstehen bei der IT-Beschaffung dem öffentlichen Beschaffungsrecht, das neben der wirtschaftlichen auch soziale und ökologische Nachhaltigkeit zum Ziel hat. Dieses ist zwar kompliziert, birgt aber besonders für den Bildungssektor auch Chancen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2023/11

     

Die Primarschulzeit ist wohl den meisten noch sehr präsent: Das Schulzimmer mit der schwarzen Wandtafel vorne, mit Geodreieck und dem langen Massstab, die Zweiertische, die Farbstiftschachtel und der «Füli». Geschrieben hat man, natürlich, von Hand. Computer gabs erst in der Oberstufe. Dort standen im Computerraum bonbonfarbige iMacs der ersten Generation, abwechselnd in blau und rosa, kreisförmig aufgereiht. Und die ersten Computer zu Hause: Grosse graue Kisten, die dazu dienten, stundenlang die Telefonleitung zu blockieren, um Musik runterzuladen oder mit Freundinnen und Freunden zu chatten (Stichwort ICQ).


Die Zeiten ändern sich. Die Kinder heute können, noch bevor sie lesen oder schreiben können, swipen, Youtube bedienen und Sprachnachrichten verschicken wie Profis. In der Schule werden sie bald Tablets oder Laptops in die Hand gedrückt bekommen und in Fächern wie Informatik und Medienkompetenz unterrichtet werden. In ihrem Schulzimmer werden Beamer oder interaktive Wandtafeln Bilder an die Wand projizieren – was ein Hellraumprojektor ist, werden sie vielleicht gar nie erst erfahren.

Die Digitalisierung ins Schulzimmer bringen

Die Digitalisierung hat nicht nur den Lehrplan, sondern auch die Schulzimmer umgekrempelt. Das zeigt sich auch in der Beschaffungsstatistik von Schulen und anderen Bildungsinstitutionen.

Während in Schulen früher primär Büromaterial und Möbel beschafft werden mussten, müssen sie sich heute um den Einkauf komplizierter IT-Lösungen kümmern: Diese reichen von Hardware (Laptops, Tablets oder Bildschirme) bis zu Software (z.B. Tools zur Kommunikation oder Planung). Auch digitale Lehrmittel («Educational Technology») werden vermehrt von externen Anbietern bezogen. Einige Schulen greifen dabei auch ganz auf externe IT-Dienstleister zurück und nehmen deren Support und Beratungsleistungen in Anspruch, weil eigenes IT-Personal fehlt.


Das ist nachvollziehbar, denn der Beschaffungsprozess an Schulen wird zunehmend komplexer. Insbesondere in kleineren Gemeinden ist das Schulpersonal durch die Digitalisierung stark gefordert und hat oft nur begrenzte Ressourcen, um neben den eigentlichen Bildungsaufgaben auch noch umfassenden IT-Support zu leisten. Hinzu kommt, dass IT-Projekte in Schulen dem öffentlichen Beschaffungswesen unterliegen. Das bedeutet, dass sie sich an das öffentliche Beschaffungsrecht halten müssen, welches strikte Vorgaben macht und Schulen mit begrenzten personellen und finanziellen Mitteln oft an ihre Grenzen führt.

Beschaffungsrecht: Mühsam…

Öffentliche Schulen digitalisieren mit Steuergeldern. Sie kaufen als externe Nachfragerinnen auf dem privaten Markt ein und unterstehen damit dem öffentlichen Beschaffungsrecht. Konkret heisst das: Ab einem Auftragswert von 250’000 Franken müssen Schulen und Gemeinden eine öffentliche Ausschreibung durchführen. Das ist oft eine zusätzliche Hürde bei der Digitalisierung, denn das Beschaffungsrecht stellt viele zusätzliche Spielregeln auf und folgt einem formalisierten Prozess – dessen Einhaltung im Extremfall auch vor Gericht eingeklagt werden kann.

Der Prozess startet mit einem Pflichtenheft, welches auf der Plattform Simap.ch veröffentlicht wird und die Kriterien der gewünschten IT-Lösung definiert. Ein gutes Pflichtenheft muss einerseits präzise sein und alles Wichtige abdecken. Andererseits sollte es aber auch offen genug sein, um in einem dynamischen Bereich wie der IT Raum für Flexibilität zu lassen. Diese Balance zu finden, ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die umfangreiches Fachwissen voraussetzt und zeitintensiv ist.


