Anapaya Systems ist ein Schweizer Start-up und ETH-Spin-off, dessen Ziel es ist, industrietaugliche SCION-Komponenten (Scaliability, Control and Isolation On Next-Generation Networks, dazu später mehr) zu entwickeln sowie ein internationales Ökosystem aufzubauen, das SCION-basierte Dienste anbietet. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Zürich und wird seit Februar 2021 von Martin Bosshardt als CEO geleitet. Zu den Gründern gehören die drei ETH-Professoren Adrian Perrig, David Basin und Peter Müller sowie der heutige CTO Samuel Hitz. Alle sind auch heute noch für Anapaya tätig.
«Anapaya gewährleistet echte Kontrolle darüber, wie Daten im Internet der nächsten Generation übertragen werden», erklärt CEO Martin Bosshardt die Grundidee von Anaypay kurz und knapp. «Da SCION nicht von einer Hochschule kommerzialisiert werden kann, haben wir 2017 die Firma
Anapaya Systems gegründet», erklärt Bosshardt, der seit 2020 Teil des Verwaltungsrats des Start-ups ist.
«Anapaya ist kommerzieller Anbieter der SCION-Technologie, die seit über einem Jahrzehnt an der ETH entwickelt wird.» Anapayas Lösungen sollen Unternehmen rund um den Globus eine Möglichkeit zur Hand geben, geschäftskritische Daten sicher und transparent über das Netzwerk zu transportieren und Informationen zwischen Unternehmensstandorten, vertrauenswürdigen Partnern und Cloud-Anbietern zu senden.
Doch was stimmt mit dem Internet heute denn nicht? «In den letzten Jahren hat sich das Bewusstsein für Sicherheit und Datenschutz geschärft. Wir sind auf einen ständigen Internetzugang über unsere Mobiltelefone angewiesen, um mit anderen zu kommunizieren, unsere Ärzte tauschen immer mehr Daten aus, und unsere Banken benötigen jederzeit eine Verbindung, um sicherzustellen, dass unsere digitalen Bankanwendungen sicher und zuverlässig sind», schreibt das Start-up in einem Blogpost, und weiter: «Keiner dieser Anwendungsfälle schwebte den ursprünglichen Erfindern des Internets vor, aber sie sind heute de facto zu Anwendungsfällen geworden. Daher war es notwendig, statt einer evolutionären eine revolutionäre, Internet-Architektur zu entwickeln und einzuführen.»
Um die Value Proposition von Anapaya zu verstehen, muss man also auch SCION verstehen: Eine neuartige Internet-Architektur mit aktuellen Sicherheits- und Skalierungseigenschaften, die die Einschränkungen des IP- und BGP-basierten (Border Gateway Protocol) Internets überwinden soll. «Eine vollständige Revolution ist zwar nie einfach, aber das SCION-Design ist auf schrittweise Einführung und Rückwärtskompatibilität ausgerichtet», erläutert Bosshardt. «Das Projekt hat den akademischen Status bereits vor Jahren verlassen und wird heute von kritischen Industrien und Regierungen in Betracht gezogen.»
Das Problem und die Lösung
Auf einer groben Ebene betrachtet, sind die Grundsätze der Datenübertragung im derzeitigen Netz sehr einfach gestaltet – ein Endnutzer gibt den Empfänger der Daten an und sendet den Traffic an seinen eigenen Netzbetreiber. Dieser kann dann entscheiden, wie die Daten den gewünschten Empfänger erreichen sollen. Was aber, wenn dieser Status quo geändert werden soll? «Könnten wir sagen, dass wir wollen, dass der Absender nicht nur den Empfänger, sondern auch den Weg dorthin vorgibt? Dieses Konzept wird in der Netzwelt als pfadabhängiges Netzprotokoll bezeichnet», erklärt Bosshardt.
SCION ist also eine Alternative zu BGP, dem Netzwerkprotokoll, das derzeit für einen Grossteil des Datenverkehrs im Internet verantwortlich ist. Bei BGP haben die End-Hosts keine vollständige Kontrolle über den Weg des Pakets – sie können zwar angeben, wer es empfangen soll, aber nicht, wie es sein Ziel erreicht. Dies kann sowohl aus der Sicht der Sicherheit als auch der Benutzerfreundlichkeit problematisch sein.
Grundsätzlich sucht BGP nach verfügbaren Pfaden und wählt die schnellste Route aus. Dabei werden in den meisten Fällen mehrere Netzbetreiber und mehrere Länder durchquert. Das führt zu Fragen wie: Wie kann man sicher sein, dass der von BGP gewählte Weg auch der richtige ist? Denn beim ursprünglichen Entwurf von BGP gab es keine Sicherheitsvorkehrungen, die böswillige Parteien daran hindern, falsche Routen anzukündigen, so dass das Protokoll an sich anfällig für Hijacking-Angriffe ist. Genau diese Problematik will Anapaya aus dem Weg räumen.
Die SCION-IArchitektur zielt im Kern darauf ab, die derzeitigen Internet-Kernprotokolle auf globaler Ebene zu ersetzen und stellt eine grundlegende Abkehr vom heutigen, auf Routing-Tabellen basierten Internet dar. Via SCION hat der Absender die volle Kontrolle über den Weg, den das Paket zu seinem Ziel nimmt.
