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Gesund führen und kooperieren auf Distanz

Virtuelle und hybride Teams prägen zunehmend die Zusammenarbeit in den ­Unternehmen. Das wirkt sich auch auf die betriebliche Gesundheitsförderung aus, wie das ­nachfolgende Beispiel zeigt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2022/06

     

Anfang 2020 stellte ein weltweit agierender IT-Dienstleister fest: Die krankheitsbedingten Fehltage der Mitarbeiter steigen; insbesondere die psychischen und stressbedingten Erkrankungen nehmen zu. Deshalb entschied das Unternehmen eine Qualifizierungs­initiative zu starten, mit dem Ziel, das Gesundheitsbewusstsein der Mitarbeiter und deren Resilienz zu stärken sowie die Kompetenz der Führungskräfte in der gesundheitsorientierten Führung ihrer Mitarbeiter zu erhöhen.


Als Pilotbereich für das Projekt wählte der IT-Dienstleister seinen Aussendienst in der DACH-Region, in dem etwa 400 Mitarbeiter arbeiten. Aus folgenden Gründen: Die Aussendienstmitarbeiter haben aufgrund ihrer Kundentermine recht unregelmässige Arbeitszeiten und müssen ihren Arbeitsalltag weitgehend selbst strukturieren. Und ihre Führungskräfte müssen die Mitarbeiter weitgehend aus der Ferne führen. Auch damit sind besondere Anforderungen verbunden.

Ziele des (Pilot-)Projekts

Für das Projekt definierte das Unternehmen im Dialog mit dem Beratungsteam unter anderem folgende Teilziele: Das Gesundheitsbewusstsein der Mitarbeiter und ihrer Führungskräfte fördern, ihre Selbstführungskompetenz in Sachen Gesundheit erhöhen und die Fehlzeitenquote senken.

Dabei war allen Beteiligten klar, dass die Führungskräfte weitgehend die Rahmenbedingungen der Arbeit ihrer Mitarbeiter prägen. Folglich spielen sie beim Fördern und Bewahren von deren Gesundheit eine Schlüsselrolle. Das Qualifizierungsprogramm soll deshalb auch ein Modul enthalten, in dem die Führungskräfte lernen, ihre Führungs- und Vorbildfunktion in Sachen Gesundheit wahrzunehmen.

Das Qualifizierungsprogramm für die Führungskräfte

Den Auftakt der Qualifizierungsinitiative bildeten im März 2020 vier zweitägige Veranstaltungen für jeweils etwa zehn Führungskräfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dabei wurde den Führungskräften unter anderem vermittelt, dass sie bezüglich der Gesundheitsförderung in ihrem Bereich drei Funktionen haben:

1. Vorbild für ihre Mitarbeiter und Multiplikator eines gesundheitsfördernden Verhaltens,
2. «Kreatoren» eines gesundheitsfördernden Arbeitsklimas und
3. Ansprechpartner der Mitarbeiter bei Gesundheitsthemen sowie Mit-Gestalter der betrieblichen Rahmenbedingungen.


Am ersten Tag reflektierten die Führungskräfte ihren eigenen Gesundheitszustand und wie sich die fünf Ebenen der Gesundheit wechselseitig beeinflussen (siehe Grafik 1).

Danach folgten Kurz-­Workshops zu den verschiedenen Ebenen, in denen die Teilnehmer die für sie wichtigen Erkenntnisse notierten und hierauf aufbauend eine Gesundheitsstrategie für sich selbst formulierten – unter Berücksichtigung der Leiter der Verantwortung (Grafik 2).

So vorbereitet, erhielt jede Führungskraft ein etwa 45-minütiges Gesundheitscoaching und analysierte dabei anhand ihrer mitgebrachten, persönlichen Gesundheitsdaten mit einem Arzt ihre aktuelle Gesundheitssituation. Aufgrund der Ergebnisse ergänzte sie dann ihre jeweiligen Gesundheitsziele und -strategien.

Am zweiten Tag reflektierten die Führungskräfte Situationen, in denen sie selbst Führung erlebten. Dabei identifizierten sie Verhaltensweisen, die sie selbst als kränkend und krank machend empfanden oder die ihre Leistungsfähigkeit und -bereitschaft minderten. Danach erarbeiteten sie eigene Verhaltensmaximen für eine gesundheitsfördernde Führung.

Corona macht Programmänderungen nötig

Ursprünglich sollte das gesamte Qualifizierungsprogramm in Form von Präsenzveranstaltungen stattfinden, was jedoch ab April 2020 coronabedingt nicht mehr möglich war. Deshalb erwog das Unternehmen kurzfristig, das Programm zu stoppen. Es entschied sich jedoch dagegen – unter anderem weil der Vorstand der Überzeugung war, dass er gerade jetzt ein Signal an seine Mitarbeiter senden müsse, das eine Anteilnahme an deren Wohlbefinden verdeutlicht.

Zudem erkannte der Vorstand die für das Programm glückliche Wahl des Aussendienstes, wo das Führen auf Distanz bereits geübte Praxis war. Denn aufgrund der coronabedingten, verstärkten Arbeit im Home Office standen plötzlich auch die meisten Führungskräfte im Innendienst vor der Herausforderung, Mitarbeiter aus der Ferne zu führen. Deshalb vermutete der Vorstand, dass diese Führungskräfte diesbezüglich von der Erfahrung ihrer Kollegen im Aussendienst profitieren können. Also entschied er, das Programm digital fortzuführen, und zwar so umgestaltet, dass es sowohl inhaltlich als auch methodisch-didaktisch den veränderten Rahmenbedingungen entsprach.


