Herr Andrey, Daten sollen ja bekanntlich das Gold der Zukunft sein. Haben Sie das Gefühl, dass das im Parlament verstanden wird?
Gerhard Andrey: Auch wenn im Detail den meisten wohl nicht ganz klar ist, was das genau bedeutet, so ist die Wichtigkeit des Themas sicher bei allen angekommen. Oft sind Daten aber ja genau nicht eine knappe Ressource wie Gold, sondern eher wie Wasser: Allgegenwärtig, lebenswichtig, manchmal gefährlich und immer ein Gut, zu dem wir als Gesellschaft Sorge zu tragen haben.
Im Dezember 2020 hat die Bundeskanzlei in einer Pressemitteilung erklärt, dass es zwar sinnvoll wäre, einen Swiss-Cloud-Standard für die Wirtschaft bereitzustellen, sieht aber von der Verwendung solcher Qualitätsstandards für die eigene IT explizit ab. Unterstrichen wurde dies gerade durch die Vergabe von Cloud-Aufträgen an fünf ausländische Anbieter im Wert von 110 Millionen Franken, bei denen Schweizer Anbieter durch die Vergabekriterien – Datenzentren auf drei Kontinenten – explizit ausgeschlossen wurden.
Dass die Ausschreibung Schweizer Anbieter ausschliesst, finde ich stossend. Es könnte durchaus stimulierend wirken, wenn der Bund hier als Nachfrager auch lokale Anbieter einbeziehen würde. Grundsätzlich halte ich es aber dennoch für unbedenklich, wenn für das Brechen von massiven Lastspitzen von nicht sensiblen Inhalten wie beispielsweise der Seite des BAG auf internationale Hyperscaler gesetzt wird. Bei Daten, die schützenswert sind, habe ich hingegen grosse Fragezeichen. Denn auch wenn die amerikanischen Techgiganten Rechenzentren in der Schweiz betreiben, ist durch den Cloud Act ein Durchgriff des amerikanischen Staates auf Daten in der Schweiz möglich. Es entstehen somit sehr grosse und kaum erwünschte Abhängigkeiten, von welchen man nicht so schnell wieder loskommt. Auch wenn ich den Begriff ziemlich hart finde, so darf man durchaus von einer digitalen Kolonialisierung sprechen, in welcher sich Europa und damit mitten drin auch die Schweiz befindet.
Die Pandemie hat gezeigt, dass Outsourcing auch Abhängigkeit bedeutet. Wäre es da nicht sinnvoll, für Kernaufgaben eine nationale Strategie zu haben, die die eigene Handlungsfähigkeit bewahrt?
Outsourcing an sich ist ja nicht das Problem. Problematisch wird es dann, wenn einem keine Optionen zur Verfügung stehen. In eine solche Situation kann man durchaus auch ohne Outsourcing geraten. Deshalb ist es viel wichtiger, den Grad der Abhängigkeit ins Zentrum zu stellen und Strategien zu entwickeln, um eben auch mal einfach den Anbieter wechseln zu können. Dafür halte ich drei Dinge für zentral: überschaubare Einzellösungen und keine epischen Grossprojekte, Interoperabilität mit offenen Standards und damit eine konsistente API-Strategie sowie wo immer möglich Kontrolle über den Source Code. Ich bin überzeugt, dass gerade letzteres – also Open Source Software – künftig noch viel wichtiger werden wird, um digitale Selbstbestimmung umzusetzen. Der Einsatz der digitalen Zivilgesellschaft, von Digiges über CH++ bis CH Open ist hier essenziell.
Noch einmal zur Pandemie: Um die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu bewahren, wurde im letzten Jahr in grossem Mass auf Werkzeuge wie Microsoft Teams oder Zoom gesetzt. Jeder von uns hat im letzten Jahr Video-Stunden mit Diskussionen über geschäftskritische Themen produziert. Diese Daten sind praktisch alle ins Ausland geflossen. Ist das im Hinblick auf Geheimdaten, Forschungsergebnisse und Material für Deep Fakes vertretbar?
Das ist aus einer Souveränitätsperspektive nicht vertretbar. Nur ist es die Situation, in welche wir uns mit viel digitaler Euphorie und einer guten Portion Naivität als Gesamtgesellschaft hineinmanövriert haben. Es bleibt nichts anderes übrig, als Schritt für Schritt mit guten politischen Rahmenbedingungen und innovativen Unternehmen an einer vertrauenswürdigen digitalen Infrastruktur zu arbeiten. Gerade für die Schweiz mit einem unglaublich innovativen Werkplatz bietet diese Herausforderung ja auch ein enormes wirtschaftliches Potential.
