Skizzierte man im Jahre 1993 die Grundzüge einer Archivierungssoftware, konnte man sich nicht in seinen kühnsten Träumen ausmalen, was 2021 Stand der Dinge sein würde. Zwar gab es Internet und Mails bereits, im betrieblichen Umfeld spielte das Web aber keine Rolle. Papierberge, Schnittstellen zur Buchhaltung sowie Word & Co. waren das Mass der Dinge. Anspruchsvoll war die Hardware. Scanner und Festplatten kosteten ein Vermögen.
Heute, fast 30 Jahre später, gibt es Datenträger für ein Butterbrot und das Scannen spielt eine untergeordnete Rolle. Kurz und gut, an der Hardware scheitert 2021 kein DMS-Projekt. Im Übrigen auch nicht daran, dass nicht mit beliebigen Endgeräten gearbeitet werden könnte. Web-fähig dürften mittlerweile alle DMS-Lösungen sein. Die Knacknuss besteht eher darin, Systeme so flexibel aufzubauen, dass ständig sich wechselnde Rahmenbedingungen mitgetragen werden können.
Etappen im DMS- und Archivierungsprozess
Niemand kommt heute noch auf die Idee, eine Rechnung im Doppel auszudrucken und im Ordner abzuheften. Auf der anderen Seite werden die Abläufe in einem DMS oft sehr klassisch aufgebaut. Dabei entsprechen die Etappen im DMS meist jenen Prozessen, die im kaufmännischen Umfeld abzubilden sind: Einkauf, Verkauf, Produktion und Service. Obwohl DMS-Lösungen über ausgefeilte Recherche-Möglichkeiten verfügen, nutzen viele die Systeme primär zur Dokumentation und weniger als digitale Bibliothek (Knowledge Managment), obwohl gerade im Service-Bereich ein hohes Potenzial erreicht werden kann.
Wurde vor 20 Jahren noch viel Wert auf stetige Schriftform gelegt (Fax, faxen und nochmals Fax), so werden Verträge seit geraumer Zeit rein virtuell, ohne Unterschrift, getätigt. Dabei kommt neben dem Telefon in erster Linie E-Mail zum Einsatz. Doch auch Messenger sind vermehrt anzutreffen und selbst Video-Chats werden eingesetzt. Die Etappen an sich bleiben die gleichen. Salopp gesagt sammeln wir Informationen, aufgrund derer wir handeln.
Ein DMS übernimmt dabei viel lästige Arbeit, indem Strukturen und Abläufe so präsentiert werden, dass niemand sich Gedanken darüber machen muss, wie eine Datei abzulegen ist. Generell geht es immer häufiger nicht mehr um Dateien, sondern um Informationshäppchen. Das können Kurznachrichten oder gesamte Projekt-Ordner sein. Ein DMS-Produkt ersetzt dabei keine ERP-Lösung. Während letztere für die Kernprozesse (Einkauf, Produktion, Verkauf) zuständig ist, bietet das DMS die Möglichkeit an, diese Prozesse zu begleiten und langfristig zu dokumentieren. Ganz egal, welche Etappen respektive Prozesse im DMS abgebildet werden, am Ende steht eine rechtlich einwandfreie Archivierung. Ein DMS kann dabei als reine Archivlösung verwendet werden, der umgekehrte Fall, ein DMS ohne Archivierung aufzubauen, ergibt keinen Sinn.
Die Evolution in der Computerbranche ist gigantisch. Was vor Jahren undenkbar schien, steht heute auf jedem Smartphone zur Verfügung. Vergessen geht dabei, dass die Datenbestände laufend zunehmen und dieses erhöhte Volumen langfristig verfügbar gehalten werden muss.
Speicherkonzepte: On-Premises oder Cloud
Damit wären wir bei den Speicherkonzepten, ohne die kein DMS auskommt. Ein Beispiel, wie stark die Datenmengen wachsen, sei hier angeführt: Eine Stunde Video enthält 108՚000 Einzelbilder. Sinnbildlich in A4-Seiten beziehungsweise entsprechenden Abläufen gesprochen ergibt dies bei zwei Seiten pro Rechnung 54՚000 Geschäftsvorfälle.