Nach der Veröffentlichung folgt die Evaluation der Offerten. Dabei erfolgt der Zuschlagsentscheid nicht nach Bauchgefühl, sondern basiert auf den Kriterien im Pflichtenheft: Bei standardisierten Lösungen wie Büromaterial kann der Anschaffungspreis das wichtigste Kriterium sein, aber gerade bei komplexen IT-Projekten muss die Qualität im Vordergrund stehen. Ziel dabei ist es, den Zuschlag dem «vorteilhaftesten Angebot» zu geben und das beste Preis-Leistungsverhältnis zu finden. Zum Abschluss wird ein Vertrag mit dem ausgewählten Anbieter abgeschlossen, der die Einhaltung aller Kriterien sicherstellt. Üblicherweise hat dieser Vertrag eine Laufzeit von fünf Jahren. Danach muss neu ausgeschrieben werden, was im IT-Bereich wegen technologischer Abhängigkeiten oftmals besonders herausfordernd ist.
Was beschaffen Schulen überhaupt
Da öffentliche Beschaffungen im Schulwesen meist auf Gemeinde-Ebene stattfinden, werden sie nicht systematisch statistisch erfasst. Somit ist auch nicht klar, welche Schulen bei IT-Beschaffungen überhaupt öffentlich ausschreiben. Recherchen auf Intelliprocure.ch zeigen, dass Schulen (bzw. Gemeinden, Bildungsdirektionen oder Kreisschulbehörden) oft Laptops oder Tablets für den Unterricht ausschreiben. Auch andere Multimedia-Geräte wie interaktive Wandtafeln wurden schon von verschiedenen Schulen nachgefragt (der Wert reicht dabei von 350’000 bis über 1 Mio. Franken). Dabei zeigt sich, dass vermehrt auch Unterrichtssoftware und entsprechende Supportdienstleistungen (im Wert von mehreren Millionen Franken) nachgefragt werden. Dies zeigt, dass komplexe IT-Lösungen nicht einfach eingekauft, sondern auch aufwändig betreut werden müssen, was auch dem Auftragswert zugerechnet werden muss.

… aber wichtig für Wettbewerb und Nachhaltigkeit

Trotz oder gerade wegen dieser Herausforderungen ist es besonders im Bildungsbereich essenziell, sich den Sinn des Beschaffungsrechts vor Augen zu führen. Ziel einer Ausschreibung ist es, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, um Chancengleichheit für die Unternehmen auf dem Markt zu gewährleisten, und so gleichzeitig eine bessere Auswahl und schliesslich bessere Qualität zu haben, und ausserdem «Vetterliwirtschaft» zu vermeiden. Das gilt ganz besonders im IT-Umfeld, in dem rasant neue Innovationen auftauchen und in dem Start-ups sowie KMU sich nicht nur aktiv beteiligen, sondern auch gewinnbringend einbringen können.

Neu ist auch die Nachhaltigkeit als Zweck im Beschaffungsrecht verankert. Das heisst, dass Steuergelder nicht nur wirtschaftlich, sondern auch ökologisch und sozial nachhaltig eingesetzt werden. Bei jedem grösseren Einkauf ist also ­einerseits darauf zu achten, dass die Umweltbelastung so gering wie möglich ist und, dass andererseits der Arbeitsschutz über die Lieferketten hinweg eingehalten werden kann.


In diesem Sinne setzt sich das neue Beschaffungsrecht für einen Qualitäts- statt Preiswettbewerb ein. Dabei bemisst sich die Qualität auch anhand der Nachhaltigkeit – und im IT-Bereich ganz wichtig auch anhand der Datensicherheit. Auf der anderen Seite der Waagschale sollten für Wirtschaftlichkeitsüberlegungen nicht Anschaffungspreise alleine berücksichtigt werden, sondern die Kosten über den ganzen Lebenszyklus hinweg, insbesondere auch was die Entsorgung der Produkte anbelangt.

Besonders im Bildungsbereich

Bei Schulen, also dort wo IT und Bildung zusammentreffen, wird die Nachhaltigkeit besonders wichtig. Denn der IT-Sektor hat einen grossen Hebel in puncto Umweltschutz: Bei Hardware kann man auf umweltfreundliche Materialien, niedrigen Stromverbrauch und Wiederverwendbarkeit setzen. Auch bei Software besteht ein zunehmendes Umweltbewusstsein, was Einsparungen in Bezug auf Energiebilanzen von Rechenzentren oder Programmeffizienz anbelangt.


Die soziale Verantwortung zeigt sich vor allem in der Transparenz der Lieferkette. Gerade im Bildungskontext ist es zentral, sicherzustellen, dass die für unsere Kinder genutzte IT nicht durch Kinderarbeit produziert wurde. Darüber hinaus spielt auch der soziale Impact eine Rolle: Die Endnutzerschaft bei IT-Beschaffungen von Schulen sind Kinder und Jugendliche – eine besonders schützenswerte Gruppe. Deshalb muss auch die sogenannte digitale Nachhaltigkeit berücksichtigt werden: Schulen bilden das Fundament für zukünftiges digitales Verhalten. Sie sollen deshalb sicherstellen, dass Schülerinnen und Schüler einen herstellerunabhängigen Umgang mit digitalen Mitteln vermittelt wird. Das fördert ihre Autonomie und verhindert Abhängigkeiten im späteren Leben.

