Bereits in den vergangenen Jahren war künstliche Intelligenz (KI) das zentrale Thema von Microsofts alljährlicher Entwicklerkonferenz Build. Bei der diesjährigen Ausgabe, die Ende Mai nach drei Jahren erstmals wieder vor Ort in Seattle über die Bühne ging, erreichte das Thema allerdings nochmals eine neue Stufe an Bedeutung. Dabei wurde eines klar: In Zukunft wird wohl kaum ein Software-Entwickler um das Thema KI herumkommen. Dementsprechend wurden die Teilnehmer auf die künftigen KI-Trends und die passenden Technologien aus dem Hause Redmond eingeschworen.
«Mosaik»-Moment für KI
Laut Microsoft-CEO Satya Nadella befinden wir uns an einem Wendepunkt, der vergleichbar mit dem Durchbruch des PCs in den 80ern oder dem Siegeszug des Internets in den 90ern ist. In seiner Eröffnungs-Keynote erklärte er: «Mit der Einführung von ChatGPT haben wir den Sprung vom Fahrrad zur Dampfmaschine gemacht. Es war der ‘Mosaik’-Moment (in Anlehnung an den ersten Web-Browser) für die neuen KI-Plattformen.» Gemäss Nadella ist es zudem eine aufregende Zeit für Software-Entwickler. «Tatsächlich wird jede Ebene des Software-Stacks für immer verändert. Die Art, wie wir künftig Software entwickeln, wird sich grundlegend verändern.»
Damit Entwickler in der Lage sind, KI in ihre Arbeitsabläufe zu integrieren und KI-Anwendungen zu entwickeln, stellte
Microsoft eine ganze Reihe von Produkten, Werkzeugen und Frameworks vor. Gleichzeitig baut der Softwareriese an allen Ecken und Enden KI-Features in seine bestehenden Produkte ein. Immerhin gab es aber auch einige Neuigkeiten jenseits von KI, wie etwa die neue Business-Version des Edge-Browsers oder den «Dev Home»-Hub für Windows 11.
Copilot für Windows 11 und Framework für KI-Assistenten
Microsoft hat in den vergangenen Monaten bereits Copilot-KI-Assistenten für zahlreiche seiner Produkte wie
Microsoft 365 (für Teams, Word, Excel, Powerpoint, Onenote etc.), Dynamic 365, Sharepoint, Viva oder Power Apps vorgestellt. Copiloten sind Chatbots, die KI-Sprachmodelle (Large Language Models oder kurz LLMs) wie GPT-4 als Grundlage nutzen, um Anwender bei mühseligen oder komplexen Aufgaben unter die Arme zu greifen. Die meisten der von Microsoft angekündigten Chatbots stehen derzeit erst in Form einer privaten Beta-Preview zur Verfügung.
Im Rahmen der Build-Konferenz gab es nun weitere Copilot-Ankündigungen für verschiedene Microsoft-Produkte. Die prominenteste war der Copilot für Windows 11, der direkt über die Windows-Taskbar erreichbar ist. Der Windows Copilot beantwortet Benutzern Fragen wie zum Beispiel: «Konfiguriere Windows so, dass ich fokussiert arbeiten kann!» oder «Was muss ich tun, um meinen Bildschirm auf einem Beamer anzuzeigen?» Nutzer erhalten auf diese Fragen postwendend nicht nur die entsprechende Antwort, sondern auch gleich die notwendigen Einstellungsoptionen in Form von Dialogboxen.
Der Windows-KI-Assistent kann aber nicht nur Systemfragen beantworten, sondern auch für andere Aufgaben wie etwa das Zusammenfassen eines Dokuments oder das Erklären eines Konfigurations-Files herangezogen werden. Ausserdem wird das KI-Tool in der Lage sein, mit installierten Anwendungen zu interagieren. Die Preview-Phase für den Windows 11 Copilot soll noch diesen Monat starten.
Copilot-Assistenten sollen in Zukunft aber nicht ausschliesslich auf Microsoft-Produkte beschränkt sein. Redmond plant, seinen Kunden und Partnern mit neuen Werkzeugen und Frameworks dabei zu helfen, eigene KI-Assistenten auf Basis von LLMs zu entwickeln und in ihre Anwendungen zu integrieren. Hierfür wurde der sogenannte Copilot Stack präsentiert, ein Architekturmodell, auf dessen Grundlage auch Microsoft seine eigenen Copilot-Assistenten konzipiert hat. Der Copilot Stack ist in verschiedene Schichten aufgegliedert, die unter anderem die KI-Infrastruktur, die Foundation-Modelle, das Prompt-Engineering, die KI-Orchestrierung und die KI-Anwendungen abbilden.
Der Copilot für Windows 11 kann Fragen zum Betriebssystem beantworten, eignet sich aber auch für die Erledigung allgemeiner Aufgaben. (Quelle: Microsoft)
Plug-in-Architektur für KI-Chatbots
Neben den Copiloten waren vor allem auch die KI-Plug-ins ein ganz grosses Thema an der Build. Bereits vor einigen Wochen haben sowohl OpenAI als auch Bing ihre KI-Chatbots für Plug-in-Erweiterungen geöffnet.
