Im Frühling 2009 wurde die Gemeinde Lupfig im Kanton Aargau von einem Tag auf den anderen schweizweit bekannt. Hier, im Dreieck Zürich, Bern, Basel, plante Green den Bau eines riesigen neuen Rechenzentrums. Inzwischen wurde der Campus Zürich-West mehrfach ausgebaut, eine neuerliche Erweiterung um drei Neubauten ist geplant. Zudem baut Green in Dielsdorf im Kanton Zürich aktuell den Metro-Campus Zürich mit drei Datacenter-Modulen, wovon das erste demnächst in Betrieb gehen soll.
Das Beispiel Green veranschaulicht den Boom der vergangenen Jahre sowie die ungebremst hohe und weiter steigende Nachfrage nach Cloud- und Rechenzentrumsdienstleistungen aus der Schweiz. Immer mehr neue Datacenter schiessen aus dem Boden. Eine Entwicklung, die bisher meist positiv aufgenommen wurde – wäre da nur nicht der grosse Strombedarf der Datacenter beziehungsweise von IT-Infrastrukturen im Allgemeinen. Im Zuge einer drohenden Energiemangellage in diesem Winter rücken die Schweizer Rechenzentren auf einmal in den Fokus – und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht.
Kunden fragen sich, ob ihre Cloud-Dienste und Daten auch während eines möglichen, längeren Stromausfalls noch zur Verfügung stehen werden. Politik, Gesellschaft und Experten diskutieren derweil darüber, wie Rechenzentren und IT-Infrastrukturen energieeffizienter gemacht werden könnten – und wie sie bei einem allfälligen Stromengpass unter Umständen sogar unser Energienetz stützen könnten.
Wir haben uns bei
Green,
Microsoft, dem wohl grössten Hyperscaler mit hiesigen Datacentern, sowie Energie Wasser Luzern (EWL), einem Rechenzentrumsbetreiber und gleichzeitig Energiedienstleistungsunternehmen, umgehört.
Betrieb auch bei möglichem Blackout sichergestellt
Die gute Nachricht vorweg: Schweizer Rechenzentren gehören zu den sogenannt kritischen Infrastrukturen und wären bei einer allfälligen Strommangellage nicht von entsprechenden Rationierungen betroffen. Hinzu kommt, dass nicht nur
Green, Microsoft und
EWL, sondern vermutlich die grosse Mehrheit der Schweizer Datacenterbetreiber, einen nahtlosen und im Notfall autonomen Betrieb sicherstellen können – zumindest kurzfristig. Wie das langfristig aussieht, ist aktuell eine andere Frage. Diese lautet in erster Linie: Ist genug Diesel da?
Microsoft könnte seine Rechenzentren in der Schweiz dank vorhandener Notstromversorgung und sichergestellten Nachschüben laut eigenen Angaben auch über eine längere Zeit unabhängig betreiben. «Wir haben in anderen Ländern schon öfters solche Situationen mit langen Stromausfällen erfolgreich gemeistert und weitere Lehren daraus gezogen», erklärt Primo Amrein, Cloud Lead bei
Microsoft Schweiz. Dazu gehört, dass man auf langfristige Verträge setzt und die Zusammenarbeit mit Energielieferanten sowie entlang der gesamten Lieferkette vertieft hat. Insbesondere rund um die Rechenzentren in der Schweiz und weltweit treffe man zudem zusätzliche Vorkehrungen. Green hat im Hinblick auf die drohende Strommangellage unter anderem in die Diversifizierung seiner Lieferketten investiert sowie seine Dieselvorräte erhöht. Und auch bei EWL sind die Dieseltanks gefüllt sowie die Netzersatzanlagen getestet und betriebsbereit.
Ein reibungsloser Datacenterbetrieb ist also sichergestellt. Damit ist es für die Kunden jedoch noch nicht getan ist. Wie Green mitteilt, gilt es nämlich unbedingt auch weitere Abhängigkeiten wie die der Kommunikationsnetze, die Stromversorgung an den eigenen Firmenstandorten oder Verbindungen zu Lieferanten zu prüfen, um die Versorgungssicherheit definitiv sicherzustellen zu können.
EWL wirft in diesem Zusammenhang zurecht die Frage auf, inwiefern der Betrieb eines Rechenzentrums mit Netzersatzanlagen überhaupt noch Sinn machen würde, wenn die restliche Infrastruktur ausserhalb (wie beispielsweise die Endgeräte der Kunden), über einen längeren Zeitraum, beispielsweise mehrere Tage, keinen Strom mehr hätten. Eine Frage, die wir diesen Winter hoffentlich nicht werden beantworten müssen.
Netzersatzanlagen wie diese hier im Rechenzentrum Stollen Luzern könnten einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten und ungeplante Blackouts verhindern. (Quelle: EWL)
Wie steht es um den Energiebedarf der Datacenter?
