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CIO-Interview: «Im Bauwesen muss die IT bis auf die ­Baustelle gebracht werden»

Stephan Burkart hat mit seinem Team die IT von Implenia grundlegend modernisiert und in die Cloud geführt. Im Interview schildert er die Besonderheiten der IT im Bauwesen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2022/03

     

Swiss IT Magazine: Herr Burkart, wie sieht Ihr Aufgabengebiet als CIO von Implenia aus?
Stephan Burkart:
Es differenziert sich eigentlich kaum von dem eines CIO in anderen Unternehmen. Ein Hauptthema ist die Sicherstellung des laufenden Betriebs hinsichtlich Verfügbarkeit und auch punkto Security – gerade dies wird immer wichtiger. Es ist immer ein Spagat zwischen Stabilität, Innovation und Projekten. Alles unter einen Hut zu bringen ist wohl für jeden CIO eine Herausforderung.

Es gibt doch aber sicher Besonderheiten in der IT eines Baukonzerns…
Eine Spezialität ist, dass die IT bis auf die Baustelle gebracht werden muss. Dort gibt es keine IT aus der Steckdose, und es ist kaum wirtschaftlich, umfangreiche Systeme direkt vor Ort zu betreiben. Auch deshalb ist unsere Cloud-first-Strategie so wichtig, die wir in den letzten Jahren konsequent verfolgen. Eine weitere Herausforderung ist das beschränkte Budget innerhalb der Baubranche, wir müssen gut priorisieren und fokussieren.


Und hinsichtlich Anwendungen? Sie müssen doch sicher auch spezifische Applikationen für das Bauwesen wie zum Beispiel CAD unterstützen?
Richtig, auch hier ist das Bauwesen speziell. Wir managen gegen 700 Applika­tionen, das ist ungewöhnlich viel und ist einerseits durch den erwähnten lokalen Betrieb auf den Baustellen getrieben, aber auch dadurch, dass oft die Auftraggeber bestimmen, welche Software wir für ihre Projekte nutzen. Allein von Auto­CAD müssen wir zum Beispiel fünf Versionen unterstützen – wirtschaftlich und hinsichtlich Komplexität eigentlich wenig sinnvoll.

Implenia ist in mehreren europäischen Ländern aktiv. Was bedeutet dies für die IT?
Das Bauwesen ist stark lokal getrieben, es gilt viele lokale und landesspezifische Gegebenheiten zu berücksichtigen. Zum Beispiel ist man in Schweden und Norwegen mit der Digitalisierung schon sehr weit, auch punkto Regulatorien. In Österreich dagegen läuft alles noch etwas papiergetrieben. In Deutschland wiederum wird es bezüglich Mobilität und Connectivity auf den Baustellen schwieriger. Die Herausforderung liegt darin, möglichst viele IT-Services zu standardisieren und konsolidieren, und trotzdem die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten bestmöglich zu unterstützen.

Wie gestaltet sich diese Vereinheitlichung?
Implenia hat in den letzten drei Jahren eine umfassende Transformation durchgemacht. Dabei haben wir von einer länderspezifischen zu einer divisionalen Organisation gewechselt. Davon betroffen sind auch die Gruppenfunktionen und damit die IT. Die IT ist nun zentral organisiert. Die Transformation war eine sehr gute Gelegenheit, die IT zu konsolidieren. Für viele Firmen ist die Konsolidierung eine grosse Herausforderung, wir konnten sie organisch aufbauen. Organisatorisch sind in den Ländern die Country IT Manager mit ihren Teams zuständig. Sie berichten fachlich an mich und in direkter Linie an den jeweiligen Country President. Als Group CIO rapportiere ich direkt an unseren CEO André Wyss.


Und wo sitzt diese zentralisierte IT?
In unserem neuen Hauptsitz im Glattpark in Opfikon, den wir Implenia Connect nennen. Hier sind alle Divisionen und Funktionen im Raum Zürich unter einem Dach vereint. Das macht es einfach, sich mit Kollegen aus der IT und vor allem aus dem Business auszutauschen, sei es im Vorbeigehen oder bei einem Kaffee.