Microsoft betrachtet Plug-ins als eine Art «Brücke», die einem KI-Chatbot Ad-hoc-Zugriff auf private Daten eines Drittanbieters ermöglicht. Damit kann die Funktionalität eines Chatbots erweitert werden, ohne dass die Daten des Drittanbieters Teil des zugrundeliegenden Modells sein müssen. Ein Plug-in könnte es dem Microsoft 365 Copilot beispielsweise ermöglichen, einen Trip über einen Online-Service im Einklang mit der Reiserichtlinie eines Unternehmens zu buchen oder mit Hilfe eines Rechtsdienstes Fragen zu beantworten, wie bestimmte rechtliche Fragen in der Vergangenheit in anderen Unternehmen behandelt wurden. Beispiele für bereits verfügbare Plug-ins für ChatGPT und Bing Chat sind US-Dienste wie etwa Opentable (Tischreservationen), Kayak (Reiseanbietervergleiche) oder Zillow (Immobilienmarktplatz).
Auf der Build haben die Redmonder nun angekündigt, in ihren eigenen Copiloten denselben Plug-in-Standard zu unterstützen, der von ChatGPT und Bing verwendet wird. Das öffnet die Copiloten nicht nur für Online-Dienste, sondern erlaubt es auch Unternehmen, ihre Firmenanwendungen mit dem Microsoft-365- und Dynamics-365-Copiloten zu integrieren. Ausserdem wird auch die Chat-Funktion in Microsoft Teams mit derselben Plug-in-Architektur erweiterbar sein.
Die Entwicklung von Plug-ins für den Copilot wird unter anderem mit Hilfe des Microsoft Teams Toolkits ermöglicht, das für Visual Studio 2022 und Visual Studio Code verfügbar ist. Derzeit sollen bereits 50 Plug-ins zur Nutzung bereitstehen. Diese sind allerdings nur im Rahmen des geschlossenen Microsoft 365 Copilot Early-Access-Programms nutzbar. Mit dabei sind Plug-ins von Adobe, Atlassian, Asana, Canva, Mural oder Servicenow. Bis zur Verfügbarkeit (Release-Termin noch nicht bekannt) des Microsoft 365 Copilots sollen laut Microsoft Tausende solcher Plug-ins bereitstehen.
Spannend war ferner auch die Ankündigung, dass die Bing-Such-Engine ebenfalls via Plug-in in ChatGPT integriert wird. Damit soll der OpenAI-Chatbot in der Lage sein, aktuellere Antworten und Quellenangaben mit entsprechenden Links zu liefern. Die Bing-Suche wird zunächst in der kostenpflichtigen Variante ChatGPT Plus zur Verfügung stehen, soll aber relativ bald auch in die kostenlose Variante integriert werden.
Azure AI Studio und Responsible AI
Mit dem Azure AI Studio wurde im Rahmen der Build ein weiteres Werkzeug für die Entwicklung von KI-Anwendungen und Copiloten vorgestellt.
Microsoft versteht das AI Studio als «Full Lifecycle Tool», das Entwickler vom Training eigener Modelle über die Integration und das sogenannte Grounding von Foundation-Modellen bis hin zum Prompt Engineering bei der Erstellung ihrer AI-Lösungen unterstützt. Für das Prompt Engineering steht ein grafischer Editor zur Verfügung, mit dem sich über sogenannte Prompt Flows die Nutzung verschiedener generativer KI-Modelle orchestrieren lässt. Laut Microsoft sollen Unternehmen damit in der Lage sein, öffentliche KI-Modelle wie GPT-3.5 oder GPT-4 unter Berücksichtigung firmeneigener Privacy- und Sicherheitsvorgaben auf ihre eigenen Daten anzuwenden.
Des Weiteren wurde mit Azure AI Content Safety ein neuer Azure-AI-Dienst angekündigt, der darauf ausgelegt ist, Hass, Gewalt, sexuelle und selbstschädigende Inhalte in Bildern und Texten in verschiedenen Sprachen zu erkennen. Die Safety-Modelle dieses Dienstes können heikle Inhalte mit einer Bewertung markieren. Diese können dann von menschlichen Moderatoren weiter ausgewertet werden. AI Content Safety kann in andere Microsoft-Diensten wie zum Beispiel Azure OpenAI Service und Azure AI Studio integriert werden.
Ergänzend dazu planen die Redmonder in naher Zukunft neue Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, mit deren Hilfe sich KI-generierte Bilder und Videos mit kryptographischen Methoden signieren lassen. Endbenutzer sollen dadurch in der Lage sein, Inhalte auf ihre Herkunft (Media Provenance) zu überprüfen. Microsoft wird diese Signierung, die auf dem C2PA-Standard (Coalition for Content Provenance and Authenticity) beruht, in den nächsten Monaten in ihren eigenen Generative-AI-Diensten wie Microsoft Designer und Bing Image Creator implementieren.