Folglich fanden im Spätsommer 2020 auch die eintägigen Reflexionsseminare mit den Teilnehmern der Auftaktveranstaltungen online statt. In ihnen reflektierten die Führungskräfte ihre Erfahrungen mit der eigenen Gesundheitsstrategie in den zurückliegenden Monaten. Ausserdem übten sie die Denk- und Handlungsweisen, die eine gesundheitsfördernde Führung auszeichnen, in konkreten Führungssituationen anzuwenden, um ihre diesbezügliche Kompetenz auszubauen.

Das Qualifizierungsprogramm für die Mitarbeiter

Etwa zeitgleich fanden eintägige Online-Seminare für die Mitarbeiter statt, wo je etwa zwei Dutzend Teilnehmer von ihren Führungskräften eingestimmt wurden. In den Seminaren beschäftigten sich die Mitarbeiter in Kleingruppen ebenfalls mit den fünf Ebenen der Gesundheit und deren Zusammenspiel. Zudem durchliefen sie wie in einem virtuellen Zirkeltraining verschiedene Stationen, an denen sie Wissenswertes über Themen wie Ernährung, Bewegung, Entspannung, Schlaf, Selbstführung sowie Stress- und Beziehungsmanagement erfuhren. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse entwarfen die Mitarbeiter ebenfalls eine Gesundheitsstrategie.


Nach diesem Auftakt folgten in den anschliessenden Monaten mit einem zeit­lichen Abstand von circa acht Wochen Online-Intensiv-Workshops mit maximal 12 Teilnehmern. In diesen Workshops reflektierten die Aussendienstmitarbeiter ihre bisherigen Erfahrungen beim Umsetzen ihrer Gesundheitsstrategie und erhielten weitere Impulse zu den fünf Dimensionen von Gesundheit.

Tools fördern eine nachhaltige Umsetzung

Das nachhaltige Umsetzen der Gesundheitsstrategie wurde durch umfangreiche Massnahmen unterstützt. So wurden zum Beispiel in einem Forum im Intranet des IT-Dienstleisters regelmässig Lern- und Change-Impulse in Form von Erfolgs­storys, Podcasts, Readern, Videos, Checklisten und so weiter publiziert. Ausserdem unterstützt eine Coaching-App die Mitarbeiter und Führungskräfte beim Umsetzen ihrer Strategie. In ihr können sie ihre Erfahrungen und Fragen mit Coaches reflektieren oder bei Bedarf individuelle Coachings vereinbaren.


Um den Erfolg der Qualifizierungsmassnahme zu evaluieren, wurde circa drei Monate nach den letzten Online-Seminaren eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt. Darin äusserten über 90 Prozent der Mitarbeiter, dass ihre Führungskräfte, seit sie an dem Programm teilnahmen, beim Führen den Aspekt Gesundheit stärker beachten. Eine Auswertung der Personalabteilung zeigte zudem: Die krankheitsbedingten Fehltage sind – trotz Corona – im Vergleich zum Vorjahr um 4,8 Prozent gesunken. Deshalb entschied der IT-Dienstleister, das Qualifizierungsprogramm 2021 weitgehend unverändert auch in anderen Unternehmensbereichen durchzuführen.

Aus der Ferne geführte Mitarbeiter stehen im Fokus

Zuvor wurden jedoch die Zielgruppen des Programms neu priorisiert: Im Mittelpunkt sollen zunächst die Mitarbeiter stehen, die weitgehend aus der Ferne geführt werden – unabhängig davon, warum dies der Fall ist. Denn die Verantwortlichen befürchteten: Wenn wir an diese Mitarbeiter nicht das Signal «Ihr seid uns wichtig» senden, bröckelt aufgrund der fehlenden persönlichen Treffen ihre Bindung ans Unternehmen. Zudem zeigte sich: Das isolierte Arbeiten im Home Office überfordert manche Mitarbeiter und verursacht zum Teil psychische Probleme, welche von den Führungskräften aus der Ferne oft zu spät erkannt werden.

Also wurde das ursprüngliche Programm erneut so umgestrickt, dass noch stärker die Situation der Mitarbeiter, die auf Distanz geführt werden, berücksichtigt wird. So werden im Programm nun zum Beispiel die Aspekte Selbstführung und -organisation sowie Eigenverantwortung bei der Suche von Hilfe und Unterstützung noch stärker betont.


Dieses modifizierte Qualifizierungsprogramm läuft bei dem IT-Dienstleister seit Mai 2021, und weil es bei der Belegschaft auf eine sehr positive Resonanz stösst, wird es auch 2022 fortgeführt. Denn das Unternehmen ist überzeugt, dass das Arbeiten in hybriden und virtuellen Teams in den kommenden Jahren immer stärker die Zusammenarbeit prägen wird. Deshalb brauchen seine Führungskräfte die Kompetenz, auf Distanz zu erkennen, wann bei Mitarbeitern zum Beispiel eine psychische Erschöpfung oder gar Erkrankung droht, um darauf adäquat zu reagieren. Zudem benötigen seine Mitarbeiter die Kompetenz, sich verstärkt selbst führen, motivieren und bei Bedarf die nötige Unterstützung organisieren zu können.

Die Autorin

Sabine Machwürth ist Mitglied der Geschäftsleitung der international agierenden Managementberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede www.mticonsultancy.com.


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