Wie ist die IT von Implenia technisch konzipiert?
Wir legen den Fokus auf wenige strategische Plattformen. Eine davon ist Microsoft Azure, mit der wir unsere Cloud-first-Strategie abbilden. Zwei weitere sind SAP S/4Hana, das wir in der Schweiz 2021 eingeführt haben, und RIB iTwo – eine Cloud-basierte Plattform, um das Bauwesen mit allen Projekten von A bis Z zu steuern. Das meiste läuft in der Cloud: Implenia ist eines der ersten europäischen Bau- und Immobilienunternehmen, das fast zu hundert Prozent in die Cloud transformiert hat – bis hin zu virtuellen Desktops für rechenintensive Statik- oder CAD-Anwendungen. Im Implenia Connect haben wir eine Free Seating Policy, es stehen keine grossen PCs mehr an den Arbeitsplätzen, sondern die Mitarbeitenden haben ihren Standard-Laptop und nutzen alles aus der Cloud. Man hat somit einen Hochleistungs-PC zur Verfügung, aber komplett virtualisiert.

Sie haben eingangs Security als wichtiges Thema erwähnt. Wie arbeitet die Implenia-IT in dieser Hinsicht?
IT-Dienste müssen von der Zentrale über die verschiedenen regionalen Standorte bis zur Baustelle verfügbar sein. Durch den Cloud-first-Ansatz kennen wir keine On-Premises Data Center mehr und haben dadurch auch keinen klassischen Perimeter mehr. Wir müssen somit jedes Device schützen, egal wo und wie es genutzt wird. Wir setzten auf Endpoint Protection, kombiniert mit einem Security Operations Center, arbeiten mit einem Zero-Trust-Ansatz und Multifaktor ­Authentifizierung. Auf der Baustelle kommt noch die physische Security hinzu – diese wird aber durch die Cloud vereinfacht, da zum Beispiel keine Server oder PCs mit lokaler Datenhaltung mehr vor Ort stehen, nur noch ein Router mit einer möglichst leistungsfähigen Verbindung ins Cloud Data Center.


Welche IT-Themen stehen bei Implenia 2022 im Vordergrund?
Die letzten drei Jahre haben wir unsere IT rasch zentralisiert und professionalisiert. Dieses Jahr steht unter dem Motto Konsolidierung und Stabilisierung. Wir wollen all die modernen Plattformen, die wir jetzt haben, noch besser nutzen und ins Business integrieren – das ist der eine Schwerpunkt. Der andere ist, dass wir die ERP-Transformation weiter vorantreiben und die nächsten Rollouts bereits vorbereiten wollen. Persönlich will ich dieses Jahr vermehrt dazu nutzen, das Alignment mit den Kollegen und Partnern aus dem Business voranzutreiben – wo ist der Demand, wo tut es weh, um dann zielgerichtet zu investieren. IT ist ja nicht Selbstzweck: Wenn die IT nicht fürs Business da ist, hat sie keine Existenzberechtigung.

Und wie äussert sich dies in Projekten?
Ein wichtiger Meilenstein 2021 war die ERP-Transformation in der Schweiz. Das ist für uns das Fundament für die weitere Digitalisierung. Wir haben jetzt alle Daten konsolidiert, alle Prozesse harmonisiert und konsolidiert. Dieses Jahr sind wir dabei, die HR-Prozesse basierend auf SAP Success Factors weiter zu digitalisieren. In der Schweiz ist dies schon weit fortgeschritten, nun starten die Rollouts in den anderen Ländern. Was wir stark entwickeln wollen ist Data Driven Implenia. Das ist eine Initiative, die wir auch gegenüber dem Verwaltungsrat rapportieren. Sie umfasst Bereiche wie Data Analytics, Prozessautomatisierung, Datenharmonisierung, verschiedenste IoT-Themen sowie die Nutzung der Daten für Machine-­Learning-basierte Anwendungen.

Nach welchen Kriterien werden Projekte angegangen?
Es gibt ein ganzes Portfolio von Projekten im Vorstadium, viele Ideen, die nach zwei Aspekten beurteilt werden: Einerseits dem wirtschaftlichen Benefit, andererseits dem strategischen Fit, der sich jährlich ändern kann. Man kann nicht jedes Projekt dann umsetzen, wenn man möchte, das kennt jeder CIO – entweder weil die Zeit noch nicht reif ist oder weil das Umfeld noch nicht bereit ist.


Gibt es konkret etwas, dass Sie nicht realisieren konnten und wenn ja, warum?
Eine Initiative, die ich 2021 noch nicht umsetzen konnte, ist ein Kompetenzzentrum im Bereich Data Analytics, um aus den vorhandenen Daten mehr Nutzen zu generieren. Das hätte ich sehr gerne letztes Jahr in die Wege geleitet. Leider war es nicht möglich, weil der Fokus 2021 klar auf der ERP-Transformation lag und darauf, die Daten zu konsolidieren und zu standardisieren. Das Thema ist aber nach wie vor auf meiner Agenda.