Der Copilot Stack soll es Entwicklern ermöglichen, eigene Copiloten und AI-Plug-ins zu erstellen. (Quelle: Microsoft)
Microsoft Fabric – die neue Datenplattform
Mit Fabric hat
Microsoft auf der Build auch eine komplett überarbeitete Daten- und Analyseplattform vorgestellt. Diese kombiniert aktualisierte Versionen von Power BI, Data Factory und die nächste Generation der Synapse-Werkzeuge in einer gemeinsamen SaaS-Umgebung. Das Herzstück der Plattform bildet Microsoft Onelake, ein zentrales Data-Lake-Repository, das auf dem offenen Delta/Parquet-Format basiert. Alle Fabric-Werkzeuge können darauf zugreifen.
Statt in Datensilos sollen Daten an zentraler Stelle nach dem Prinzip «Single Source of Truth» aufbewahrt werden können. Microsoft Fabric wird ebenfalls einen eigenen Copiloten erhalten, der es unter anderem ermöglicht, SQL-Abfragen zu generieren, Reports zu erstellen und Abläufe zu automatisieren. Ausserdem wird auch Power BI, das neu Teil der Fabric-Plattform ist, mit einem Copiloten ausgerüstet. Damit können Benutzer auf Knopfdruck BI-Dashboards erstellen, indem sie ihre Anliegen in natürlicher Sprache formulieren. Zudem haben sie via Copilot die Möglichkeit, durch Detailfragen ihre Daten vertieft zu analysieren.
Windows 11 Dev Home
Um Windows 11 für Entwickler attraktiver zu machen, wird
Microsoft in den kommenden Monaten seinem Betriebssystem einen neuen Hub mit dem Namen «Dev Home» spendieren. Dev Home soll es ermöglichen, automatisiert Entwicklungsumgebungen auf dem lokalen System einzurichten, Verknüpfungen zu Github-Repos zu erstellen und über ein anpassbares Dashboard anstehende Aufgaben im Auge zu behalten. Dev Home nutzt den Windows Package Manager (Winget), der auf Basis von Konfigurationsdateien Tools, Frameworks und Pakete automatisch installieren kann. Ergänzt wird Dev Home durch Dev Drive, ein neuer Volume-Typ, der Microsofts Resilient File System (ReFS) nutzt und bis zu 30 Prozent bessere Performance bringen soll.
Weiter wird Windows Terminal um Support für den Github Copilot erweitert. Benutzer können diesen direkt von der Kommandozeile aus nutzen, um etwa Code-Empfehlungen zu erhalten oder sich Fehlermeldungen erklären zu lassen. Zudem erhält der Microsoft Store einige neue Features. Dazu gehören eine verbesserte App-Restore-Funktion, ein AI-Hub, in dem ausschliesslich KI-Anwendungen präsentiert werden, und per KI generierte Zusammenfassungen von Benutzerbewertungen.
Dev Home, das unter anderem eine enge Integration mit Github bringt, soll Windows 11 für Entwickler attraktiver machen. (Quelle: Microsoft)
Business-Variante von Microsoft Edge
Im ganzen KI-Trubel der Build beinahe untergegangen ist die Ankündigung einer speziellen Business-Variante des Edge-Browsers. Diese ist vor allem für Firmen gedacht, die private Browsing-Aktivitäten von berufsbezogenen Aufgaben trennen und damit mehr Kontrolle über die Einhaltung von Sicherheits- und Compliance-Richtlinien erlangen möchten.
Edge for Business teilt die Browsing- und Privacy-Daten auf zwei unabhängige Instanzen auf. Der Browser erkennt automatisch, wenn Benutzer Web-Adressen des Firmennetzwerkes ansurfen und schaltet selbständig in den «Business»-Mode um. Edge for Business wird auch auf mobilen Geräten unterstützt, so dass sich bei der Synchronisierung der Browser-Daten persönliche und Firmendaten ebenfalls trennen lassen.
In naher Zukunft sollen Unternehmen über die Edge Management Services, die Teil des Microsoft-365-Admin-Portals sein werden, mehr Kontrolle über die Browser-Nutzung erhalten. So wird man beispielsweise festlegen können, welche Browser-Erweiterungen im Business-Kontext genutzt werden dürfen.
Weiter wird der
Microsoft 365 Copilot in künftigen Versionen von Edge direkt integriert sein. Anwender können damit über die Sidebar des Browsers per Chat mit den in Microsoft 365 gespeicherten Daten interagieren. Die Sidebar von Edge soll künftig zudem auch Drittanbietern zur Verfügung stehen. Die Integration eines externen Dienstes soll dabei mit nur wenigen Zeilen Code möglich sein. Und schliesslich erhält Edge auch ein sanftes Redesign, das von Windows 11 inspiriert ist. Dies äussert sich unter anderem in runderen Ecken und transparenten Hintergründen. (Urs Bertschy)