Komplexitäten durch Kooperation bewältigen

In Schulen arbeitet Personal, das auf Bildung spezialisiert ist und nicht auf das öffentliche Beschaffungswesen. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Doch: Wie gehen wir damit um, dass der Beschaffungsbedarf an Schulen immer komplexer wird und gleichzeitig das Beschaffungsrecht ein immer komplexer werdendes Regelwerk aufstellt? Eine Lösung ist, den IT-Beschaffungsbedarf von Schulen zu bündeln. Will heissen: Schulen, Gemeinden oder gar Kantone können sich zusammentun und gemeinsam einkaufen. Der Vorteil dabei ist, dass eine zentrale Stelle den administrativen Aufwand auf sich nimmt, der mit öffentlichen Ausschreibungen einhergeht. Diese Stelle vereint auch die Kompetenz auf sich, ein Pflichtenheft zu erstellen, Qualitätsmanagement zu betreiben und Vertragsvorlagen zu entwerfen.

Zentralisierung und Professionalisierung ist insbesondere auch bei Vertragsverhandlungen ein Vorteil: Hier hat sich gezeigt, dass vor allem bei grossen Big-­Tech-Konzernen Vertragsverhandlungen schwierig und zulasten der Schulen einseitig sein können. Ein grösseres Vertragsvolumen und spezialisiertes Know-how könnten dazu beitragen, Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zu ermöglichen.


Dabei ist wichtig zu betonen, dass solche Kooperationen freiwillig sind. Selbst im Rahmen von Kooperationsmodellen behalten Schulen, Gemeinden und Kantone bei öffentlichen Beschaffungen ihre Souveränität. Es liegt in ihrem freien Ermessen, ob sie sich einem gemeinsamen Projekt anschliessen oder die jeweilige Beschaffung im Alleingang durchführen wollen.

«Es lohnt sich immer»

Die ersten Erfahrungen im Bereich der gemeinsamen Beschaffungen sind vielversprechend. IT-Projekte können langfristig geplant und professionell umgesetzt werden, ohne Schulen zusätzliche administrative Lasten aufzuerlegen. Bei unerwarteten Vertragsänderungen, etwa durch plötzliche Preissteigerungen bei Lizenzen, kann schnell reagiert und neu verhandelt werden.

Ein Projektleiter, der gemeinsame IT-Beschaffungen mehrerer Kantone koordiniert, teilt diese positive Einschätzung. Im Gespräch mit der Berner Fachhochschule (BFH) betont er: «Eine öffentliche Beschaffung durchzuführen ist mühsam. Da ist es verlockend, nicht alle fünf Jahre neu auszuschreiben.» Doch er ergänzt: «Trotzdem – es lohnt sich eigentlich immer.» Besonders im dynamischen IT-Sektor, in dem die Preise oft rapide fallen und ständig Innovationen hinzukommen, sieht er Vorteile. Er berichtet, dass Preisreduktionen um bis zu 50 Prozent keine Seltenheit sind. Dies zeigt: Nachhaltigkeit und Innovation im Beschaffungswesen schliessen Wirtschaftlichkeit nicht aus. Im Gegenteil – sie können vor allem im IT-Bereich sogar zu Preiseinsparungen führen. Das ist eine Chance für Schulen, die es im Rahmen der Beschaffungsrechtsrevision unbedingt zu ergreifen gibt.

Die Autorin

Rika Koch ist die erste Professorin für öffentliches Beschaffungswesen in der Schweiz und Co-Leiterin der Fachgruppe Public Procurement an der Berner Fachhochschule BFH. Dort forscht sie zu beschaffungsrechtlichen Themen an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Die Fachgruppe Public Procurement unterstützt den öffentlichen Sektor bei strategischen und rechtlichen Fragen zum Beschaffungswesen, insbesondere bei der Umsetzung des neuen Nachhaltigkeitsziels. Weiter hat sie ein Gutachten zum Thema «Öffentliche Beschaffungen im Bildungssektor» verfasst, das IT-Beschaffungen von Schulen im Bezug auf Nachhaltigkeit untersucht. Eine weitere Studie der Fachgruppe Public Procurement zum Thema «Gemeinsam Beschaffen» wird am 23. November in Zürich vorgestellt.

Kommentare
Was heisst das NEUE Beschaffungsrecht? Das ist doch schon seit Januar 21 in Kraft? Oder gab es eine Änderung?
Montag, 13. November 2023, Franz



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