Was spielt die digitale Transformation in einem Baukonzern für eine Rolle?
Die Baubranche hinkt bei der Digitalisierung anderen Branchen hinterher. Gemäss Studien sei sogar «Fishing and Hunting» stärker digitalisiert als das Bauwesen. Das zeigt aber auch das Potenzial, das die Branche hat. Bei Implenia ent­wickelt sich das Thema stark, was sich auch am IT-Team zeigt: Als ich im März 2018 bei Implenia anfing, waren wir in der IT 35 von insgesamt 10’000 Mitarbeitenden, und es gab zum Beispiel keinen Security Officer Heute sind wir total rund hundert Mitarbeitende in der IT, haben konsolidierte Plattformen, ein ausgezeichnetes Security-Dispositiv und beziehen fast alles aus der Cloud.

Und vom Business-Standpunkt her?
Aus Business-Sicht gibt es ein grosses Potenzial für Digitalisierung. Das war für mich auch Hauptmotivation, CIO von Implenia zu werden: Die IT ist im Bauwesen ein Feld, auf dem man noch viel bewegen und erreichen kann. Aber die Digitalisierung ist wie ein Tsunami, der auf die Baustellen zukommt. Mir persönlich geht es bei der Umsetzung oft ein wenig zu langsam. Es ist aber nicht nur wichtig, das Tempo zu halten, man darf auch die operativen Leute nicht verlieren. Man hat jahrzehntelang analog gebaut, und jetzt will man plötzlich alles digitalisieren. Das ist für viele Mitarbeitende eine Herausforderung.


Wie steht Implenia punkto Digitalisierung im Vergleich zu anderen Bau­unternehmen da?
Wir haben eine technische Partnerschaft mit dem Hersteller RIB und arbeiten an der Entwicklung der Lösung iTwo 4.0 und Site mit. In dieser Hinsicht sind wir, mit der integrierten Lösung zusammen mit SAP S/4Hana bereits sehr weit. Und wie schon erwähnt, gehören wir zu den ersten Bau- und Immobilienunternehmen in Europa, die komplett cloudifiziert sind. Ein Vorteil war, dass wir bei der Transformation sehr wenige Altlasten mitnehmen mussten.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Bei der S/4Hana-Einführung haben wir uns bewusst für einen Green-Field-Ansatz entschieden. Praktisch alle Mitarbeitenden haben neue Tools erhalten, neue Prozesse und zum Teil sogar neue Verantwortung. Das ist eine Herausforderung, die uns nach wie vor tagtäglich begleitet.

Ohne Partner geht es wohl auch bei Implenia nicht…
Wir haben einen hohen Sourcing-Anteil von um die 60 Prozent. Commodities haben wir komplett ausgelagert, wobei sich dies mit der Zeit ändert. Was heute Kernkompetenz ist, kann morgen Commodity sein. Ein gängiges Beispiel ist SAP Basis Service, das sieht heute kaum eine Firma mehr als eigene Kernverantwortung. Wenn wir einen Service sourcen, dann wenn immer möglich als Cloud Service, sonst aus unserem virtuellen Azure Data Center.


Und wie arbeiten Sie mit externen Dienstleistern zusammen?
Für strategische Projekte haben wir präferierte, etablierte Partner. Für die ERP-Transformation haben wir einen Partner als Integrator, den wir über eine Ausschreibung evaluiert haben. Auch sonst versuche ich, wenn immer möglich mit strategischen Partnern zu agieren und damit eine Win-Win-Situation zu erreichen. Seltener arbeiten wir direkt mit Lieferanten, ausser es handelt sich um etwas, das wir quasi von der Stange kaufen. Abhängig von der Aufgabe nutzen wir auch Nearshoring. Wir haben zum Beispiel ein Application Management Service (AMS) in Rumänien, das in der ERP-Transformation mitwirkt.