Dabei stellt sich für Unternehmen die Frage, ob die Daten lokal (vor Ort = On-Premises) oder entfernt bei einem externen Dienstleister in einer Cloud gespeichert werden sollen. Rein von den Daten her betrachtet erscheint es töricht, sie nicht lokal zu speichern. Die Preise bei der Hardware könnten ja tiefer nicht sein. Allerdings, DMS-Lösungen (wie jede Software) beruhen auf vielen Komponenten, die alle zusammenpassen müssen. Systeme müssen gewartet und abgesichert werden.
Gerade dies bereitet vielen KMU Schwierigkeiten. Selbst Firmen mit mehreren hundert Mitarbeitern bekunden Mühe, geeignete Fachkräfte zu rekrutieren oder sehen das Risiko als zu hoch an, von einer Person der IT abhängig zu sein, sodass sie die Informatik lieber in externe Hände (und damit in die Cloud) geben. Fairerweise muss angefügt werden, dass die DMS-Branche an dieser Situation nicht ganz unschuldig ist. Gerade als Vertreter von Open-Source-Systemen erlebt man es immer wieder, dass es zu wenig oder gar nicht gelingt, Lösungen so einfach zu halten, dass diese durch Laien auch wartbar sind.
Hier bieten Cloud-Lösungen eine Alternative an. Für fixe monatliche Kosten gibt es ein Gesamtpaket. Der Anbieter übernimmt Pflege, Sicherheit und Wartung der Lösung, der Kunde kann sich auf seine Kernkompetenzen konzentrieren. Wer nach DMS-Angeboten in der Cloud sucht, wird schnell feststellen, dass die Preise in Gigabyte abgerechnet werden. Stellvertretend für viele ist das Angebot eines Anbieters mit Serverstandort Schweiz: Bei zehn Benutzern und zwei Terabyte Speicher kostet die Lösung um die 5000 Franken pro Monat.
Die gleiche Lösung, die auf einem eigenen Server betrieben wird, führt zu circa 2000 Franken Kosten pro Monat.
Die Preisdifferenz beträgt folglich 3000 Franken pro Monat. Eine vergleichbare Hardware (mit redundanten Festplatten) kostet um die 1200 Franken; dies freilich mit 10 anstelle von 2 Terabyte.
Daraus kann abgeleitet werden, dass Cloud-Lösungen, rein vom finanziellen Aspekt her betrachtet, deutlich teurer sind als lokale Server.
Spezialfall Mail-Archivierung
Etwas provokativ kann gesagt werden, was früher an Post in Papierform einging, falle heute digital als E-Mail-Nachrichten an. Dass diese ins DMS integriert werden müssen, versteht sich von selbst. Die Frage stellt sich eher, wie die Mails archiviert werden sollen. Mail-Nachrichten liegen im IMAP-Format vor. Der Aufbau mutet archaisch an - siehe Bild.
In der Tat werden Mail-Nachrichten noch immer mit 7-Bit als Textdateien verschickt. Die Problematik besteht nun darin, dass ein jedes Mail-Programm (Absender wie Empfänger) die Nachrichten unterschiedlich interpretiert. Einfach die Text-Nachrichten aufzubewahren, erscheint gewagt, weil Jahre später das Mail-Programm X die Nachrichten des ursprünglichen Senders nur noch mehr schlecht denn recht darstellen kann. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, aus den Text-Dateien zusätzlich PDF- oder Bild-Dateien zu erstellen.
Als tückisch können sich die Anhänge erweisen. Einmal werden komprimierte Daten ineffizient in Textzeilen umgewandelt und weiter führt dies dazu (eben weil es ineffizient ist), dass bei grösseren Anhängen oft nur die Links verschickt werden. Werden solche Mails geöffnet, wird on-the-fly mit dem Link die Datei vom externen Server des Absenders nachgeladen. Das geht solange gut, wie die Dateien zum Download zur Verfügung stehen. Da die Halbwertszeit (die Zeitspanne, nach dem ein Weblink nicht mehr funktioniert) kaum mehr als sechs Monate beträgt, ist ein zeitnaher Transfer ins DMS (unter Abruf der Links) sehr zu empfehlen. Stolpersteine mussten in letzter Zeit bei den Microsoft-Cloud-Lösungen beobachtet werden. Schon die alten Exchange-Server hatten die Eigenheit, dass neben dem IMAP-Format stets eine proprietäre Kopie (Msg-Format) für die Ansicht in Outlook geführt wurde. Wird eine solche Mail-Nachricht in Outlook gelöscht, heisst dies nicht, dass die IMAP-Kopie auch gelöscht wird. Im ungekehrten Fall, das heisst die IMAP-Kopie wird archiviert und gelöscht, verbleibt die Nachricht weiterhin in Outlook. Dies führt dazu, dass bei Erreichen einer bestimmten Grösse (meist 50 GB) gar keine Mails mehr empfangen oder verschickt werden. Damit steht der gesamte Mail-Verkehr still. Dies sind immer jene Momente, wo die Hotline heissläuft, obwohl das Problem ja an sich keines der Archivierung ist. Auch wenn dies jetzt altbacken klingt, die Mails werden dann meist manuell gelöscht. Wer jetzt denkt, 10՚000 Mails seien mal schnell «removed», findet sich in der Microsoft-Cloud an alte Explorer-Zeiten erinnert. Niemand konnte mir je erklären, warum über command.com mit «del *.*» die Daten in Sekunden gelöscht werden konnten, wohingegen sich der Datei-Explorer in Windows für den gleichen Prozess zuweilen Stunden Zeit liess.