Im letzten Jahr hat der europäische Gerichtshof den Privacy Shield gekippt. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte EDÖB zog nach. Besagtes Abkommen wurde bereits lange vorher kritisiert. Hätte der EDÖB nicht schon ohne die Vorlage der EU handeln sollen?Die Schweiz ist Meisterin darin, sich ohne jegliches Zutun und in voller Souveränität Lösungen anderer anzuschliessen (lacht). Aber im Ernst: Für ein kleines Land wie die Schweiz ist es sehr anspruchsvoll, Daten-Supernationen und privaten Tech-Giganten die Stirn zu bieten. Deshalb bin ich sehr froh um das Engagement der EU für mehr digitale Souveränität. Es stünde der Schweiz natürlich gut an, genau wegen solchen Mega-Themen die Nähe zu der EU zu suchen und mit am Tisch zu sitzen. Leider stehen die Zeichen derzeit nicht besonders gut dafür.
Spätestens seit Snowden wissen wir, dass Abkommen die Amerikaner nicht interessieren, wenn sie an Daten ranwollen. Wie kann die Politik da einfach still danebenstehen und auch noch die eigenen Daten ausliefern?Die grosse Geopolitik findet nun auch online statt, das ist so. Die Schweiz ist ihr Spielball und hat nur eine Option: Sich für eine Weltordnung einzusetzen, die auf Regeln basiert, nicht auf dem Recht des Stärkeren. Das internationale Genf als möglicher künftiger Hotspot globaler Internet Governance sollten wir entsprechend stärken.
Den Stimmbürgern scheint das Thema Souveränität am Herzen zu liegen – zumindest wäre das ein gemeinsamer Nenner von Abstimmungen zur E-ID, dem Ja zum Covid-Gesetz, dem Ja zum PMT. Man will dem eigenen Staat vertrauen. Will der Staat aber noch Verantwortung übernehmen?Swisscovid oder das Covid-Zertifikat zeigen sehr gut, dass die Verwaltung diese Verantwortung übernehmen will und kann. Das Narrativ des unfähigen Staates wurde im Zusammenhang mit der E-ID-Abstimmung stark strapaziert. Natürlich gibt es neben den Vorzeigebehörden auch Bereiche innerhalb der Verwaltung, die noch meilenweit von modernen digitalen Prozessen entfernt sind. Das sollte man nicht bedauern, sondern helfen zu verbessern. Das ist überdies in der Privatwirtschaft genauso. Die Wirtschaft tut sowieso gut daran, sich für einen digital fähigen und gerade in hoheitlichen Aufgaben autonomen Staat einzusetzen. Denn genau mit einem konstruktiven Miteinander kann auch die Wirtschaft ihre Wirkung besser entfalten. Schlussendlich haben wir es auch bei dieser Frage in der Schweiz selbst in der Hand. Spätestens bei den nächsten Wahlen.
Herr Andrey, was halten sie vom Swiss-Hosting-Konzept – der Idee also, privaten wie geschäftlichen Kunden ein transparentes Label zu geben, das anzeigt, dass sowohl Daten wie auch Datenkontrollen in der Schweiz liegen?Transparenz durch vertrauenswürdige Deklaration ist unabdingbar für mehr digitale Souveränität. Die Schweizer Hosting-Branche kann hier einen wichtigen Trumpf ausspielen. Hingegen muss dann auch drin sein, was draufsteht. Die Ausgestaltung und Kontrolle eines solchen Labels sind deshalb sehr wichtig, wenn es auch wirken soll.
Gerhard Andrey
Gerhard Andrey ist gelernter Schreiner, Holzingenieur HTL und Nachdiplom-Informatiker. Andrey ist Mitgründer der Digitalagentur Liip mit 188 Mitarbeitenden an sechs Standorten in der Schweiz. Er ist unter anderem zudem Verwaltungsrat bei der Alternativen Bank Schweiz. Seit 2019 ist Andrey Nationalrat der Grünen Freiburg und engagiert sich politisch insbesondere für mehr Souveränität im digitalen Raum.