Hybrides Projektmanagement

Klassisches oder agiles Projektmanagement? Diese Frage hat sich in vielen Unternehmen zur Glaubensfrage entwickelt. Dabei haben beide Ansätze Stärken und Schwächen. Deshalb ist es in der Praxis oft sinnvoll, das Beste aus beiden Welten zu vereinen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2022/10

     

Ziel eines professionellen Projektmanagements ist es, Projekte so zu planen und zu steuern, dass deren Risiken begrenzt, die Chancen genutzt und die Projektziele in der angestrebten Qualität erreicht werden – und zwar termingerecht und im definierten Kostenrahmen.

Vor dieser Herausforderung standen Unternehmen schon immer bei ihrem Bestreben, Change-Projekte und -Vorhaben so zu gestalten, dass sie ihre Ziele er­reichen und der Erfolg auch langfristig gesichert ist.


Dabei gilt es jedoch zu beachten: Projekte finden stets in einem Umfeld statt. Deshalb werden zum Teil auch bewährte Verfahren und Methoden obsolet, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Dies geschieht seit einigen Jahren verstärkt in der von raschen Veränderungen und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-­Welt – auch aufgrund der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft. Im besagten Umfeld werden die Change-Projekte nicht nur zahlreicher, sondern auch komplexer. Deshalb stellen immer mehr Unternehmen ihr klassisches Projektmanagement in Frage und suchen nach neuen, meist agileren Formen des Projektmanagements.

Agiles Projektmanagement als Reaktion auf Komplexität

Dem klassischen Projektmanagement-­Modell (auch Wasserfall-Modell genannt) zufolge, besteht ein Projekt aus genau definierten, aufeinander folgenden Phasen. In der Regel werden die vier Phasen Startphase, Planungsphase, Ausführungsphase und Abschlussphase unterschieden. Und bei Softwareprojekten sind es oft die Phasen Analyse, Design, Implementierung, Test und Betrieb (Grafik 1).

Anders ist dies beim agilen Projektmanagement, das sich meist auf das SCRUM-Modell bezieht. Bei ihm werden Projekte nicht von Anfang bis Ende detailliert durchgeplant. Das Vorgehen folgt vielmehr einer Vision: Dabei wird inkrementell, also in kleinen aufeinander aufbauenden Schritten erfolgend, und iterativ, also sich in Reflexions- und Wiederholungsschleifen vollziehend, vorgegangen (Grafik 2).


Im Mittelpunkt des Geschehens stehen dabei die Stakeholder und die User-­Storys. Die User-Storys beschreiben die Anforderungen an das Endprodukt beziehungsweise die Problemlösung aus der Benutzerperspektive. Sie werden meist vom Product-Owner – also der Person, die letztlich für die Arbeit des Projekt- respektive Entwicklerteams und die Qualität des Endprodukts verantwortlich ist – mit den Stakeholdern parallel zur Entwicklung im laufenden Prozess verfasst.

Das Projekt selbst gliedert sich beim agilen Projektmanagement nicht in Phasen, sondern in eine Abfolge mehrerer drei- bis vierwöchiger Sprints. In ihnen werden die User-Storys zum Beispiel bei der Software-Entwicklung den Entwicklerteams zugewiesen – jeweils so viele wie in dieser Zeit leistbar sind. Ist ein Sprint zu Ende, steht die entwickelte Teillösung als Produkt-Inkrement zur Verfügung und kann im Betrieb getestet werden. Parallel dazu startet der nächste Sprint.

Beide Projektmanagement-Arten haben Vor- und Nachteile

Beide Projektmanagement-Arten haben Stärken und Schwächen. So entfaltet zum Beispiel das klassische Projektmanagement seine Stärken in Projekten, in denen sich auf lange Sicht an den Zielen wenig ändert und kaum Anpassungen erforderlich sind; ausserdem bei Projekten, in denen sich zeitlich überschaubare Aufgabenstellungen wiederholen. Dies sind oft Projekte, bei denen es darauf ankommt, Gesetze und Vorschriften einzuhalten, und bei denen eine umfassende Dokumentation nötig ist (wie beispielsweise in der Pharmaindustrie).