«Wir glauben, dass der Eigentümer der Daten, die über das Internet gesendet werden, das Recht hat, zu wissen und zu kontrollieren, wohin sie gehen», erklärt Bosshardt. «SCION gibt dem Einzelnen diese Macht, ohne dass irgendwelche politischen Bedingungen daran geknüpft sind. Zudem ist die Verwaltung bei SCION offen und dezentralisiert. Jede Einheit, etwa eine Gruppe von Internetdienstanbietern, ein Staat oder ein grosses Ökosystem, kann ihre eigene Verwaltungsstruktur definieren, die von den Netzinfrastrukturanbietern getrennt ist.»
Darüber hinaus geben die Lösungen von Anapaya dem Absender des Datenverkehrs die Möglichkeit zu wählen, welche Regionen der Welt die Pakete durchqueren sollen, um sicherzustellen, dass sie nicht durch nicht vertrauenswürdige Bereiche geleitet werden und die Kontrolle und der Datenschutz erhalten bleiben.
Ein unternehmensfreundliches Internet
Jahr 2012 zurückverfolgen, als an der ETH Zürich unter der Leitung von Adrian Perrig mit der Forschung und Entwicklung von SCION begonnen wurde. Gegründet wurde das ETH-Spin-off dann 2017. 2018 folgte der erste kommerziell erhältliche SCION-Router und 2019 folgte der Rollout des ersten Kundennetzwerkes zwischen Bern und Berlin in der Forschungs- und Entwicklungs- sowie der Finanzbranche. 2020 startete Anapaya derweil ein Pilotprojekt unter dem Namen Sicheres Schweizer Finanznetzwerk (SSFN), das 2021 Live ging und den Beginn der Implementierung für Schweizer Banken und Finanzmarktinfrastrukturen kennzeichnet. «Zu den weiteren wichtigen Projekten im Jahr 2021 gehört die Scion-Fernverbindung zwischen dem EDA-Hauptsitz in Bern und Seoul», verrät Bosshardt.
Die Idee für den Namen Anapaya stammt von ETH-Professor Adrian Perrig, der mit der Sanskrit-Sprache vertraut ist. «Anapaya bedeutet auf Sanskrit ‹ohne Hindernisse›, was sich direkt auf den Hauptnutzen der SCION-Technologie bezieht», erklärt Bosshardt. Das Angebot von Anapaya richtet sich in erster Linie an internationale ISPs und Carrier. «SCION ist ein technologischer Durchbruch, denn zum ersten Mal können Service Provider verschiedene Netzwerkpfade für bestimmte Arten von Kommunikation, Transaktionen und Richtlinien direkt an das Gerät des Nutzers vermarkten», erklärt Bosshardt. Am besten geeignet sei SCION für Organisationen, die personenbezogene Daten, Finanztransaktionen, geistiges Eigentum, Gesundheitsdaten, E-Voting und andere Sozialversicherungsdaten verarbeiten sowie für Unternehmen, die weltweit tätig sind «und in einer Welt ohne Grenzen rund um die Uhr Terabytes an Daten austauschen», so Bosshardt. Und auch multinationale Unternehmen, die das Home-Office-Konzept übernommen haben, Back Offices ausgelagert haben, über Niederlassungen in der ganzen Welt verfügen und kritische Infrastrukturen verwalten sowie Firmen aus dem Finanz- und Gesundheitswesen und der Regierungssektor einschliesslich des Verteidigungsministeriums gehören zur primären Zielgruppe von Anapaya.
Schlankes Team, Pandemie
So liefert Anapaya die SCION-Technologie heute bereits an B2B-Kunden. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit Partnern. Partner wie ISPs entwickeln dabei ihr eigenes Preismodell, indem sie die End-to-End-Pfadanpassungsfunktionen von Scion nutzen.
Das Start-up setzt derweil, so Bosshardt, aus ein schlankes, vielseitiges und funktionsübergreifendes Team von 18 Personen, das von prominenten Führungskräften aus Industrie und Wissenschaft als Vorstand unterstützt wird, wie Bosshardt erklärt. Er selbst war zuvor unter anderem als CEO von Open Systems tätig und besitzt einen starken Background in den Bereichen Software, SD-WAN-Entwicklungen, Sicherheit und Netzwerke. Neben seinem Posten als CEO ist Bosshardt zudem Mitglied des Advisory Board von PwC Schweiz.
Aufgrund der Pandemie hätten selbst Branchen mit einer konservativen Kultur schnell die Einrichtung von Heimarbeitsplätzen übernommen: «Diese Verlagerung erfordert das gleiche Mass an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Leistung für ihre Remote-Mitarbeiter, als ob sie innerhalb der Grenzen ihrer Büro-IT-Infrastruktur wären», meint Bosshardt. Und auch dafür hat das Start-up eine Lösung am Start: So wird SCION@Home aktuell getestet und weiterentwickelt. Über den spezifischen Kundenstamm darf CEO Martin Bosshardt derweil keine Auskunft geben, einzig die beiden Unternehme SIX und SNB haben öffentlich erklärt, dass sie Kunden sind.
Zukunftspläne und Finanzierung
«Der unmittelbare Plan für die nächsten sechs bis zwölf Monate besteht darin, Schweizer Banken und Finanzmarktinstitutionen in das SSFN einzubinden, das SCION@Home-Angebot weiterzuentwickeln und mit der Masseneinführung zu beginnen», verrät Bosshardt. «Langfristige Pläne beinhalten das Onboarding internationaler ISPs und die Schaffung eines neuen Monetarisierungsmodells.» Anapaya hat derweil kürzlich eine Finanzierungsrunde in Höhe von 6,8 Millionen Franken mit SIX Fintech Ventures als Hauptinvestor abgeschlossen. Das Unternehmen will sich nun auf die nächste Finanzierungsrunde im Sommer 2022 vorbereiten.
(swe)