Mail-Nachrichte im IMAP-Format. (Quelle: Archivista)
Integration von Audio- und Video-Dateien
Vor einigen Jahrzehnten bereitete nur schon das Speichern von Audio-Dateien erhebliche Probleme. Unkomprimiert benötigt eine Audio-Datei etwa 10 Megabyte pro Minute. Dies ergibt zum Beispiel in einem Call-Center, bei dem zehn Mitarbeitende an 250 Tagen 8 Stunden Telefonate führen circa 11 Terabyte an Daten. Werden die Daten im MP3- oder OGG-Format gesichert, reduziert sich die Datenmenge auf einen Zehntel.
Noch akzentuierter stellt sich die Sachlage bei Video-Dateien dar. Auch hier möchte kann man das Volumen anhand eines Beispiels aufzeigen. Die analoge VHS-Kassette konnte jeweils einen Spielfilm aufzeichnen. Zu damaligen Zeiten hatte die lokale Videothek etwa 3000 Streifen im Angebot. Dafür war eine Ladenfläche von rund 50 Quadratmetern notwendig. Aktuelle Streaming-Anbieter bieten ebenfalls einige Tausend Filme an. Rechnen wir folglich mit 3000 Spielfilmen à 100 Minuten, so ergeben sich 5000 Stunden.
Um diese Datenmenge unkomprimiert zu speichern, wären 25 MB * 25 Bilder/Sekunde * 3600 Sekunden die Stunde * 5000 Stunden notwendig. Dazu würden 536 Festplatten à je 20 Terabyte benötigt. Im MP4-Format lassen sich die Daten extrem komprimieren, indem einzig die Differenzen bei den Farben zwischen den Bildern (und dies auch etwas ungenau) gesichert werden. Damit lassen sich die 5000 Stunden auf circa zwei bis vier Terabyte reduzieren.
Kurz und gut, ohne Komprimierung würden wir wohl auch 2021 noch alle in die analogen TV-Geräte glotzen beziehungsweise uns mit Unmengen von VHS-Bandsammlungen herumquälen. Erst durch eine effiziente Kodierung bewegen wir uns in Grössenordnungen, in denen effizient mit multimedialen Daten umgegangen werden kann. Um diese Bestände auch langfristig archivieren zu können, kann – gerade im KMU-Umfeld – eine Auslagerung auf M-Disk sehr empfohlen werden.
Die Millennium-Datenträger (gemeint ist das Versprechen der Hersteller, die Lebensdauer liege bei 1000 Jahren, realistisch dürften einige Jahrzehnte sein) bieten 100 Gigabyte Kapazität und sind kompatibel zu den Blu-ray-Scheiben. Laufwerke kosten etwas über 100 Franken und pro Datenträger fallen gute 25 Franken an. Das Auslagern von zwei Terabyte erzeugt somit Kosten von 600 Franken (inkl. Laufwerk). Im Vergleich zur Festplatte erscheint der Preis hoch. Wird das DMS-Cloud-Angebot herangezogen, wo das Monatsabo um Faktoren höhere Kosten verursacht, ist der finanzielle Aufwand bescheiden. Optimal komprimiert können auf einer M-Disk etwa 200 Stunden Video archiviert werden.
So gesicherte Daten bieten den Vorteil, dass eine nachträgliche Änderung ausgeschlossen ist, da die Medien nur einmal beschreibbar sind. Ein Verlust droht folglich nur, wenn die Datenträger entwendet oder beschädigt werden. Eine Erpressung durch Hacking mit Verschlüsselung kann zu hundert Prozent verhindert werden. Einige DMS-Systeme bieten Schnittstellen für die Auslagerung auf M-Disk an. Ansonsten kann jedem KMU empfohlen werden, von sensitiven Daten jährlich manuell unveränderbare Kopien zu erstellen.