Welche Rolle spielen für Sie Zukunftstechnologien?
Da könnten wir jetzt wohl zwei Stunden lang diskutieren (lacht). Ich mache mal ein Beispiel zum Thema KI und Big Data. Bauen ist bekanntermassen ein Projektgeschäft, das heisst, es gibt sehr viele Risiken, die man natürlich beherrschen möchte. Wir haben deshalb einen Value-Assurance-Prozess eingeführt, der schon in der Offertphase mögliche Projektrisiken identifiziert und bewertet. Mit einem Big-Data-Ansatz auf Basis vergangener Daten und Umweltdaten können wir versuchen, Patterns zu finden und evaluieren basierend darauf, ob es Sinn macht, eine Offerte zu stellen. Denn bei grossen und komplexen Projekten ist bereits die Erstellung und Berechnung einer Offerte mit hohem Aufwand und Kosten verbunden.

Fallen Ihnen noch andere Beispiele ein?
Es gibt auch Zukunftstechnologien, die nicht direkt IT-fokussiert sind. Dazu gehört Robotics. So kann man Mitarbeitende auf der Baustelle bei anstrengenden Aufgaben durch Exoskelette unterstützen oder für gefährliche Arbeiten Roboter einsetzen. Damit haben wir schon experimentiert und setzen es bei Bedarf ein. Ein anderes Beispiel ist 3D-Printing: Dabei geht es weniger um das Drucken ganzer Häuser, sondern um spezielle Teile, die direkt auf der Baustelle gefertigt werden könnten. Limitierende Faktoren sind hier die verfügbaren Materialien und die Zeit, die das Drucken in Anspruch nimmt. Beim 3D-Printing stehen wir noch im Versuchsstadium.

In der IT ist auch immer mehr die Rede von Machine Learning…
Bei der Projektausführung kann Machine Learning Missstände aufzeigen, etwa anhand von Bildern und Daten übers Projekt, dann sind wir wieder beim vorher erwähnten Value-Assurance-Ansatz. Wenn man das mit IoT kombiniert, lässt sich das Risikomanagement zusätzlich verbessern. Zum Beispiel im Bereich Safety durch einen automatischen Alarm, wenn sich eine Person zu stark einem Bagger nähert. Via IoT behält man überdies immer die Übersicht, wo sich Maschinen und Fahrzeuge gerade befinden und in welchem Zustand sie sind.


Wie sieht es mit Building Information Management (BIM) aus?
Wir setzten Building Information Management bereits verbreitet ein auf unseren Projekten: Digitale Modelle auf unseren «Plan-Hüsli» und Tablets ersetzen Pläne auf Papier. Unsere Mitarbeitenden können so viel genauer und effizienter planen sowie arbeiten, wir sparen Kosten und sind zudem nachhaltiger, weil wir viel weniger Papier benötigen. Punkto BIM ist die Schweiz noch nicht ganz so weit wie zum Beispiel Skandinavien – dort muss man bei Vergaben oft nachweisen, dass man mit BIM arbeitet. Zudem sind neue Technologien generell von grosser Bedeutung für uns: Wir haben einen Innovation Hub, der Ideen von Mitarbeitenden unterstützt und über einen definierten Prozess bis hin zur Marktreife entwickelt. Ausserdem pflegen wir Partnerschaften mit Hochschulen und Organisationen wie dem Fraunhofer Institut und scouten den Markt nach innovativen Lösungen, die zu unserem Portfolio passen, und akquirieren sie, wo es Sinn ergibt.

Stephan Burkart

Stephan Burkart amtet seit März 2018 als CIO beim Bau- und Immobiliendienstleister Implenia. Davor war er unter anderem über 21 Jahre in verschiedenen Positionen für die Schindler Group tätig, zuletzt als Vice President, Global IT Infrastructure Services. Er verfügt über einen Executive MBA der Uni St. Gallen und der Santa Clara University in Business Engineering, ist diplomierter Wirtschaftsingenieur FH der PHM Business School und diplomierter Informatikingenieur FH der Hochschule Luzern. Für Informatik interessiert er sich, seit er während seiner Lehrzeit Bekanntschaft mit einem Commodore 64 gemacht hat. Letztes Jahr wurde Stephan Burkart von EY und Confare zum Top CIO erkoren – ein Award, der für ihn auch sein engagiertes Team auszeichnet.

Zum Unternehmen

Als Schweizer Bau- und Immobiliendienstleister entwickelt und realisiert Implenia Lebensräume, Arbeitswelten und Infrastruktur für künftige Generationen in der Schweiz und in Deutschland. Zudem plant und erstellt Implenia in Österreich, Frankreich, Schweden und Norwegen komplexe Infrastrukturprojekte. Entstanden 2006 blickt Implenia auf eine rund 150-jährige Bautradition zurück und beschäftigt mehr als 8500 Personen. (ubi)


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