Diese Rahmenbedingungen sind jedoch bei den meisten Software-Projekten nicht gegeben. Ähnlich verhält es sich bei fast allen grösseren Change- und Transformationsprojekten in Unternehmen. Bei ihnen lassen die Komplexität der Anforderungen und die Wechselwirkungen im System meist keine längerfristige Planung zu. Vielmehr muss das Projekt aufgrund der neuen Erkenntnisse und Einflüsse wiederholt neu ausgerichtet werden.


Bei solchen Projekten entfaltet das agile Projektmanagement seine Stärken, das seine Wurzeln in der Software-Entwicklung hat und aufgrund der Erkenntnis entstand, dass viele Software- und IT-Projekte heute sehr komplex sind und im Projektverlauf einer permanenten Veränderung unterliegen. Zudem sind zu Beginn der Projekte die Vorgaben und Anforderungen oft noch unklar.

Die Praxis zeigt jedoch: Ein agiles Vorgehen ist keine Erfolgsgarantie. Eine Schwachstelle vieler agiler Projekte ist, dass die Entwickler das in einem Sprint das Mach- beziehungsweise Erreichbare überschätzen. Deshalb werden die Sprint-Ziele oft nicht erreicht. Das erschwert es der Projektleitung über einen längeren Zeitraum zu planen. Hinzu kommt, dass ein agiles Projektmanagement eine anderen Organisationsstruktur und eine andere Kultur als das klassische Projektmanagement voraussetzt. Beide Faktoren sind in vielen Unternehmen nicht oder nur in einzelnen Bereichen gegeben.

Das Beste aus zwei Welten mit hybridem Projektmanagement

Inzwischen haben viele Unternehmen erkannt: Sowohl das klassische, als auch das agile Projektmanagement haben ihre speziellen Vorzüge. Ausserdem kann man beim klassischen Projektmanagement nicht den berühmten Schalter umlegen und direkt zu einem agilen Projektmanagement übergehen. Vielmehr ist eine Übergangszeit normal, in der beim Projektmanagement sozusagen Parallelwelten existieren und diese müssen gemanagt werden – insbesondere dann, wenn die Entscheidungsträger in der IT oder Geschäftsführung einem agilen Projektmanagement eher kritisch beziehungsweise abwartend skeptisch gegenüberstehen.


Deshalb fragen sich die Unternehmen zunehmend: Bei welchen Projekten ist eher das klassische Vorgehen und bei welchen ein agiles Projektmanagement zielführend? Sie fragen sich zudem, inwiefern sich in der konkreten Projektarbeit die Stärken des klassischen und des agilen Projektmanagements vereinen lassen. Sie streben also ein hybrides Projektmanagement an. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass in der Organisation – und insbesondere auf der Führungsebene – ein Verständnis für dieses «sowohl, als auch» besteht. Erst dann kann entschieden werden, welches Prinzip bei welchem Projekt gilt. Dabei lautet das übergeordnete Ziel: Für die Teams soll eine optimale Arbeitsumgebung geschaffen werden. Deshalb werden in hybriden Projekten Methoden und Werkzeuge aus beiden Welten genutzt.

Auch das hybride Projekt­mana­gement erfordert Change

Das Zusammenspiel agiler und konven­tioneller Projektmanagement-Methoden stellt beim Bestreben, die Agilität von Unternehmen allmählich zu erhöhen, ­einen natürlichen Entwicklungsschritt dar. Dieser geht mit einem Kultur- und Strukturwandel in der Organisation einher. Deshalb sollte dieser Prozess durch ein professionelles Change-Management gesteuert werden. Die Aufgabe des Managements ist es hierbei, das Nebeneinander neuer und konventioneller Arbeitsweisen in Projekten zu ermöglichen und die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.


Für viele Anhänger des agilen respektive des klassischen Projektmanagements hat es sich zu einer Glaubensfrage ent­wickelt, welcher Ansatz in Projekten den Vorzug verdient. Diese Ist-Situation in vielen Unternehmen gilt es zu überwinden – und zwar durch das Schaffen einer bereichs-, funktions- und hierarchieübergreifenden Kultur der Unvoreingenommenheit gegenüber der jeweils anderen Art, Projekte zu managen. Denn nur dann kann undogmatisch entschieden werden, welches Prinzip bei welchem Projekt gilt und ein hybrides Projektmanagement praktiziert werden.

Der Autor

Alexander Pifczyk ist Senior Consultant und Partner bei Dr. Kraus & Partner mit dem Arbeitsschwerpunkt Change- und Projekt-Management.


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