DMS-Lösungen, die über einen internen Medien-Player verfügen, können Audio- und Video-Dateien direkt im Web-Browser abspielen. Dies spart Zeit und Bandbreite, da nur jener Teil zum Web-Browser übertragen wird, der abgespielt wird. Ferner sei angefügt, dass das Abhören von Audio- und Video-Dateien, um eine bestimmte Stelle zu finden, zeitaufwendig ist. DMS-Systeme, die über eine Spracherkennung verfügen, bieten den Vorteil, dass Recherchen auch textbasiert erfolgen können. Werden in einem Call Center zum Beispiel die Gespräche aufgezeichnet, lassen sich damit automatisiert Knowledge-Archive aufbauen. Mittlerweile gibt es mehrere Open-Source-Produkte, bei denen sichergestellt ist, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten.
DMS-Lösungen mit einem integrierten Audio- und Video-Player bieten den Vorteil, dass die Videos auch bei geringer Bandbreite abgespielt werden können. (Quelle: Archivista)
Aktuelle Marktsituation in der Schweiz
Die Zahl der Anbieter und die Art und Weise, wie DMS-Lösungen implementiert werden, könnte auch 2021 unterschiedlicher kaum sein. Der Kunde hat von daher die Qual der Wahl. In den letzten Jahren gab es eine gewisse Konsolidierung bei den Anbietern. Als Beispiele sei hier die Übernahme von Docuware durch Ricoh und jene von Habel und Proxess durch Beta-Systems im Jahre 2019 genannt. Im Jahr 2020 wurde die Übernahme von Easy Software durch Deltus 36 verkündet und vollzogen. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder neue Player, der Markt bleibt für Interessenten nicht ganz einfach in der Übersicht.
Auf der technologischen Seite hat sich in den letzten Jahren stark herauskristallisiert: Lösungen, die nicht internetfähig sind, werden es mehr als schwer haben. Mehr noch, ein DMS muss heute nicht nur über ein Web-Interface bedienbar sein, vielmehr ist der Zugriff auch über eine API (Application Programming Interface) ein Must-have. Nur so lassen sich Lösungen geräte- und ortsunabhängig miteinander vereinigen respektive automatisieren.
Ob die Lösungen On-Premises oder in der Cloud laufen, ist nicht einmal so zentral. Je nachdem, was ein Kunde selber machen beziehungsweise delegieren möchte, wird er sich für On-Premises oder die Cloud entscheiden. Die Preise in der Wolke sind eher gediegen hoch. Nach einer anfänglichen Cloud-Euphorie (mit tiefen Einstandspreisen) dürfte sich Nüchternheit breit gemacht haben. Das Rundum-Sorglos-Paket mit Standort Schweiz hat seinen Preis.
So gesehen stellt sich nicht primär die Frage, ob ein DMS lokal oder in der Wolke läuft, sondern ob am lokalen Standort genügend Ressourcen und Know-how für die Sicherheit aufgebaut werden kann und ob dies in der Cloud günstiger erhältlich wäre. Denn eines ist klar: In Zeiten, wo das Home Office Hochkonjunktur hat, ist der standortunabhängige Zugriff derart zentral, dass kein KMU mehr darauf verzichten kann beziehungsweise will. Unabhängig davon bereitet es aber ganz einfach auch Freude, überall von unterwegs mit jedem Gerät arbeiten zu können.
Der Autor
Schon in jungen Jahren beschäftigte sich Urs Pfister als Postbote mit Papierbergen. 1986 folgte der Besuch einer Handelsschule, später die kantonale Maturitätsschule für Erwachsene. Um sein Jus-Studium zu finanzieren, arbeitete er bei diversen KMU. Dabei ärgerte er sich so sehr über vollgestopfte Aktenschränke, dass er 1998 der Universität den Rücken kehrte und die Firma
Archivista gründete, um dem Papier den Garaus zu machen. Neben der Geschäftsleitung der Firma verantwortete er in den Jahren 2005 bis 2007 die Entwicklung der DMS-Lösung Archivistabox, die seither stetig weiterentwickelt wird.
Urs Pfister, Geschäftsleiter, Archivista (Quelle: Archivista)