Unternehmen können also aufatmen, ihre Server und Cloud-Dienste werden auch bei längeren Stromausfällen weiter funktionieren – wenn sie ihre eigenen Hausaufgaben gemacht haben. Und auch hinsichtlich der Energieeffizienz der Datacenter liegt der Ball in erster Linie bei ihnen, genauer bei den Firmen, die ihre IT in den Rechenzentren betreiben. Der Energiebedarf der Rechenzentrumsinfrastruktur macht laut
EWL nämlich nur etwa 10 bis 20 Prozent des Gesamtverbrauchs aus. Der grösste Teil geht im Rechenzentrum Stollen Luzern, das erst im Juni 2022 eröffnet wurde, auf die IT-Komponenten der Kunden zurück. Hier gilt es also, den Hebel anzusetzen, möglichst moderne Hardware zu nutzen und die Server und Speicher optimal auszulasten. «Wir selbst sorgen mit erneuerbarem Strom, effizienten Kühlsystemen durch See-Energie und der Abwärmenutzung zum Heizen von Gebäuden in der Umgebung für eine möglichst hohe Effizienz und einen kleinstmöglichen CO2-Fussabruck», erklärt Marco Reinhard, Geschäftsführer von EWL Rechenzentrum.
Auch laut Green muss bei der Virtualisierung, bei effizienterer Hardware oder einer Auslagerung der Systeme angesetzt werden, weil über 80 Prozent des Energieverbrauchs in einem Datacenter auf den Hardware-Betrieb zurückzuführen sind. Studien würden zudem zeigen, dass gerade ältere Unternehmensrechenzentren im Betrieb bis zu 46 Prozent Energie einsparen könnten. Green selbst richtet seine Datacenter laut eigenen Angaben von der Architektur, über die Gebäudehülle bis zur Kühlung und sämtlichen Anlagen auf Energieeffizienz aus. «Die Steigerung der Energieeffizienz ist eine unserer strategischen Initiativen, die wir langfristig verfolgen», erklärt Andrea Luigi Campomilla, COO Datacenter bei
Green. Investiert wird unter anderem in neue Konzepte und Technologien, die ein eigenes Engineer-Team entwickelt. «Zudem setzen wir auf erneuerbare Energie und werden als primärer Wärmelieferant künftig die Abwärme aus unseren Rechenzentren in Dielsdorf über einen Wärmeverbund nutzbar machen.»
Microsoft verweist hinsichtlich der Energieeffizienz derweil auf Skaleneffekte und modernste Technologie, womit man die eigenen Datacenter, verglichen mit herkömmlichen Rechenzentren, schon jetzt mit einem tieferen Energiebedarf betreibe. Zudem wird laut Primo Amrein weltweit sehr viel in Innovationen rund um die Rechenzentren investiert, wie zum Beispiel in die Flüssigkühlung der Server. Zudem gebe es auch erste Pilotprojekte zur Nutzung der Notstrombatterien von Datacentern als Zwischenspeicher für erneuerbare Energien aus dem allgemeinen Stromnetz.
Mit Notstromgeneratoren das Netz stabilisieren
Was die drohende Energiemangellage betrifft, dürften die Forschungsergebnisse von
Microsoft zu spät kommen. Dafür gibt es andere, bereits ziemlich konkrete Pläne, in denen die Notstromaggregate der Schweizer Rechenzentren eine zentrale Rolle spielen. Diese könnten nämlich, so eine Idee des Bundes, allenfalls als Reservekraftwerke genutzt werden. Dies wäre laut
EWL durchaus eine Lösung als kurzzeitige Massnahme zur Netzstabilisierung und um ungeplante Blackouts zu verhindern. «Für einen allfälligen tagelangen Betrieb der Notstromaggregate bräuchte es aber neue Rahmenbedingungen von Bund und Kanton. Dies betrifft diverse Regelungen, beispielsweise zur permanenten Treibstoffnachfuhr, zur bewilligten Betriebsdauer oder zur Luftreinhalteverordnung», meint Marco Reinhard.
Auch Microsoft ist offen gegenüber der Idee und steht in Kontakt mit den Behörden, während die Dieselgeneratoren von
Green bereits an das nationale Tertiärnetz angebunden sind und das Netz im Falle eines Strommangels stützen können – sofern die Energie nicht selbst für den Datacenter-Betrieb notwendig ist, wie Andrea Luigi Campomilla präzisiert. Zudem steht auch Green im Austausch mit den Behörden sowie dem Regelenergiepool und prüft, unter welchen Voraussetzungen man bei einer Strommangellage unterstützen könnte. Sobald die entsprechenden Details geklärt sind, könne man dann Energie ins Netz einspeisen und so die Energieversorgung unterstützen sowie das Netz stabilisieren. Die Schweizer Rechenzentren könnten also vom vermeintlichen Problem zum Teil der Lösung werden.
(mv)